Fünftes Kapitel

GESCHICHTE DER ENTDECKUNG DER NATUR

(Ein Intermezzo)

 

An dieser Stelle ist eine philosophiegeschichtliche Nachweisung am Platze. Der Eros wurde zum ersten Male ein »Organ« genannt vom Verfasser der »Rolle der Erotik in der männlichen Gesellschaft« und zwar in deren zweitem Bande im Kapitel »Sokrates und die Philosophie der Frau«. Es ist dort von einem »geläuterten Sinnesorgan« die Rede, mit dem die Dinge »betastet« werden (statt mit Begriffen), von einer »Bejahung des Restbestandes eines Menschen in der Liebe, durch das Organ, das hierzu geschaffen« sei (Seite 68/69); dann gar wird der Ausdruck »transzendentaler Erotismus« gebraucht. Dies alles in noch schwärmerischer Sprache, halb verworren, aber doch eben in der Tendenz richtig. Überhaupt ist ja durch die »Rolle der Erotik« der Eros wieder auf die platonische Ebene gehoben worden und hat damit seinen Platz in der Philosophie wieder eingenommen, nachdem er sich lange Zeit in der wenig anständigen Gesellschaft der »Sexualwissenschaft« hat aufhalten müssen. Indessen, das Thema vom Eros als Organ ist vom Verfasser liegengelassen worden, ohne daß er es in seiner Fruchtbarkeit voll erkannte. Dies geschah erst durch den Philosophen KONRAD WILUTZKY. Dieser, tief in der Kant-Scholastik steckend und voll vertraut mit den Problemen der Transzendental-Philosophie, stieß auf jene Stelle in der »Rolle der Erotik«, und plötzlich brach bei ihm ein offenbar lange vorbereiteter Gedanke durch, der die Formulierung fand: »Die Liebe ist Organ, wie das Auge; das aber, wofür sie Organ ist, ist die Güte«*. Wir wollen diesen entscheidenden Satz Wilutzkys hier, seinem Inhalte nach, auf sich beruhen lassen und ihn erst dann erläutern, wenn es sich darum handeln wird, Platon zu Hilfe zu kommen, der sich mit seiner Ableitung der »Idee des Guten« in eine ausweglose Lage gebracht hat. Es soll hier nur hergangsgemäß betont werden, daß das vom Verfasser der »Rolle der Erotik« achtlos liegengelassene Thema vom »Eros als Organ« durch Wilutzky zu seinem Ende geführt und erst von ihm voll durchdacht worden ist. Denn es genügt ja nicht, bloß zu sagen, der Eros sei ein Organ, und dieses spielerisch an den Dingen herumtasten zu lassen, ohne zugleich zu sagen, welches denn das Objekt diese Organs sei. Das aber hat Wilutzky getan.
Es hängt aber noch mehr an dieser objektiven Organbeziehung LiebeóGüte. Der Gedanke verschwisterte sich nämlich sofort, schon in statu nascendi, mit dem der »Tiefendimension der Natur«, womit es folgende Bewandtnis hat;: rein geometrisch genommen haben die drei Abmessungen des Raumes zueinander die gleiche Bedeutung und keine einen Vorrang vor der andern. Sowie sich aber das Auge einmischt, wird die Sache anders. Solange ich nur planimetrische Figuren auf ein Stück Papier aufzeichne, Dreiecke, Kreise, Kurven, hat das Auge nur eine kontrollierende Funktion; es paßt auf, daß ich die Sache auch richtig mache. Hier werden nur die erste und die zweite Dimension in Anspruch genommen. Die Linie ist das geometrische Symbol für die erste Abmessung, die Fläche für die zweite. Sowie ich aber einen Körper zeichne, das heißt, in die dritte aufsteige, treten die Gesetze der Perspektive in Kraft, und hier entsteht vom Auge vermittelt, dem sie ja gelten, ein deutlich sich abhebendes Gefühl der Lust, das in dem Erlebnis der Raumtiefe seinen Ursprung hat. Dieses schon bei geometrischen Konstruktionen auf dem Papier sich meldende Lustgefühl ästhetischer Art steigert sich aber zur Erhebung und Begeisterung beim Anblick der perspektivischen Lagerung empirischer Dinge in der Landschaft. Wir wissen, daß Lionardo da Vinci von dieser Begeisterung geradezu trunken war, daß er von der »göttlichen Perspektive« sprach und seinen Unterricht darin für das Beste hielt, was er zu geben hatte. Wie nun Linie und Fläche die Symbole für die zwei ersten Abmessungen sind, so ist das Lot auf die Fläche das für die dritte; der gezeichnete Kubus aber ist bereits die Sichtbarmachung der Raumtiefe an der Hand der Perspektive. Die eigenartige Begeisterung des Lionardo aber für die Perspektive der Landschaft ist - weil er ja ein Genie war - nur dadurch zu erklären, daß er diese perspektivische Raumtiefe unbewußt als ein Symbol für die objektive Raumtiefe der Natur selber erlebte. Die Frage ist, ob er damit recht hatte.
Diese Gedankenelemente schalteten sich nun, ob ausgesprochen oder nicht, wie automatisch nach dem Gesetz der Affinität in den entdeckenden Geist Konrad Wilutzkys ein, und zwar in statu nascendi, so daß schließlich folgendes Ergebnis herauskam: Wenn die Liebe Organ ist, wie das Auge, so genügt es nicht zu sagen, daß sie die Dinge nur »betaste«, denn das Auge betastet nicht, sondern wird getroffen von etwas, das an sich nicht leuchtet (Lichtäther), wodurch aber Licht wird; nur das heißt mit Fug und Recht »Organsein«. Getroffen aber wird die Liebe von der Güte; diese aber kommt in der empirischen Ordnung der Dinge nicht vor; also liegt der Ort der Güte in der Raumtiefe der Natur perspektivisch hinter den Dingen. Die Güte wird also wirksam durch die Tätigkeit der Liebe als Organ, und zwar in der Ethik, wo wir sie denn auch tatsächlich finden. Und dies ist auch der Grund, weshalb man die Ethik sowenig aus der empirischen Natur der Dinge ableiten kann, wie das Denken aus der Materie, vielmehr sie ständig mit der Metaphysik verknüpft findet. Durch diese Gedankenoperation wurde nun bewiesen, daß die Perspektive kein Privileg der Optik ist, sondern vielmehr auch auf das Denken Anwendung findet. Nur muß der Denkakt vollzogen werden, während sich die optische Perspektive von selber aufdrängt.
Diese beiden Gedankengebilde, nämlich das vom Eros als Organ und das von der Tiefendimension der Natur, in einem zusammengefaßt, ergaben als Resultat die Entdeckung der Natur. Und zwar geschah dies im Laufe langer Gespräche, die Konrad Wilutzky mit dem Verfasser der »Rolle der Erotik« hatte, der ja zugleich der Verfasser dieses Buches ist. Es ist an dieser Stelle schwer zu sagen, wem die einzelnen Gedankengänge zuzuschreiben sind, da hier alles eng ineinander verwoben ist. Wilutzky war nicht der Mann, seinen Gedanken genügend Ausdruck zu verleihen; ihm lag der Stil der Verkündigung unter starken Betonung der eignen Person und es mangelte ihm an Darstellung und Beweis. Daher gehört er zu den verschollenen Denkern trotz seiner bahnbrechenden Grundgedanken, die in der Philosophie schon ohnehin etwas überaus Seltenes sind. Dagegen waren die Gespräche, die er zu führen verstand, von beispielloser Lebendigkeit, und er riß immer wie selbstverständlich die Führung an sich. Er sah, auch in den hohen Fünfzigern, aus wie der junge Goethe. Ein widriges Schicksal, das von innen her kam, hat jenes »ewige Gespräch«, wie er es zu nennen pflegte, auf zwanzig Jahre unterbrochen. Nachdem es sich gelegt hatte, konnte es wieder aufgenommen werden, und man stellte nach genauer Überprüfung aller Positionen fest, daß das »système de la nature«, das hier entstanden war, auch standgehalten hatte und jedem Einspruch gewachsen war. Eine Trennung erfolgte erst, als Wilutzkys Geist sich verwirrte und der einst so klare Kopf in religiösen Wahn verfiel.
Es ist notwendig, daß der Leser, wenn er den weiteren - aber auch schon abgelaufenen - Gang der Philosophie nicht aus den Augen verlieren will, die in diesem Intermezzo aufgeführten Gedanken auf das genaueste verstehe. Er sei daher gemahnt, hier jedes Wort auf die Goldwaage zu legen und nicht eher weiter zu lesen, als bis er des vollen Verständnisses sicher zu sein glaubt. Denn hier ist der archimedische Punkt der Philosophie. Um gleich mit einem drohenden Mißverständnis aufzuräumen: es handelt sich hier nicht um eine »tiefere Einsicht« oder eine »Vertiefung« der Natur, nicht um einen Komparativ, vielmehr um die Anwendung der Tiefendimension auf das Denken über die Natur, wobei die empirische Außen- und Innenwelt die »Fläche der Natur« oder die erste und zweite Dimension sind. Dieses Denken über die Natur ist aber nicht willkürlich, sondern notwendig. Genau so, wie die reine Logik an sich keinen Bezug auf die Gegenstände der Erfahrung hat und sie erst dadurch bekommt, daß sie in den Kategorien zur transzendentalen Logik durchbricht, ohne welche Erfahrung überhaupt nicht möglich ist, genau so ist der Akt der Entdeckung nicht möglich ohne Tiefendimension der Natur. Die Entdeckungen aber sind die Basis jeder weiteren Forschung: sie müssen erst da sein. Die Berechnung der Gestirnbahnen, die jeder erlernen kann, setzt die Entdeckung des Gravitationsgesetzes voraus, was nicht jeder kann. Das heißt, sie setzt das Genie voraus, das, jedenfalls im genialen Augenblick des Einfalles, selber Erfahrung ist. Die gesamte natura naturata liegt also in den ersten beiden Abmessungen. Die Tiefe der Natur kommt nicht durch einen unbestimmten Tiefsinn im Menschen hinzu, sondern durch einen Denkakt, der notwendig ist, auch deshalb, weil sich sonst die Lehre vom Eros als Organ nicht halten ließe. Diese aber ist wiederum notwendig, weil der Eros sonst bloßer Trieb wäre wie der Hunger; das aber widerspricht der Entdeckung Platons. Man müßte dann von der Liebe denken, wie es die Mediziner tun: dann aber wird der Rückschlag auf die Ethik unvermeidlich und damit auf das höhere Menschentum.
Das hier angewandte mathematische Bild ist gewiß nur ein Gleichnis; aber man soll doch genau hinhören, was für eines. Wenden wir die Geometrie auf empirische Gegenstände der Fläche der Natur an, so entsteht die Ungenauigkeit nur durch das Dazwischentreten der Materie. Betrachte ich einen gefällten Baumstamm als einen Kegelstumpf, so wird niemand leugnen können, daß das richtig ist und daß ich demnach den Holzinhalt nach der mathematischen Formel dafür berechnen kann; hierbei lasse ich den Ungenauigkeitsfaktor außer acht, der durch die Verschiedenheit des Wachstums bedingt ist. So werden alle gefällten Bäume gemessen. Sage ich aber: das auf eine Ebene gefällte Lot ist das exakte Symbol für alle Körperliche, also Dreidimensionale, und, fortfahrend: die bei der Konstruktion eines Kubus sich dem Auge aufdrängende Perspektive ist das Symbol für die Tiefendimension der Natur, so leidet die Geometrie hier keinen Schaden durch einen Eingriff der Materie, sondern dadurch, daß der Ort, den ich damit treffen will, selber nicht Erscheinung wird. Indessen wird niemand leugnen können, daß dieses geometrische Gleichnis eine zwingende Überzeugungskraft an sich hat und daß man wahrscheinlich überhaupt kein anderes finden kann. Man könnte indessen den Sachverhalt auch in einer Proportion ausdrücken und sagen: die empirische Natur der Dinge (außen und innen) verhält sich zur vollen Natur wie die Fläche zum Körper.
Der Entdeckung der Kugelgestalt der Erde mußte auf dem Fuße der Begriff der Erdachse folgen, weil die Erde sich bewegt, und zwar um sich selbst. Nun befindet sich aber die Natur ebenfalls in Bewegung, und so folgte der Entdeckung der Natur der Begriff der Naturachse, obwohl das mathematische Bild hier bald seine Dienste versagen wird. Wilutzky hat dieser Darstellung im Gespräch schweigend zugehört, ohne aber zu widersprechen. Die Bewegung der Natur ist nun aber hier nicht das heraklitische ((panta rei)), das ja den ständigen Fluß der empirischen Dinge meint, sondern der Reproduktionsakt der Natur, der den Namen Kultur trägt. Dieser spielt sich im Laufe der menschlichen Geschichte ab, und man kann ich etwa in folgende Teile gliedern: Wissenschaft, Kunst, Ethik, Religion. Alle diese Gebiete aber entstehen nicht von allein, sie »wachsen« nicht, sie werden auch nicht »vom Menschengeist erzeugt«, sondern sie treten in die Erscheinung durch die Tätigkeit des Genies, neutral ausgedrückt: durch die geniale Zone der Menschheit. Der Entdeckungsakt aber (um als Beispiel etwa die Naturwissenschaft zu nehmen) ist kein einfacher, sondern er setzt sich allemal aus zweien in der Stromrichtung verschiedenen Vorgängen zusammen, dem status nascendi und dem actus demonstrandi. Der erste enthält den »Einfall« und kommt in Richtung vom Objekt auf das Subjekt zu; der zweite die Erfassung des Einfalles, welches beides zusammen das Werk oder die Tat ergibt. Am Einfall aber ist die Natur selber beteiligt, jedoch nicht von ihrer Fläche her, sondern aus ihrer Tiefendimension. In das Genie reicht die Natur noch mit hinein, jedenfalls in jenen geheimen Konsekrationsakt des Einfalles, in den Gelehrten dagegen nicht. Wäre die Natur nicht selber an den Schöpfungsakten des Genius beteiligt, der eine Sonderstellung in ihr einnimmt, so könnten sich die gefundenen Naturgesetze gar nicht auf die Natur beziehen. Sie wären erfunden, aber nicht entdeckt; sie hätten nominalistischen, aber nicht realistischen Rang. Es fehlte ihnen die Giltigkeit.
Dieselbe Einteilung des genialen Aktes kann man nun auf den anderen Gebieten der Kultur mit denselben Ergebnissen vollziehen. Bei der Kunst ist es ganz einfach; denn jeder Künstler sagt es uns sofort, daß es so und nicht anders ist. Gäbe es keinen status nascendi, so gäbe es keinen Künstler, der ihn austrägt; gäbe es keinen actus demonstrandi, so gäbe es keine Akademien. In der Ethik, deren Bau besondere Schwierigkeiten aufweist, ist noch eine Klärung notwendig, und was die Religion betrifft, so ist zu beachten, daß es diese seit der Erscheinung Christi nur im Singular gibt. Den Vorgang der Natur aber, durch den sie sich an das Genie wendet, nennen wir ein reines Ereignis der Natur im Gegensatz zu den empirischen, als da sind Regen und Wind, Wachstum und Sterben, Erdbeben und Krankheiten, sowie alle pathologisch erfaßbaren Zustände des Gemütes. Die Art des Intellektes aber, die bei diesem Vorgang in Tätigkeit tritt, heißt Geist, und nur das ist Geist. Die reinen Ereignisse der Natur aber stehen zu den empirischen senkrecht.
Die Entdeckung der Erde samt ihrer mathematischen Begründung blieb im Altertum liegen und wirkte sich nicht auf den Menschentypus aus, der damals dominierte, weil dieser von seiner euklidischen Kulturseele befangen war. Die Entdeckung der Natur und ihre transzendentale Begründung wird gleichfalls liegenbleiben. Bestenfalls kann sie in einigen klugen Köpfen, und mögen es auch tausende sein, Widerhall und Zustimmung finden. Aber ihre Inkubationsfrist ist noch nicht abgelaufen. Allerdings kann man vermuten, daß sie wesentlich kürzer sein wird; denn hier muß ja nicht erst der Ablauf des faustischen Seelentums abgewartet werden, in das ja auch die gotischen Dome und die Fugenmusik fallen. Es handelt sich hier vielmehr nur um den Ablauf einer pathologischen Phase des faustischen Seelentums. Wie man in der Entwicklungsgeschichte der organischen Wesen von »überspezialisierten Tierarten« spricht, so ist auch das Menschentum heute überspezialisiert, und liefert als geschichtlichen Ausdruck dafür den Untergang des Abendlandes. Dessen Offensichtlichkeit braucht indessen nicht mehr besonders bewiesen zu werden. Die allgemeinste philosophische Formel für diese pathologische Phase, also die Diagnose, lautet: Überspannung der Kapazität des Subjektes. Der bisherige Höhepunkt der abendländischen Philosophie, der Kritizismus Immanuel Kants, ist das tonangebende Beispiel dafür, und der Einwand, den GOETHE, außerhalb dieses Prozesses stehend, gegen ihn machte, war der: »Er kommt nicht zum Objekt.« »Ihm ist« - schreibt SCHILLER an Körner am 1. November 1790 - »die ganze Philosophie zu subjektivisch«. Ferner GOETHE selbst bei seiner ersten Begegnung mit Schiller: »Die kantische Philosophie, welche das Subjekt so hoch erhebt, indem sie es einzuengen scheint...« Wir werden das im Kapitel über die »Ordnung des Intellektes« noch erörtern. Immerhin aber entdeckte doch wenigstens Kant das transzendentale Subjekt, und er konnte es sich demnach in etwa leisten, seine Kapazität zu überschätzen. Nun schließt sich aber an ihn eine erstaunlich große Menge von Nicht-Entdeckern an, Auslegern, Scholastikern, und ihr Wirkungsbereich geht tief in den gebildeten Laienstand hinein. Es ist doch erstaunlich, wie es möglich war, daß im Anschluß an so trockne und zudem höchst schwierige Schriften, wie die Kants es sind, im Laufe von einundeinhalb Jahrhunderten ganze Bibliotheken über ihn geschrieben worden sind. Hier liegt eine Leidenschaft für die Kapazität des Subjektes vor; man plädiert dafür. Aus dieser aber wurde in der sich anschließenden naturwissenschaftlichen Bildungsschicht die Leidenschaft für das Gehirn (womit sie das Subjekt nämlich verwechselten). Der naive Naturalismus hält ja das Gehirn für ein Werkzeug, das Gedanken produziert; darin wurde er leider von Schopenhauer unterstützt, der ja auch der Meinung ist, das Gehirn produziere Vorstellungen, »wie die Galle den Gallensaft«. Hieraus entsteht dann folgerichtig die Auffassung, daß der sogenannte »Menschengeist« - wie das nun auf einmal heißt - alles, was er an Kultur vor sich liegen hat, selber gemacht habe, und zwar so, daß die tätige Gedankenenergie ausschließlich vom Subjekt (sage »Gehirn«) in Richtung auf die »Natur« ginge, niemals aber umgekehrt. Die Natur liegt dann als Rohstoff vor dem »Menschengeist«, der sie zu seinen Zwecken umgestaltet. Dagegen GOETHE: »Denn es ging mir mit diesen Entwicklungen natürlicher Phänomene wie mit Gedichten: ich machte sie nicht, sondern sie machten mich« (Kampagne in Frankreich). Wäre die Natur nun das, was der naive Naturalismus und diese ganze Denkart von ihr sagt, so müßte sie sich das alles gefallen lassen. Das aber tut sie nicht; sondern an der Stelle, an der sie sozusagen schicksalhaft mir sich selber verknotet ist, im Menschen, erregt sie einen Tumult der Dämonen, gegen den kein Gehirn, keine Vernunft und kein »Menschengeist« auch nur das geringste ausrichten kann. Das macht: sie besteht aus Subjekt und Objekt im transzendentalen Sinne, und sie dringt auf eine volle restitutio in integrum. Die abstrakte philosophische Formel für diese Wiederherstellung lautet: »Entdeckung der Natur« und teilt sich ein in »Tiefendimension« und »Achse der Natur«. Durch sie allein kommt ein erträgliches Verhältnis des Menschen zur Natur zustande. Wer aber der Meinung ist, daß die Entdeckung der einzelnen Naturgesetze, die Dichtung, der Tempelbau, die Malerei, die Ethik und gar die Religion Werke des »Menschengeistes« seien, der lästert Gott.
 
 
 



 

 

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