Neuntes Kapitel

DIE ABSTAMMUNG DES MENSCHEN

(Versuch einer transzendentalen Anthropologie)

 

Das Gravitationsgesetz - Newtons accent aigu auf die astronomische Wissenschaft - ist anschauliches Gemeingut der Europäer geworden; es gehört zu deren Weltbild und hat dort Wurzeln geschlagen. Niemand kommt auf den Gedanken, daß ein fallender Stein plötzlich aufhören könnte zu fallen, und die Gebildeten wissen, daß sein Fallen und Nichtfallen des Mondes dieselbe Sache sind; er kann nicht plötzlich stehen bleiben; man weiß: das geht nicht. Kants transzendentale Logik aber, die weit tiefer im Weltcharakter schürft, hat diese Stufe nicht erreicht. Ihr ist der Übergang in den Bestand der anschaulichen Welt nicht geglückt. Sie fristet ihr Dasein in Büchern, die so schlecht geschrieben sind, daß nur die sie verstehen, die selber schlecht schreiben. Und doch ist in ihr, wenn man sie umwandelt und erweitert, vor allem aber, ihr perspektivischen Raum gibt, ungeheure weltbildschaffende Kraft enthalten. Säße sie so im Vorstellungsleben der Europäer fest wie das Gravitationsgesetz: es wäre unmöglich, diesen Europäern einen so gewaltigen Bären aufzubinden, wie es die Lehre von der Abstammung des Menschen vom (spezifischen) Tier ist. Man würde mit derselben Sicherheit sagen: das geht nicht! Unsere Großväter sagten das auch; aber man hat sie mit Demagogie mundtot gemacht.
Jene Sicherheit aber ist wirklich vorhanden, denn sie ist, wie die des fallenden Steines, a priori und notwendig. Anders ausgedrückt; es ist unmöglich, daß der Mensch tierische Vorfahren habe und nach den Gesetzen von Anpassung und Vererbung entstanden ist. Aus dem innersten Gehalte der transzendentalen Logik heraus wird die Notwendigkeit seines eignen Stammes bewiesen. Dabei spielen Biologie, vergleichende Anatomie und Paläontologie nur die Rolle eines empirischen Weges, der nebenbei beschritten werden kann. Diese Wissenschaften geben großen Farbenreichtum her, aber sie bedürfen der erleuchtenden Kraft der Philosophie.
 

1. DIE ENTWICKLUNGSLOSIGKEIT ZWISCHEN VERSTAND UND VERNUNFT
ALS TRANSZENDENTALER BELEG
Hier gibt es durchaus kein »vielleicht« und »wahrscheinlich«; die transzendentale Logik verfügt über zuverlässige Prüfsteine. Die von der philosophierenden Biologie aufgebrachte Meinung geht bekanntlich dahin, daß der Mensch, der ja Vernunft hat, diese von seinen tierischen Vorfahren, bei denen man deutliche Anklänge davon fände, auf dem Entwicklungswege allmählich erworben habe; so also, daß auch die höchsten Leistungen der menschlichen Vernunft nichts anderes seien als gesteigerte Phasen des tierischen Intellektes. Man müsse nur lange Zeit genug zur Verfügung haben, und das hat man ja. Demgegenüber ist zu sagen: das, was beim Menschen, auch dem niedrigsten, »Vernunft« heißt, kommt beim Tier, auch dem klügsten selbst nicht andeutungsweise vor; denn Vernunft und Verstand stehen nicht im möglichen Entwicklungsverhältnis zueinander, sondern in dem zweier Aggregatzustände. Das Tier hat niemals Vernunft, wohl aber Verstand; der Mensch hat immer beides. Der Verstand ist »das allgemeine Merkmal der Tierheit« (SCHOPENHAUER), zu der auch der Mensch gehört; er ist der intellektuelle Faktor der anschaulichen Welt, die dem Tiere allein zugänglich ist und vermöge dessen diese verstanden wird. Vernunft aber ist sein alleiniges Merkmal; sie ist der intellektuelle Faktor der gedachten Welt, die durch sie begriffen wird; sie ist stets mit Bewußtsein ihrer selbst und mit Sprache verbunden. Ein Beispiel: meine Ziege bemerkt, daß sie den Rest von Tränke im Eimer mit der Schnauze nicht erreichen kann, weil er zu tief ist; »infolgedessen« stößt sie ihn um, die Tränke fließt heraus, und nun kann sie saufen. Dieses »infolgedessen« ist aber kein Ergebnis vernünftiger Überlegung, sondern ein Verstandesschluß, der immer nur in Gegenwart der anschaulichen Welt einsetzt. Wenn der Eimer nicht dasteht, so weiß sie nichts davon; wird ihr am nächsten Tag ein neuer gebracht, so handelt sie wieder so, weil ein gleichfalls unbewußtes Gedächtnis die Erinnerungsspuren aufbewahrt hat. Das alles aber hat mit Vernunft nicht das mindeste zu tun, und es gibt keine Brücke zu ihr; wäre das doch so, dann müßte das Tier zu sprechen beginnen und könnte sagen, wie es heißt. Diese Fesselung an die anschauliche Welt ist das charakteristische Merkmal des Verstandes, und genau so und nicht anders ist er auch beim Menschen gebaut. Nur wird er hier dauernd durch die ihn ständig umlagernde Vernunft beunruhigt, so daß jener ständige Wechsel von Anschauung und Begriff, Kategorie und Denkgesetz auftritt. Man könnte jenen hohen Klugheitsleistungen der Tiere, wie man sie oft bei Hunden, Elefanten und Pferden beobachtet und die den Anschein von Vorstufen der Vernunft erwecken, Protuberanzen des Verstandes nennen. Aber sie haben mit der Vernunft nichts zu tun, außer daß sie, wie jene, Intellekt sind. Ein anderes Beispiel: jene schon erwähnten Affen, die mit Steinen werfen können und immer treffen. Gesetzt einmal den Fall, es befände sich unter ihnen ein Individuum, das dies heimlich doch mit der Vernunft oder einer »Vorstufe« von ihr täte, so hätte dieses Exemplar gegenüber den anderen nicht etwa einen Vorteil im Kampf ums Dasein, den es zu vererben vermöchte - wie das so darwinistisch geht -, sondern im Gegenteil: durch die Vernunft könnte das armselig dekadente Wesen denken, daß es mit seinem Steine nicht trifft; dieser tödliche Gedanke würde das Tier verwirren, und es hätte damit jenen Nachteil im Kampf ums Dasein, der bald zu seiner Ausmerzung führen würde. Die Vernunft ist beim Tier ein lebenhinderndes Moment. Der Steinwurf aber des niedrigsten menschlichen Individuums ist ein gänzlich anderer Akt, durch die Einheit von Verstand und Vernunft geleitet; der Mensch zielt, und das ist ein Ausgleichsvorgang zwischen den beiden Aggregatzuständen des Intellektes, auf dem sein ganzes Leben beruht. Im Archetypus des Menschen ist die Vernunft samt ihrem Anpassungsradius vorgesehen. Das Tier ginge an ihr zugrunde, der Mensch kann sie gerade eben ertragen.
Wer also behaupten will, daß je ein Mensch sich aus einem andern Tier »entwickelt« habe, daß er von ihm abstamme, der müßte beweisen, daß es zwischen dem Apfel der anschaulichen Welt und dem begrifflich gedachten einen Entwicklungsvorgang gibt, also Zwischenglieder. Die später zu behandelnden »Schemata« der empirischen Dinge, die solche Zwischengebilde sind, spielen hier nicht mit hinein, da sie nur im Dienste der Entdeckungsakte vorkommen, nicht aber bei der gewöhnlichen Abstraktion. Ebenso müßte er Zwischenglieder zwischen der Kategorie der Kausalität, die im Verstande ruht und die alle Tierheit benutzt, und dem Denkgesetz des Satzes vom Grunde aufweisen, der nur der Vernunft angehört. Beide aber, der empirische Begriff sowohl wie das Denkgesetz, entstehen plötzlich durch den Akt der Abstraktion, den niemals ein Tier vollzieht, und ohne Übergang. Dies ist ein vollgiltiger Beweis dafür, daß der Mensch keine tierischen Vorfahren hat, sondern eine Art für sich ist. Daher ist es nicht etwa Glaubenssache, wenn wir zu dem Ergebnis kommen: der biblische Bericht mit der selbständigen Schöpfung des Menschen befindet sich im Recht gegenüber den darwinistischen Behauptungen, sondern das kann man beweisen. Dadurch wird man gewiß nicht etwa religiöser, aber man irrt sich doch immerhin in einer lebenswichtigen Frage nicht.
Eine »Entwicklung« also der Vernunft aus dem Verstande in dem Sinne, wie wir von einer Entwicklung des Einhufes aus dem fünfzehigen Fuß des Pferdes sprechen, und zwar mit Recht, eine solche Entwicklung gibt es nicht. Die Vernunft kann nur aus dem Verstande plötzlich entspringen wie der Quell aus dem Waldgrunde, gemäß dem plötzlichen und sofort gelingenden Akte der Abstraktion. Und wir haben sehr triftige Gründe, anzunehmen, daß dies nur einmal - einmal - dem ganzen Menschengeschlechte widerfahren ist, so daß es als ein Schicksal auf es herabkam, nicht aber als »Entwicklungsstadium«. Wäre es nur dieses - kein Grad von Anpassungsfähigkeit wäre imstande gewesen, die gänzliche Veränderung der inneren Situation zur Außenwelt in ihren Folgen abzufangen. Das Menschengeschlecht wäre einfach zugrunde gegangen, wenn nämlich die Natur nach den Gesetzen verliefe, wie Lamarck und Darwin sie dachten. Sie hat aber im Archetypus des Menschen eine Widerstandsreserve bereitgehalten, die gerade eben hält. - Das Menschengeschlecht wird also von zwei ganz verschiedenen, einander nicht berührenden Groß-Vorgängen der Natur bewegt: dem metaphysischen Schicksal, das seine Wurzeln in reinen Ereignissen hat und aus der Tiefe der Natur stammt, ferner der biogenetischen Entwicklung, die durch zwei Faktoren bewirkt wird: den Archetypus und die Anpassung an die Umwelt. Dieses spielt sich empirisch ab nur eben mit Ausnahme des Archetypisch-Wesentlichen.
Wer diese beiden Gebiete miteinander verwechselt, dessen »Wissenschaft« schießt ganz unsinnig ins Kraut; wer das erste, Schicksalhafte ausläßt, und nur vom weiten, Biologischen, redet, der bleibt zwar allemal sauber - er darf nur nicht vergessen, es wieder einzuschalten, wenn er eines Tages anfängt »vom Menschen« zu reden. Der ganze populäre Enthusiasmus für die Abstammungslehre vom spezifischen Tier beruht ja auf dieser vergessenen Wiedereinschaltung. Der große LAMARCK tat das niemals. »Wäre« (sic!) - so schreibt er - »der Mensch nur hinsichtlich seiner Organisation von den Tieren unterschieden, so« ... usw. In diesem »wäre« - einem Irrealis - liegt alles das, was die turbulente Entwicklungslehre des neunzehnten Jahrhunderts übersehen hat. Der Herausgeber eines Lamarck-Breviariums, KÜHNER (Diederichs), schreibt hierzu sehr schön in der Anmerkung Seite 113: »Wo auch Lamarck in seiner Systematik vom Menschen spricht, tut er es immer mit dieser Einschränkung (von mir gesperrt), die deutlich besagt, daß er ihm höhere (ethische, soziale) Eigenschaften zuspricht, die eine zoologische Einreihung nicht zulassen. Hier ist das Reservat seiner stillen Frömmigkeit, das er nur dem ÇAuteur suprèmeë gegenüber verantwortet und das für ihn außerhalb seiner Wissenschaft steht.« - Von Darwin an geht die Sache dann holterdiepolter drauflos und das dünnste aller Jahrhunderte, das neunzehnte, ist vollkommen davon überzeugt, daß es zwischen »dem« Menschen und dem Tier keine wesentlichen Unterscheidungsmerkmale gibt.
Das Schicksal aber, das die Menschheit getroffen hat, und wovon sie noch in unverminderter Stärke fortzittert, ist die plötzliche Trennung von Verstand und Vernunft als Vorgang. Er ist zugleich transzendental und biologisch, daher seine unwiderstehliche Macht. Zweifellos hat einmal das Menschengeschlecht sich in einem Zustande befunden, in dem die beiden heute so deutlich getrennten Aggregatzustände des Intellektes eine Einheit bildeten. Als Dauerzustand ist uns das heute nur schwer vorstellbar, weil es ja derselbe Intellekt ist, der, im Zustande der Entzweiung, von seiner Einheit reden muß. Zudem ist uns die ewig flimmernde, beunruhigende, ansterregende Tätigkeit der Vernunft eine durch Tausende von Generationen eingefleischte Gewohnheit geworden. Allein wir haben für die gelegentliche Wirksamkeit dieser Einheit einen lebendigen und deutlich betonenden Zeugen, ein Restgebilde aus jener Zeit, und zwar ist das der geniale Prozeß in der Menschheit, der ja nie ganz abbricht und sich, vertreten meist durch den Einzel-Genius, in ihrer genialen Zone abspielt. Wenn man die Zeugnisse der Entdeckungsakte beachtet, so findet man stets ein momentanes Zusammenschlagen von Verstand und Vernunft, indem beide plötzlich das höchste hergeben, was überhaupt in ihnen ist. Wir finden eine unerhört gesteigerte Anschaulichkeit, die sich am empirischen Gegenstande entzündet, ein Aufrücken in die mythische Sphäre der Erkenntnis, zu gleicher Zeit aber erlebt die Vernunft ihr höchstes Abstraktionsvermögen, indem sie das Gesetz sozusagen vom Himmel reißt. Das alles aber geschieht durch den Geist, und hier allein ist er an seinem Platze. Die Philosophie darf sich in Zukunft nicht mehr dazu hergeben, dieses Wort (pneuma), das eine so präzise und gar nicht anders zu lokalisierende Bedeutung hat, anzubringen, wo es ihr beliebt. Der ärgste Mißbrauch, der damit getrieben wird, ist der Ausdruck »Menschengeist«. Der Mensch hat keinen Geist. Jedenfalls ist er nicht Eigentümer des Geistes, so wenig, wie er in der Ethik Eigentümer der Güte ist. Der Mensch schlechthin hat nur Intellekt in seinen beiden Aggregatzuständen; im Genie bricht vom Objekt her Geist ein und bemächtigt sich für kurze Zeit, Gedächtnisspuren hinterlassend, des Einzelnen. Die Bewegung aber, die hier vor sich geht, hat Stromrichtung stets vom Objekt her zum Subjekt, nie umgekehrt. Die Natur arbeitet so und nicht anders. Da nun die ganze geniale Zone der Menschheit dauernd in Tätigkeit ist, so braucht man sonst in der Verwendung des Wortes Geist nicht unnötig sparsam zu sein, und kann leichthin von geistigen Menschen sprechen; worauf es ankommt, ist nur, die Richtung jenes Wehens (pneuma) nicht zu verfehlen, und damit den Eigentumsgrund. Das Subjekt ist zu schwach, um Geist aus sich heraus zu erzeugen; denn zeugen kann nur die Natur.
Betrachtet man diesen Gelegenheitsvorgang im Menschen als ein Überbleibsel aus einem früheren Gesamtzustand, so wird man genötigt, diesen als den weitaus höheren und glücklicheren zu betrachten und ihm den Namen des paradiesischen zu geben. Wir wissen aus den Biographien der Genien, daß sie die Tage und Augenblicke, in denen ihnen der große Wurf gelang, für die glücklichsten ihres Lebens erachteten, ja oft für die einzig glücklichen; nur um ihretwillen, so meinen sie durchweg, lohnt sich das Leben. Denn in der Tat: »Wo sich Subjekt und Objekt berühren, da ist Leben« (GOETHE). Der Paradieszustand aber ist der, in welchem der Geist, der dieses Berührung trägt, stets gegenwärtig ist. Er wird beendet durch den Biß in den Apfel, also plötzlich, und dessen Sinn ist »zu wissen, was Gut und Böse ist«, und zu erkennen, daß man nackt ist. Das aber heißt: die Vernunft reißt sich los, und der Mensch wird von diesem Augenblick an dem denkbaren Mißgelingen seiner Werke preisgegeben; »Verflucht sei dein Acker; Dornen und Disteln soll er tragen.« Dieses Mißlingen heißt Àmartia, »Fehlgriff«, und wird gewöhnlich mit Sünde übersetzt. Von hier aus gesehen - und zu diesem Blick muß man kommen - stellt sich die gesamte Geschichte der Menschheit als das reine Gegenteil von einer Entwicklung nach oben dar; vielmehr als ein Fall. Die Menschheit kommt herab. So denken alle großen Jahrhunderte, alle Religionen, auch die Antike, und am schärfsten hat es das Buch Genesis erfaßt, das an echtem Tiefsinn gar nicht zu überbieten ist. Doch wir wollen das Gebiet der objektiven Theologie, das hier unmittelbar vor der Tür liegt, jetzt nicht betreten. Die Religionen haben jedenfalls durchweg die Aufgabe, zu heilen; sie sollen diesem nachparadiesischen Zustande der Menschheit, der durch die abtrünnige Vernunft verursacht ist, entgegenwirken. Da nun die Vertreibung aus dem Paradiese ein wirklicher Vorgang ist, so müssen es auch die Religionen sein, welche die Rückverbindung (religio) wiederherstellen und keineswegs etwa Erfindungen des »Menschengeistes« sind - dessen einzige Entschuldigung wäre, daß es ihn nicht gibt.
Das Menschengeschlecht ist seinem Wesen nach metaphysisch offen und hat daher ein Schicksal. Sein Intellekt, ständig vom Geiste bedroht, liegt im Polgebiet der Achse der Natur. Hier drängt sich folgendes Bild auf: Die Eskimos wohnen am Nordpol der Erdachse - ohne es zu wissen. Das Menschengeschlecht wohnt am subjektiven Pol der Naturachse - ohne es zu wissen. Nimmt ein Polarforscher einen Eskimo mit und klärt in auf, was seine Reise zu bedeuten habe, so weiß dieser auf einmal, daß die Erde eine Achse hat und sich dreht; er kehrt als rechter Pfiffikus zu seinem Stamme heim. Ebenso klärt die Philosophie Einzelne aus dem Menschenstamme auf über die transzendentale Lage des menschlichen Geschlechtes. Von hier aus wundert sich der Mensch über sein Dasein. Sicherlich hat schon mancher genau auf den Nordpol gesessen, so daß er, wenn er es wußte, das Gefühl bekommen konnte: Die Erde dreht sich um mich. Auf dem Pol der Naturachse aber saß noch niemand, denn er würde sich dann im Paradiese befunden haben. Niemand, außer dem Menschensohn.
Alle Tiergeschlechter dagegen sind voll eingebettet in den biologischen Prozeß, der sich in der Natur, langsam verlaufend, abspielt; sie sind erklärbar aus ihrem Archetypus und ihrem Anpassungszustand. Sofern der Mensch Säugetier ist, gilt das auch für ihn, und man kann ganz unbesorgt an das Problem seiner Entwicklung herangehen, wenn man nur stets den Unterschied von seiner Abstammung im Auge behält. Aus Gründen der transzendentalen Logik ist es a priori unmöglich, daß er tierische Vorfahren habe, das heißt, daß er je etwas anderes war als Mensch. Das schließt aber nicht aus, daß er kraft seiner Eigenschaft als Säugetier den Gesetzen der Entwicklung unterliegt wie jedes andere auch. So muß er auch einmal im Wasser gelebt haben, aber nicht als Fisch, sondern als Mensch.
 

2. DAS INGENIUM LAMARCKS
Der Entwicklungsgedanke ist durch den gründenden Akt Lamarcks in die Welt gekommen; vor ihn gab es ihn nicht. Er hat ungeheures Aufsehen erregt - sogar Goethe erzitterte -, und ohne ihn ist die ganze moderne Biologie gar nicht zu denken; sie wäre ohne Schwungkraft. Man könnte von einer Initialzündung reden, die durch ihn erfolgt ist. Aber hier ergibt sich etwas sehr Merkwürdiges: der Grundgedanke Lamarcks, den er ausgesprochen hat, ist unhaltbar - trotzdem ist die Tat genial. Es gibt also so etwas wie : in actu demonstrandi falsch - in statu nascendi richtig. Dafür ist Lamarck das Musterbeispiel. Bei Goethe, dessen Grundgedanke über Entwicklung im wesentlichen stets richtig waren, lag es offenbar so, daß er die Rolle der Initialzündung nicht übernehmen konnte: es war ihm nicht gegeben, die hierfür nötigen genialen Irrtümer zu begehen - weshalb wir ja Lamarck und Darwin genii inversi nannten. Der revolutionäre und paradoxe Einschlag, der hier nötig ist, lag ihm nicht. Darum hatte Goethe zwar auf die Dauer gegen beide recht, aber er war in der Entwicklungslehre nicht der gründende, sondern der bewachende Kopf; er hatte einen sicheren Instinkt gegen jeden falschen Ton in der Wissenschaft.
Die Entwicklungslehre, die ein reichliches Jahrhundert hindurch die Welt in Atem gehalten hat, basiert auf folgenden Grund-Thesen Lamarcks:
1. Es gibt keine Arten, sondern nur Individuen. (Jenes eigentümlich Festhaltende, Sicherstellende, durch das die Individuen genötigt werden, immer wieder als Exemplare einer Art zu erscheinen, ist nur ein Begriff unserer Vernunft. Also Nominalismus.)
2. Es gibt statt dessen nur die »unendliche Entwicklung«, die durch das »autonome Leben« oder die »autonome Natur« und die »günstigen Umstände« (circonstances favorables) in sehr langer Zeit und mit unbekanntem Ziel fortschreitet.
Indem also LAMARCK in seiner Vorlesung vom 11. Mai 1800 sagte: »Ich könnte beweisen, daß es weder die Form des Körpers, noch die seiner Teile ist, die seine Gewohnheiten und seine Lebensweise veranlaßt, sondern daß es umgekehrt (sic!) die Lebensweise und alle einwirkenden Umstände sind, die mit der Zeit Körper und Körperteile formen«, so war diese Behauptung genau gegen die Grundlehre seiner Zeit gerichtet. Die Denkrevolution war nicht geringer als die, welche Kant hervorrief, als er sagte, wir leiten die Gesetze der Bewegung der Himmelskörper nicht ab, sondern unser Denken schreibt sie ihnen vor (was Kant freilich nicht ganz so gesagt hat. H. B.), und diese Lamarcksche Umkehrung in ihrer von Anfang an gegebenen begrifflichen Klarheit und Strenge war seinen Zeitgenossen eine törichte Gedankenspielerei, »ein Widerspruch gegen den gesunden Menschenverstand« (KÜHNER: Lamarck, Diederichs 1913, Seite 137). Hier haben wir, gut erfaßt, die charakteristischen Merkmale des genialen Vorganges: die paradoxe Behauptung und die Umkehrung; wir sehen das Genie am Werk, selbst Organ der Natur, von der es redet; es tastet an eine entscheidende Stelle der Wissenschaft, die sich bilden will, und vollzieht den gründenden Akt: aber die ausgesprochene These ist unhaltbar. Ein sehr merkwürdiger Vorgang.
Denn die beiden Pole, zwischen die Lamarck seine »unendliche Entwicklung« einspannt, das »autonome Leben« und die »günstigen Umstände«, genügen eben nicht, um die Erscheinung, hier also das Neuerscheinen eines Lebewesens, zu erklären. Man gerät auf unvollziehbare Gedankengebilde, wenn man sich mit ihnen begnügt. Ich trug einmal diese Lehre Lamarcks ohne die geringste Stellungnahme rein objektiv und lehrend einer jungen Studentin, die meine Schülerin war, vor und verwies dabei auf eine Vase voll Sonnenblumen, die auf dem Tisch stand. Sie hörte aufmerksam zu, als ich ihr erklären wollte, daß diese Formen, die nur der Sonnenblume eignen, eben nur durch diese beiden Elemente Lamarcks zu erklären seien; nach einer kurzen Betrachtung fuhr das junge Mädchen auf und rief: »Nein! Niemals« Das ist ja eine Entheiligung der Natur ...!« Sie hatte es richtig erfaßt.
»Ebenso begreift man« - fährt Lamarck fort -, »daß ein Strandvogel, der nicht schwimmen will, aber dennoch das Bedürfnis hat nahe am Wasser zu bleiben, um dort seine Beute zu finden, dauernd Gefahr läuft, im Schlamme zu versinken; da er nun verhindern will, daß sein Körper in das Wasser taucht, so werden seine Beine durch Gewöhnung sich strecken und verlängern. Für die Generation solcher Vögel, die in dieser Weise zu leben pflegen, wird sich dann ergeben, daß die Individuen auf lange nackte Beine wie auf Stelzen gehoben scheinen, die nämlich bis an die Oberschenkel und oft darüber hinaus unbefiedert sind...« (Kühner, Seite 139) - ja, aber das alles unter der Voraussetzung, daß der Vogel, von dem hier geredet wird, ein Storch ist, andernfalls nicht. Sonst nämlich kann er das alles gar nicht »wollen«, denn ich kann durchaus nicht wollen, »was ich will«, und der Storch auch nicht. Das »eigentliche Storchsein« aber macht es erst, daß Lamarck davon überhaupt reden und von »Entwicklung« sprechen kann. Es ist durchaus denkbar und möglich, daß die Störche vor Jahrmillionen einmal neben den Enten, und sogar »als« Enten auf dem Wasser schwammen; am Strande stehen wollen aber und nicht schwimmen, das konnten sie nur, weil sie heimlich Störche waren und keine Enten; denn diese können das nicht wollen. Schopenhauer, der in dem großen und reinen Geiste Lamarcks mit Recht seinen Vorfahren sah, hat das alles schon ganz richtig gesehen. Denn Lamarcks Begriff vom Wollen ist schopenhauerisch und richtig.
Da nun Lamarck, nachdem er einmal sein Entwicklungsgesetz aufgestellt hatte, dieses auch zu Ende dachte, so stieß er - und mit ihm alles, was später unter der Flagge »Darwinismus« segelte - notwendigerweise auf einen Anfangspunkt innerhalb der organischen Welt, und diesen nannte er die »Ur-Gallerte«; dieses Gedankengebilde tritt später als die Ur-Zelle, Ur-Protoplasma usw. auf, übernimmt aber immer dieselbe Funktion. Es ist eine einfache, homogene, also ungegliederte Eiweißmasse, deren Reaktionen auf äußere Einwirkungen aber nicht bloß chemische sind mit ihren beschränkten und daher berechenbaren Möglichkeiten, sondern vielmehr echte Reize, so daß Reizursache und die Reizwirkung inkommensurabel sind. Vorausgesetzt nun, daß es einen solchen Gegenstand in der Natur wirklich gäbe, so gibt es doch keine Möglichkeit für den Intellekt, sich vorzustellen, wie durch noch so lange Einwirkungen von außen her aus einem homogenen Schleimklümpchen je auch nur der primitivste Organismus entstehen könnte. So etwas vertrocknet oder verfault, und das tat es vor Jahrmillionen so gut wie heute. Wir stehen hier vor einem unvollziehbaren Gedankengang. Der Übergang vom bloß Organischen zu Organismus ist nicht möglich ohne Zwischenlandung. Es ist die Stelle, an der jene junge Studentin ihren Protest einlegte. Kein Intellekt vermag so etwa zu leisten. Das Naturgesetz der Entwicklung, so wie es Lamarck und Darwin fassen, das heißt ohne Archetypus, geht nicht in die anschauliche Welt über, sondern verbleibt draußen als leeres Gedankengebilde. »Begriffe ohne Anschauung sind leer« (KANT). Das aber gerade ist das Merkmal eines echten Naturgesetzes, daß es als abstraktes Gebilde der Vernunft jederzeit in die anschauliche Welt eingehen kann; hierbei gelten als unerreichtes Muster die reinen Denkgesetze, die zu Kategorien als Stützen der anschaulichen Welt erstarren.
 

3. DER DOKTRINƒRE DARWINISMUS UND SEIN HINTERGRUND
Ein jeder, der das hier Vorgetragene liest, sollte einmal mit der Strenge eines Ignatianischen Exerzitiums versuchen, sich die Vorstellung zu suggerieren, daß ein amorphes homogenes Klümpchen Gallerte durch Einwirkung von außen her ein lebendiger Organismus werde, der die Funktionen des Stoffwechsels, des Wachstums und der Anpassung ausübt, so wird er, wenn er redlich ist und keinem Massenwahn unterliegt, bemerken, daß im Augenblick, da er sich diese rätselhafte Verwandlung vorstellt, sich sofort in seinem Intellekt der Archetypus eines bestimmten Lebewesens einstellt mit charakteristischen Merkmalen (etwa eines Infusoriums), und daß ferner dieses unter dem allgemeinen Begriff der Zweckmäßigkeit steht. Das heißt: er kann sich einen lebendigen Organismus gar nicht vorstellen, ohne ihn zweckmäßig zu denken, genau so, wie die physikalischen Körper stets als schwer gedacht werden müssen. Kant nennt dieses untrügliche und immer eintreffende Gefühl die teleologische Urteilskraft. Zweckmäßigkeit ist demnach eine Prädikabilie des lebendigen Organismus (welcher Gedanke allerdings nicht von Kant ausgesprochen wurde, aber doch in der Richtung seines Denkens liegt). Da nun der Begriff der Zweckmäßigkeit seinen Sitz zunächst im Intellekt hat (denn dort treffen wir ihn zuerst), so sehen wir sofort, daß wir es hier wiederum mit der Achse der Natur zu tun haben, die sich automatisch einschaltet, wenn wir vergeblich versuchen, jenes Ignatianische Exerzitium durchzuführen. Der wissenschaftliche Scheinerfolg nun, den die ursprüngliche Entwicklungslehre Lamarcks und Darwins (kurz von jetzt an Darwinismus genannt) gehabt hat, beruht darauf, daß dieses exercitium als gelungen angesehen wurde; man unterschlug die Kontrolle eines Gedankengebildes durch die anschauliche Welt. Das aber war nur durch Gedankenlosigkeit und Massenwahn möglich. Denn hinter dem Darwinismus steht das uneingestandene Interesse der Emporkömmlinge, die in falschem Optimismus die Einsicht in die wahre Natur des Menschengeschlechtes verdrängen wollen.
Ist demnach am Anfangspunkte der biologischen Klimax der Entwicklungsvorgang ohne das Primat der archetypischen Prägung ein unvollziehbares Gedankengebilde, so gilt das auch für jede andere Stelle, an der eine Art sich aus einer andern nach diesem Schema entwickelt haben soll. Daß es überhaupt phylogenetische Entwicklung gibt und nicht nur die allbekannte Ontogenese, das entdeckt zu haben, ist das unsterbliche Verdienst Lamarcks. Daß diese aber nur unter dem Primat der Urform vor sich geht, diese Einschränkung muß sich die Lehre gefallen lassen, um aufzuhören, im Dienste von Massengelüsten zu stehen, und statt dessen in den Bildungsschatz des höheren Menschentums einzugehen. Kant und Goethe aber haben Lamarck und Darwin in Schach gehalten.
Der doktrinäre Darwinismus ist genötigt, die Entwicklung der organischen Welt an jenem Protoplasma-Punkte anzusetzen und sie bis zum Menschen durchzuführen - aus dogmatischen Gründen. Anders geht das nicht; es ist ihm nicht erlaubt, andere Faktoren in Erwägung zu ziehen, so wenig wie es etwa dem Astronomen erlaubt wäre, zu sagen, der Mond werde von der Schwere der Erde angezogen, aber auch vom Magnetismus (nur, daß die Basis der Astrophysik nicht dogmatisch ist). Und so entstehen denn jene berühmten »Stammbäume«, die wir in allen darwinistischen Lehrbüchern finden. Das ist das Ergebnis einer Zwangslage. Die freie Forschung* dagegen, die aber im übrigen den Entwicklungsgedanken annimmt, ist in der glücklichen Lage, rein empirisch vorgehen zu können. Und da stellt es sich denn heraus, daß die Abstammungslinien, die man von Fall zu Fall findet, wenn man sie bildlich darstellte, keineswegs einen »Baum« ergebe, eher noch einen Strauch mit vielen Wurzelstücken, und ich möchte auch dies noch als übertrieben ansehen und lieber das Bild von Teichalgen mit ihren unzähligen grünen Fäden wählen. Seit nämlich die nüchterne Wissenschaft der vergleichenden Anatomie eingegriffen hat, schrumpft die Zahl der Abstammungen bedenklich zusammen; das will sagen, die Zahl unableitbarer Einzelstämme ist in der Zunahme begriffen.
Den empirischen Naturalisten, wenn sie ihre dogmatischen Behauptungen aufstellen, will es durchaus nicht in den Kopf, daß der Intellekt nicht hier und da in der Natur vorkommt, wie die rote Farbe, sondern transzendental ist. Die Klügeren unter ihnen bemerken das erst, wenn es zu spät ist und sie bereits Thesen aufgestellt haben, die sie in unlösbare Widersprüche verwickeln. Hierzu gehört die These von der Zweckmäßigkeit als Ergebnis. Es sind, wie gesagt, die Klügeren unter ihnen, die nachdenklich werden, wenn man sie darauf hinweist, daß sie beim Begriff »Organismus« die Zweckmäßigkeit, ohne es zu bemerken, bereits mitgedacht haben; die anderen werden grob oder dogmatisieren weiter. Es scheint leicht, einzusehen, daß die Erfahrungswelt nicht bestünde, wenn es keine Materie gäbe, weil sonst nichts da wäre, wogegen man auch mit einem noch so mittelmäßigen Kopf stoßen könnte; daß sie aber genau so wenig da wäre, wenn es keinen Intellekt gäbe, das einzusehen, verlangt schon einen besinnlichen Kopf mit guter Schulung. - Kant war nun sehr vorsichtig und meinte, dieser Grundsatz der Zweckmäßigkeit, dem a priori alle organischen Wesen unterliegen, werden von der teleologischen Urteilskraft nur im »regulativen« Sinne gebraucht, das heißt, wir können gar nicht anders, als alle Untersuchungen über die Lebensgesetze der organischen Welt unter der stillschweigenden Voraussetzung ihrer Zweckmäßigkeit zu machen; keineswegs aber sei damit der konstitutive Charakter behauptet, durch den also die Natur selber in ihren Organismen zweckmäßig handle. Hier meldet sich einmal wieder Kants eigentümliche Scheu vor dem Objekt. Denn es hieße doch, die Organismen nur mit der Brille der Zweckmäßigkeit betrachten, wollte man sich mit der bloß regulativen, also subjektiven Bedeutung begnügen. Es muß doch, sagt man sich ganz unwillkürlich, dieser Notwendigkeit im Subjekte etwas im Objekte entsprechen, worauf sie sich gründet, denn sonst ginge es um einen bloßen Zwangsgedanken, nicht aber um Notwendigkeit. Und in der Tat gibt es dieses im Objekt: es ist der »Wille in der Natur« im Sinne Schopenhauers. Da jedes Lebewesen Materie ist, also von innen gesehen Wille, so wird es klar, daß alle seine ƒußerungen zweckmäßig sein müssen, eben, da sie ja gewollt werden, und der Wille stets im Sinne der Zweckmäßigkeit verfährt, ohne es zu wissen, versteht sich. Denn daß in der Natur außerhalb des Menschen irgendwo bewußter Wille vorkäme, das hat noch niemand vertreten. Der Vogel baut sein Nest zweckmäßig, weil er es so bauen will; würde er das auch wissen, so würden die Nester an naturgeborener Sicherheit verlieren, so wie die Bauwerke der Menschen, an denen alle paar Jahrzehnte etwas zur reparieren ist. Aber auch Wachstum, Stoffwechsel und Anpassung sind zweckmäßig, weil ihnen der Wille dazu zum Grunde liegt. Das also ist das objektive Korrelat zur teleologischen Urteilskraft, mit ihr verbunden durch die transzendentale Kontinuität der Natur.
 

4. ANPASSUNG, VERERBUNG, MUTATION
Die Anpassung hat nicht etwa, wie das in den Darstellungen der darwinistischen Litteratur oft zu klingen scheint, einen Sonderauftrag zu Zwecken der Entwicklung, sie liegt nicht außer der Reihe, sondern sie gehört zusammen mit Stoffwechsel und Wachstum zu den drei Grundfunktionen des Organismus im Dienste der Zweckmäßigkeit. Jedes organische Lebewesen ist stets, mehr oder minder gut, an seine Umgebung angepaßt und vollzieht diese Funktion als ständige Tätigkeit, genau wie den Stoffwechsel und das Wachstum. Die Anpassung beginnt auch nicht etwa an einem Tage und hört dann auf, sondern sie ist immer da, und das Lebewesen würde baldigst sterben, wenn sie aussetzte, genau so, wie es stürbe, gäbe der Stoffwechsel seine Tätigkeit auf. Nicht angepaßte Lebewesen gibt es nicht. Anpassung ist es, wenn die Miesmuschel (Mytilus edulis) im harten Schlag der Meeresbrandung dicke Schalen bildet und nach der Dreikantform strebt, während sie im Teichwasser dünnschalig bleibt und flache Form annimmt; Anpassung ist die Tätigkeit der Pupille, die die Lichtzufuhr zum Augenhintergrund regelt. Die Anpassung sieht also nicht etwa so aus, wie wenn ein Kaufmann in eine kleine Stadt zieht und sich nun, was den Einkauf seiner Waren angeht, den Bedürfnissen der Einwohner anpaßt, wobei, was er selber ist, gar nicht ins Gewicht fällt. Beim Anpassungsvorgang der Lebewesen wird vielmehr der Umwelt ein charakteristisch geprägtes eigenwilliges Wesen entgegengesetzt, und es spielt sich zwischen diesen beiden ein Ausgleichsvorgang ab, der fast der Beziehung zwischen einem Sinnesorgan und der äußeren Erregung gleicht. Die Anpassung ist etwas Produktives, denn sie schwingt in Wirklichkeit nicht zwischen den empirischen Einzeldingen der Umwelt und dem einzelnen Organismus, sondern zwischen deren Archetypen. Es ist ja wunderbar, zu sehen, wie schnell sie oft wirkt; gewisse Meerespolypen - Tintenfische -, wenn sie auf dem hellen Sandboden kriechend in die Nähe eines dunklen Steines kommen, erhalten plötzlich eine dunkle Schutzfärbung nur auf der einen, dem Steine zugewandten Körperhälfte, während die andere in der hellen, dem Sande angepaßten Schutzfärbung verbleibt. Man wird ein solch erstaunliches Phänomen - das ich selbst im Aquarium beobachtet habe - nicht durch unmittelbare Einwirkung des Steines auf die Haut erklären wollen, sondern wir stehen hier im sehr geheimnisvollen Tätigkeitsbereich der Anpassung, die auf den archetypischen Willen zurückgeht, einen Willen freilich, zu dem uns alle Analogien aus dem Menschenleben fehlen. Die Anpassung ist demnach - kantisch formuliert - »von transzendentaler Bedeutung« und steht in »transzendentalem Gebrauch«, nur eben nicht auf die Erkenntnis bezogen, sondern auf den Willen.
Ganz langsame, erst in Generationen fest werdende Anpassungen sind dagegen etwa der gesteigerte Haarwuchs bei zunehmender Kälte der Umwelt. Das Mammut hat seine lange zottige Fellbekleidung deshalb bekommen, weil die ehemals in tropischem Klima stehende Gegend Nordsibiriens, in der wir heute seine Reste im Eise finden, durch eine Polverlagerung von einem starken Kälteeinbruch bedroht wurde. Vorher müssen wir und das Mammut nach Art des indischen Elefanten haarlos denken. Um dieser zunehmenden Kälte entgegenzuwirken, setzte die Anpassung ein, und es kam zu verstärktem Haarwuchs. Was den Wettlauf zwischen Kälte und dem Haarwuchs nicht mitmachen konnte, ging zugrunde, das andere verbesserte seinen Fellbesatz nach dem Ausleseprinzip durch die Vererbung, und so entstand allmählich das uns bekannte Mammut mit dem zottigen warmen Fell; die übergroßen Stoßzähne dagegen, die es charakterisieren, kann man nicht aus der Anpassung erklären, sondern sie sind freies Spiel der Natur, wie das Geweih des Edelhirsches. - Aber man kann den ganzen Vorgang auch anders sehen: das Mammut lebte früher haarlos in tropischen Zonen und bekam plötzlich, durch Mutation, verstärkten Haarwuchs und zottiges Fell, so daß ihm das heiße Klima unerträglich wurde; es wanderte daher in die subarktischen Gegenden aus, wo es leichtere Anpassungsbedingungen fand. Beide Auffassungen sind möglich und enthalten keine jener unerträglichen Zumutungen an den Intellekt, wie sie sonst im darwinistischen Lager gang und gäbe sind. -
Stellt man sich auf der andern Seite etwa ein langsam austrocknendes Meer vor, das die Fische in ähnliche Verlegenheit setzt wie jene Vorfahren des Mammut, so ist damit keineswegs gesagt, daß sie etwa die Seitenflossen zu Füßen umbilden, sondern die Fische gehen einfach sang- und klanglos zugrunde. Was aber an Amphibien und Reptilien im Laufe der Erdgeschichte aus dem Meere aufgestiegen ist und sich zu Landtieren umbildete, das war dazu archetypisch präformiert. Anpassung ist eben immer ein kritisches Frage- und Antwortspiel zwischen zwei ebenbürtigen Gegnern: dem Archetypus einer Tierart und dem archetypischen Potential seiner Umwelt. Er und Es antwortet aus der Machtvollkommenheit des Naturhintergrundes, und dieses Er und Es muß vorhanden sein in des Wortes tiefster Bedeutung, ((ontos on)), um das ganze Schauspiel der Entwicklung durch Anpassung zustande zu bringen, das wir bewundern. Jener Krämer, der sich »den Bedürfnissen des Publikums anpaßt«, kann selber eine Null sein. Natur aber ist er niemals.
In der Entwicklungslehre ist Lamarck der gründende Genius; er hat als erster diesen paradoxen und für seine Zeit schreckenerregenden Gedanken gefaßt. DARWIN dagegen fügte ihm die Begriffe der »natürlichen Zuchtwahl« und des »Kampfes ums Dasein« hinzu, die aber den Entwicklungsgedanken selber schon voraussetzen. Beides sind durchaus geglückte Einfälle, die man nie wieder vergessen wird: nur eben gerade das Dogmatische an ihnen, nämlich daß durch sei, ohne archetypische Präformation, neue Arten von außen her entstehen, ist unhaltbar. Natürliche Zuchtwahl und Kampf ums Dasein spielen bei der Verbesserung der Art und der Ausbildung von Varietäten eine Rolle, auf die Art selber aber haben sie keinen Einfluß, denn diese ist jedesmal vorher da. Und nur, was in ihr enthalten ist, kann im Prozeß der »unendlichen Entwicklung« herauskommen. Der Archetypus aber ruht - als Idee - im Objekt und zugleich - als Begriff - im Subjekt. Nur weil es so ist, kann es Entwicklung geben und diese zugleich in der Wissenschaft begriffen werden. Hoc signum naturae.

Darwins Beitrag zur Entwicklungslehre betrifft besonders das Gebiet der Vererbung. Der allgemein von der Wissenschaft anerkannte Satz über sie lautet: Erworbene Eigenschaften vererben sich nicht, sondern nur angeborene. Mit der Zuverlässigkeit dieses Satzes wird man im allgemeinen gute Erfahrungen machen, allein es gibt doch Ausnahmen, die zu einer anderen Fassung zwingen. So behaupten unsere theoretischen Physiker bereits, sie könnten durch künstliche Umlagerung im atomaren Gefüge der Keimzellen vererbliche Mutationen hervorbringen. Ferner aber haben wir im Falle des Judentums das Beispiel einer persistenten Rasse durch einen nur ihm eigentümlichen Erbreiz, der, bei Abram, von außen her kam und keinerlei Merkmale des Angeborenseins bei sich trug; ein gewichtiger ethischer Impuls lagerte hier die Keimzellen um. Damit also Vererblichkeit entstehe, ist im wesentlichen nötig, daß irgend etwas auf die Keimzellen in ihrer Funktion Einfluß gewinnt; angeborene Eigenschaften tun dies ohne weiteres, denn sie haben ja in denselben Keimzellen ihre Basis, und ihre Häufung durch künstliche oder natürliche Zuchtauswahl verstärkt sie in der Nachkommenschaft oft so weit, daß sie zum dominierenden Merkmal werden. Aber es gibt doch eben auch erworbene Eigenschaften, denen der Sprung ins Gefüge der Keimzellen gelingt. Diese sind ja die einzigen im Organismus, die einen unmittelbaren Anschluß an den Archetypus haben; sie stehen in seiner Vollmacht und zeichnen für ihn. Der Vererbungsvorgang ist, wie die Anpassung, immer eine vollgiltige Antwort des Organismus aus dem Grunde seines archetypischen Potentials heraus auf den Erbreiz - der hier generativ die Rolle spielt, wie das Motiv bei der Handlung des Individuums -; er ist aber die bloße Ursache, nicht der Grund. Es hängt alles davon ab, ob dieses tiefste Wesen eines Organismus angesprochen wird oder nicht. Bei Abram war dies der Fall, als er die Worte hörte »Gehe aus deinem Vaterlande...«, und weil er aus Freiheit gehorsam war, deshalb wurden diese Worte Erbreiz und die Erfüllung trat ein: »und ich will dich zum großen Volke machen«. Bei den Griechen, die den Auftrag der Schönheit hatten (um es einmal irgendwie auszudrücken), wurde dieser nicht zum Erbreiz gesteigert, und darum gibt es auch heute keine Griechen mehr. Es wird auch bald keine Deutschen mehr geben, es sei denn im ethnologischen Sinne. Hier ist ein historischer Moment verpaßt worden oder auch vertan.
Zu erinnern ist hier noch an das Weismannsche Gegenexperiment, das dem hemmungslosen Erblichkeitsglauben der Darwinisten Paroli bieten sollte. Weismann schnitt Mäusen zweiundzwanzig Generationen hindurch die Schwänze ab, ohne daß sich auch nur die leiseste Verkümmerung bei den Neugeborenen zeigte. Nun ist ein abgeschnittener Schwanz gewiß keine angeborene Eigenschaft, ja nicht einmal ein erworbene, sondern ein Unglück. Das Experiment trifft also doch die Erblichkeitsvorstellungen des alten rechtgläubigen Darwinismus nicht. Denn der verstärkte Haarwuchs des phylogenetisch entstehenden Mammut ist eben durchaus zugleich eine angeborene (nämlich als Möglichkeit) wie auch eine erworbene Eigenschaft. Indessen gab dieses Experiment zu einem wahrhaft tiefsinnigen Witz Bernhard Shaws Veranlassung, der bemerkte: man hätte, um erbliche Schwanzlosigkeit zu erzeugen, den Mäusen vorher diese als Ideal hinstellen müssen; was genau den Nagel auf den Kopf trifft.

Das Phänomen der Mutation hat von jeher als ein schwerwiegender Einwand gegen den Darwinismus gegolten, und das ist es auch. In meinem Gartenteich wimmelte es vor Jahren von Hunderten und Tausenden von Kaulquappen. Plötzlich entdeckte ich unter ihnen eine, die anstelle der dunklen Schutzfärbung eine silbrig-goldene hatte etwa nach Art der Goldfische. Es war ein ganz sonderbarer Anblick und bemerkenswert, das dieses Tier ja von denselben Eltern abstammte, wie seine dunkelhäutigen Geschwister. Da es mich - wegen des aristokratischen Motives der Natur - besonders lockte, wollte ich es am nächsten Tage fangen und separieren, um zu sehen, was daraus würde. Aber da kam eine Wildente und schnappte es mir fort, aus naheliegenden Gründen. Hier hatte ich aber eine echte Mutation vor mir; das heißt: plötzlich springt eine deutlich betonte und stark verschiedene Variante aus einer Tierart heraus, die nun, je nachdem, auf welche Anpassungsverhältnisse sie stößt, sich entweder erhält oder untergeht. Diese Mutationen machen am meisten von allen biologischen Geschehnissen den Eindruck von Schöpfungsakten; jedenfalls entspringen sie einem freien Spiel der Natur, das seine ganze Kraft aus dem archetypischen Potential schöpft.
So aber müssen wir uns überhaupt die »Entstehung der Arten« vorstellen. Wenn wir in paläontologischen Lehrbüchern lesen, daß in diesem oder jenem Erdzeitalter irgendeine neue Art »plötzlich auftaucht«, um dann wieder zu verschwinden, so sind das eben solche freien Spiele der Natur, auf denen überhaupt der ganze Reichtum an Arten beruht. Denn eines ist doch nun einmal ganz sicher: aus dem bloßen Spiel zwischen einem amorphen und »autonomen Leben« (Wille zum Dasein) und den äußeren Umständen, die das Motiv zur Anpassung werden, läßt sich niemals die charakteristische Gestalt eines Lebewesens erklären (man denke an jenen Protest der jungen Studentin!), sondern diese geht allemal unmittelbar auf den Archetypus zurück, dessen eine Funktion die Bildung eben dieser Gestalt selber ist, dessen andere aber die des Begriffes, vermöge dessen ich sie erkenne. So wenig sich die bildenden Kräfte der Natur aus den bewegenden ableiten lassen, so wenig die spezifische Gestalt aus dem Spiel von autonomen Leben und Anpassung. Denn es muß vorher ein vollgiltig gestaltetes Lebewesen da sein, das sich anpassen kann oder nicht; der Vorgang muß ein Subjekt haben, sonst ist eine Aussage über ihn wohl grammatisch, nicht aber empirisch möglich.
 

5. DIE UNABLEITBARKEIT DES MENSCHENSTAMMES
Das Kapitalstück der Entwicklungslehre, das ihr so großes Ansehen verschafft hat, ist die These von der Abstammung des Menschen vom spezifischen Tier, also vom Affen. Zur Rede steht also nicht die Entwicklung des Menschen innerhalb des eignen Stammes - die es gibt und geben muß -, sondern die Abstammung von einem andern Stamm, die es nicht gibt und nicht geben kann. Zur Rede steht daher auch nicht die allgemeine Zugehörigkeit des Menschen zu den höheren Säugetieren - zu irgend etwas muß ein Lebewesen ja schließlich gehören -, sondern die phylogenetische Deszendenz von einem bestimmten Säugetier.
Wenn man sich vor Lamarck die Gestalt des Menschen zugleich mit der einiger höherer Affenrassen ansah, so konnte man lächelnd daran vorbeigehen und die auffallende ƒhnlichkeit einem Spiel der Natur zuschreiben. Nachdem aber Lamarck den Gedanken der Entwicklung ausgesprochen hatte, konnte man das nicht mehr. Es ist aus mit aller Naivität, und auf einmal steht das große Fragezeichen der Abstammung eines vom andern da. Dieses streckt sich schnell in ein Ausrufezeichen, und im Laufe eines Jahrhunderts erweist sich der Gedanke als unwiderstehlich. Er nimmt Zwangscharakter an, politisiert sich und gerät damit unter das Gesetz des Massenwahns. Man spricht daher mit Recht von einem »demagogischen Darwinismus«, der, Staatsdoktrin geworden, sogar ausgesprochen diktatorisch-autoritative Formen annimmt. - Warum das...? fragt man sich. Lamarcks reservatio mentalis ist längst vergessen worden. Man meint, wenn man von der Abstammung des Menschen spricht, diesen ganz und gar samt seinen »höheren Eigenschaften«. Also genau so, wie ein jeder von seinem Vater abstammt, nur eben phylogenetisch gedacht.
Wenn man sich nun statt der sichtbaren Gestalt Affe und Mensch die des Hundes, des Wolfes, des Schakals, der Hyäne und des Fuchses ansieht, also die Gruppe der Caniden, und ihr Vorstellungsbild auf sich wirken läßt, so wird man auch an Hand des Entwicklungsgedankens zunächst auf das Ergebnis kommen: hier müssen Abstammungsverhältnisse vorliegen; die Natur hat diese Arten nicht als einzelne seit Urzeiten nebeneinander geschaffen, sondern es ist entweder eine davon die älteste, die Primitivform, und die andern haben sich daraus spezifiziert - oder sie sind alle miteinander, also die ganze Canidengruppe, spezialisierte Abkömmlinge einer heute ausgestorbenen Art. Denn das eben sagt ja der, an sich richtige Entwicklungsgedanke. Nur die Erfahrung aber, geleitet von den phylogenetischen Einzelgesetzen, kann lehren, in welcher Reihenfolge das geschah, das heißt, wer von wem abstammt. Bei der Canidengruppe hat diese Reihenfolge nur Fachinteresse, und niemand wird sich darüber aufregen, wenn es eines Tages wieder einmal heißt: nein, nicht diese Art ist die ältere, sondern jene, aus diesen und jenen Gründen. Ganz anders bei der Beziehung AffeóMensch. Hier wurde die Reihenfolge von vornherein dogmatisch entschieden. Man kam gar nicht auf den Gedanken, daß sie anders verlaufen könnte als vom Affen zum Menschen, denn das Dogma vom ständigen Aufstiege des Menschengeschlechtes war ein eingewurzeltes Geistesgut geworden. Die Naturforscher, die sich doch sonst etwas darauf zugute tun, dem Menschen jede Sonderstellung in dem, was sie Natur heißen, zu versagen, hätten diesen Grundsatz doch auch hier anwenden sollen, denn, was den Caniden recht ist, das ist den »Anthropoiden« und Pithekoiden billig. Aber nein! Es ist selbstverständlich, daß der Mensch der letzte Abkömmling ist, denn er ist ja die Krone der Schöpfung, und diese wird zuletzt aufgesetzt. Der Siegeslauf des Darwinismus konnte nicht ausbleiben, denn hinter ihm standen die stärksten Affekte des Jahrhunderts. Nichts ehrt ja den Bürger dieses Zeitabschnittes mehr, als wenn man von ihm sagt: er ist früher ein ganz kleiner Mann gewesen, und seht, was Tüchtigkeit und Ausdauer alles zustande bringen! Einen kleinen Mann in großer Aufmachung, sonst nichts. Jener Krämer, der sich in der Kleinstadt mit nichts und als nichts niederließ, sich den Bedürfnissen der Umwelt anpaßte und so den Kampf ums Dasein siegreich bestand, das ist das Ideal jenes Jahrhunderts. Der hierin enthaltene impetus gibt sowohl die bewegende Kraft für die politischen Umwälzungen seit 1789 her, als auch die affektive Stütze für den Darwinismus als einer Emporkömmlingslehre. Ein Greuel dagegen ist dieser Zeit, daß jemand kraft natürlichen, archetypisch besiegelten Privileges mehr ist als ein anderer und demnach über Kräfte und Einsichten verfügt, die nicht auf dem Wege der Anpassung erworben sind.
Nun aber trat in der Geschichte der Entwicklungslehre das Sonderbare ein, daß die Frage nach der Reihenfolge der vorgeblichen Abstammung des Menschen vom Affen doch von besonnenen Forschern angepackt wurde, und daß dabei folgendes verblüffendes Ergebnis herauskam:
1. Eine Abstammung des Menschen vom Affen ist aus Gründen der vergleichenden Anatomie unmöglich.
2. Die tatsächliche Beziehung, die hier vorliegt, ist entweder die, daß die beiden Stämme phylogenetisch nichts miteinander zu tun haben, der Mensch jedenfalls ein eigner uralter Stamm ist. Oder, wenn man ein Abstammungsverhältnis annehmen will, so nur umgekehrt eines des Affen vom Menschen.
Die Hauptstütze für die neue Auffassung der Unableitbarkeit des Menschenstammes von tierischen Vorfahren bildet das »Gesetz der Nichtumkehrbarkeit« von DOLLO-ABEL. Es besagt, daß Organe und Glieder, die sich bei einer bestimmten Art weitgehend spezialisiert haben, nicht mehr zurückgebildet werden können, sondern samt der Art entweder stehen bleiben, oder sich noch weiter in derselben Richtung spezialisieren, wobei die Art allmählich biologisch in eine Sackgasse gerät und ausstirbt. Neuentwicklungen sprießen immer nur aus Primitivformen, die noch Möglichkeiten der Spezialisierung in sich enthalten. Nun sind alle Affenarten weitgehend spezialisiert und zwar zum Leben auf Bäumen, wofür ihre Gliedmaßen, die langen Arme und ihr Kletterfuß Zeugnis ablegen. Ihnen gegenüber ist die Gestalt des Menschen eine Primitivform und biologisch älter als der Affe. Entweder also (wenn man auf dem darwinistischen Standpunkt verharren will) man widerlegt das Dollo-Abelsche Gesetz, auf dem die ganze paläontologische Wissenschaft beruht, oder man gibt Rechenschaft darüber, wo die höheren Affenarten im Verlauf ihres Entwicklungsweges zum Menschen ihre langen Arme stehen gelassen haben.
Die Auffassung, daß Mensch und Affe zwei unabhängige, getrennte Stämme sind, so also, wie zwei Spargeltriebe nebeneinander aus dem Wurzelstock sprießen, wie von Max Westenhöfer u. a. vertreten. Sie ist die nüchternste und damit das Minimum, das man sagen kann; denn es gibt natürlich keine »Zwischenglieder« zwischen Affe und Mensch, und alles, was an dergleichen gefunden zu sein scheint, ist entweder Affe oder Mensch in Kümmerform. Die andere Auffassung dagegen, daß der Affe ein Abkömmling des Menschen sei und schon früh aus dessen Stamm »entlassen«, ist die von Edgar Dacqué, der über sein vorbildliches Fachwissen hinaus noch über geniale Substanz verfügt. Stimmt man dieser Auffassung zu, für die sich ein meßbar wissenschaftlicher Beleg freilich nicht recht finden lassen will, so stößt man allerdings auf »Urszenen des Menschengeschlechtes« (NIETZSCHE), die an Großartigkeit nichts zu wünschen übrig lassen. Solch eine entwicklungsgeschichtliche Entlassungsszene muß ein Ausmaß gehabt haben, wie das der »Vertreibung aus dem Paradiese«, die in der plötzlich einsetzenden Trennung von Verstand und Vernunft ihren Grund hat. Da diese ungeheuerliche Umkehrung des à tout prix falschen Gedankens Darwins aber von einem genialen Menschen stammt, so verlohnt es sich, sie im Auge zu behalten; vielleicht, daß man von anderweit her auf sie gestoßen wird.
Man kann vom heutigen Zustand der Entwicklungslehre sagen, daß sie in ihren Grundzügen abgeschlossen ist, und daß im Lager ihrer Wissenschaft Friede herrscht. Es scheint das Stadium erreicht zu sein, das die Astronomie mit Newton erlangte. Weiter geht es, wie dort, nur über die Philosophie. Man weiß und man erkennt an, daß die Gestalt jeweils das erste ist, und daß sie - unerklärbar - aus dem freien Spiel der Natur ihren Ursprung nimmt. Sie ist unableitbar aus den Schicksalen, die das Gestaltgewordene, also die tatsächlich lebenden Organismen, in der Auseinandersetzung mit der Umwelt erfährt. Anpassung, Kampf ums Dasein, Vererbung spielen sich am Rande der Entwicklung ab, nicht im Zentrum, und sind als wirkende Kräfte schwächer als die aus dem archetypischen Potential der Natur stammenden Schöpfungsakte. Die Namen Lamarck und Darwin werden mit Respekt genannt, denn durch sie erfolgte die Initialzündung für die ganze Entwicklungslehre. Ihren Totalitätsanspruch freilich lehnt man ab. So kann man in der ganzen Geschichte dieser Wissenschaft von einem heimlichen Siege der platonischen Ideenlehre sprechen, was niemand mehr ernsthaft bestreitet. Damit hat dann freilich auch das erste Buch Genesis gesiegt, und die Hauptbedeutung der alten Entwicklungslehre liegt in ihrer Widerlegung. Die Natur ansehen, als ob ihre Gegenstände Dinge an sich seien, das dürfen die Physiologen; von dem Augenblick an, wo man nach ihrer letzten Herkunft fragt, also nach den Arten, treten diese Objekte notwendig als Erscheinung auf; dadurch wird der kantische Standpunkt unwiderruflich.
Trotz dieses Friedens intra muros ist aber ein militanter Darwinismus übriggeblieben, der keine Ruhí geben will. Er ist tendenziös, steht im Dienste der Emporkömmlingswünsche und vertritt im besonderen die Meinung, daß die Werte des höheren Menschentums sich aus den niederen ableiten ließen. Das ist also noch ein Schritt weiter in die eigentliche Menschennatur hinein. Wird ein solcher Darwinismus nun Staatsdoktrin, so kann er lebensgefährlich werden für ein ganzes Volk, das sich ihm unterwirft, und ist es geworden. Hier richtet sich auf einmal unversehens die Rassenfrage auf.
*
Dem Darwinismus ist der Vorwurf gemacht worden, daß er von der Religion ablenke. Mein Großvater sagte: »Wenn der Mensch vom Affen abstammte, so könnte er das Wort Gottes nicht hören.«
Die Buchstabengläubigen wollen das Sechstagewerk retten; aber darauf kommt es nicht an. Die Rechtgläubigen wissen, daß die Welt Schöpfung ist, und das allein entscheidet.
Ein hohes Verdienst um die Widerlegung des Darwinismus erwarb sich im Anfang dieses Jahrhunderts der junge Denker Max Steiner mit seinem Buch: »Die Lehre Darwins in ihren letzen Folgen«. Er vertrat als Jude in Preußen einen konservativ-christlichen Standpunkt.
 

6. DIE DREIFACHE GLIEDERUNG DER RASSENFRAGE
Auch über den Rassenbegriff gibt es nicht mehrere Arten zu denken, sondern nur eine, die von der Natur und, beim Menschen, von der Geschichte vorgeschrieben ist. Um den am tiefsten in der Natur verankerten Begriff von Rasse, den ich den anthropologischen nennen will, zu verstehen, ist ein Rückgriff auf die anschauliche Welt vonnöten. Ich bin mir bewußt, daß das, was ich hier vorzutragen habe, keine andere Stütze hat, als eben diese anschauliche Welt und ein dabei auftretendes Gefühl im Subjekt, das der Urteilskraft angehört, und zwar der ästhetischen zunächst, dann aber auch der moralischen. Bei wem dieses Gefühl nicht eintritt und wer statt dessen in die begriffliche Welt zurückspringt, dem vermag ich mich nicht verständlich zu machen. Ich müßte ihn nur bitten dieses »das verstehe ich nicht«, das hier einsetzt, nicht für eine Grenze der Dinge zu halten, sondern für die Grenze seines Verstandes.

a) Die beiden anthropologischen Rassen
Lamarck vertrat bekanntlich die Ansicht, daß einige Schwimmvögel, wie Gans und Schwan, deshalb im Laufe der Zeit einen so langen Hals bekamen, weil sie die Gewohnheit hatten, ihre fischige Nahrung tief unter sich im Wasser zu suchen. Unter Vorbehalt des archetypischen Primates mag das hingehen, und bei der Gans besonders kann man die Länge des Halses als Anpassungserscheinung begreifen; die Ente ist bescheidener gewesen, eben weil sie Ente ist. Beim Schwan dagegen genügt diese Erklärung offenbar nicht; hier bekommen wir den Eindruck, als ob die Natur noch mit besonderen Kräften aus ihrem archetypischen Haushalt herausgekommen sein und als freies Spiel die Gestalt eines edlen Tieres hervorgebracht habe im Gegensatz zu seinen ordinären Verwandten. Der Schwan hat nicht nur einen längeren Hals, als Gans und Ente, er trägt ihn auch anders. Das ist der Ort, an dem die transzendentale Besinnung einsetzen muß und fragen: ist dieses Edle ((to eugeneos) ein Spiel der menschlichen Phantasie oder gründet es objektiv in der Natur und hat seine Entsprechung im Subjekt?
Die Natur hat dieses Schauspiel noch mehrere Male wiederholt und zwar vorzugsweise bei nahe verwandten Arten; so setzte sie neben den ordinären, aber tüchtigen Esel das edle Pferd; die Betonung des Edlen beim Hirsch geschah indessen nicht so ausgeprägt auf Kosten des Damwildes. Aber es genügt, dieses Beispiel anzuführen, die doch auffallen und für die eine Erklärung aus bloßer Anpassung nicht ausreicht. Vielmehr ist hier etwas betont, das unser ästhetisches Wohlgefallen in besonderer Weise anregt. Wir gehen aber noch weiter und sagen, daß der Widerhall dieses seltenen Schöpfungsprinzips in der Natur auch in der Ethik spürbar ist - denn sonst gäbe es nicht Handlungen des Menschen, die wir unverkennbar als solche des Edelmutes verstehen, und die sich sowohl von den guten Handlungen aus dem Gesetz, wie von den Handlungen aus Güte, getrennt vom Gesetz, immerhin noch unterscheiden.
Wenn im dreiundzwanzigsten Gesange der Ilias Achill dem flehenden Priamos die Leiche seines Sohnes, die er noch eben zu Ehren des Patroklos zu schänden gewillt war, zurückgibt, so entspringt diese Tat nicht etwa dem Gebot der Nächstenliebe oder einem dumpf gefühlten Vorläufer davon, auch nicht der Güte, denn die gab es im vorchristlichen Altertum nicht, sondern dem Edelmut, den er besaß, weil er aus edlem Stamme war. - Im zweiundzwanzigsten Gesange der Odyssee ruft Odysseus die alte Schaffnerin Eurykleia in den Saal herein, in dem die blutigen Leichname der Freier regellos umherliegen:
Als sie nun die Erschlagenen sah und die Ströme des Blutes,
Wollte sie laut aufjauchzen ob seiner gewaltigen Werke.
Aber Odysseus hielt sie zurück und wehrte dem Eifer.
Und er begann zu ihr und sprach die geflügelten Worte:
»Freu dich im Herzen, Alte, und hüte dich, laut zu frohlocken!
Sünde wärís, über tote Feinde offen zu jauchzen.
Diese vertilgte der Götter Gericht und ihr böses Beginnen.«
    Od. XXII, 407 ff. (Voss)
Auch diese Haltung des Odysseus gründet sich naturunmittelbar auf seiner edlen Abstammung, und jeder Versuch, sie aus dem Sittengesetz abzuleiten, würde sie nur innerlich unwahr machen. - Bis an die Grenze der Bewußtheit, also der Gefährdung, gelangt das Gefühl der adligen Abstammung und der auf ihr sich gründenden Souveränität beim Telamonier Aias. Dieser hatte im Kampf um die Leiche des Achill die entscheidenden Schläge geführt und sie gerettet: ihm gebührten daher nach altem Kriegsbrauch die Waffen. Beim Schiedsgericht aber betrogen die Atriden und Odysseus ihn um sie. Darüber gerät sein Ehrgefühl in fassungslose Wallung und er beschließt, seine Feinde zu ermorden. Durch den Eingriff der Athene wird er vom Wahnsinn befallen und er stürzt sich statt auf jene auf eine Schafherde und richtet unter ihr ein Blutbad an. Beim Erwachen aus seinem Wahn sieht er, was er angerichtet; er kann den drohenden Triumph seiner Feinde und den Hohn des Volkes nicht ertragen und beschließt sich in sein Schwert zu stürzen. Aus dunklen Andeutungen, die er macht, errät Tekmessa, sein kriegsgefangenes Weib, den Plan und bestürmt ihn, davon abzulassen; denn was solle sie und ihr Sohn Eurysakes machen ohne ihn, Aias, den Vater und Beschützer. Das Los der Knechtschaft sei ihnen gewiß, denn sie sein, obwohl königlichen Stammes, nur Kriegsbeute und niemand würde in ihr die Gemahlin des Telamoniers ehre. Beim Hören dieser Verse aus Sophoklesí Aias ist es schwer der Tekmessa nicht zuzustimmen, und der Chor tut es auch; fast erwartet man einen Umschwung in der Seele des Todbereiten. Aber es folgt nur noch ein harter Wortwechsel, und die letzten Worte, die Aias zu seiner Gattin spricht, lauten: »Töricht denkst du, wenn du jetzt in dieser vorgerückten Stunde glaubst, meinen Charakter schulmeistern zu können.«* Dann setzt der Chor ein mit dem Lied auf Salamis. - Das Wort »ethos« aber, das hier Sophokles den Aias für seinen innersten Charakter gebrauchen läßt, zeigt die Konfliktstelle zwischen den Handlungen aus adligem Stamm und den moralischen Vorhaltungen, die sich im Recht befinden. Denn zweifellos liegt dieses auf seiten der Tekmessa, aber die heldische Handlung des Aias erfolgt trotzdem aus dem unergründlichen Charakter der adligen Natur. Auf einmal steht - das ist das Wunder - der Hörer auf der Seite des Helden. Das aber könnten wir gar nicht, wenn nicht in uns selber etwas wäre, das uns die tiefe Naturgeborgenheit des Edlen - das nicht das Moralische ist - verbürgt. Die nachhaltige Wirkung des Epos aber beruht eben darauf, daß in ihm Menschen handeln, die einer höheren Rassen angehören, Aristoi, und deren Taten und Leiden wichtiger sind als die der anderen, die bestenfalls moralisch verlaufen können. - Das alles aber, was hier als Beispiel vorgetragen wurde, ist die Stelle, auf die NIETZSCHEs Ethik hinaus will, die er mit Recht, »Immoralismus« nannte. Der Verlust der adligen Substanz ist in der Tat ein unersetzbarer und hat mit transzendentaler Notwendigkeit den Niedergang des Menschentums zur Folge.
Man muß nach der tiefsten Wurzel für dieses Erscheinungen suchen, und man findet sie in der anschaulichen Welt beim Abstammungsgrunde des Menschen. Sehen wir die beiden Stämme Affe und Mensch wie zwei Spargeltriebe nebeneinander aus dem gemeinsamen Boden der Säugetiergattungen aufschießen, so fällt uns gestaltmäßig sofort ins Auge, daß hier das Gleiche im Spiele ist, wie zwischen Gans und Schwan, Pferd und Esel, und zwar sehr deutlich betont. Zwischen jedes dieser Paare hat die Natur die Zeugungsschranke gesetzt, wenn ihre Hand auch ihn und wieder unsicher ist; wo Begattungen stattfinden, wie zwischen Esel und Pferd, da sind die Bastarde unfruchtbar. Durch die Zeugungsschranke will die Natur betonen, daß hier die Grenze einer echten Art liegt; sie sichert sie dadurch, wie als ob sie sagen wollte: »Ich habe mit dem Pferd durchaus etwas anderes gemeint, als mit dem Esel!« Nun ereignet sich aber beim Menschen, dessen Zeugungsschranke zum Affen hin völlig unübersteiglich ist, das Verhängnisvolle, daß dieses gesonderte und abgesonderte Säugetier in sich selbst diesen paarigen Vorgang noch einmal durchmacht, ohne daß die Zeugungsschranke auftritt. Das heißt, die Menschheit ist in sich selbst in zwei Rassen aufgegliedert, von denen die Ordinäre, die andere das Edle darstellt, genau so wie Gans und Schwan, Pferd und Esel. Das ist der anthropologische Rassenbegriff, dem die ganze Menschheit unterliegt, abgesehen davon, in wieviel ethnologische Rassen sie noch im übrigen eingeteilt ist.
Diese Lehre von der Allogenität des Menschengeschlechtes ist mir vor einem Vierteljahrhundert eingefallen, und ich habe sie hier und da verwendet, manchmal zu weitgehend, dann wieder sehr eingeschränkt. Da mir jede Überzeugungstreue fehlt, ließ ich sie viele Jahre liegen und hielt sie fast für einen Irrtum; aber die Treue lag auf ihrer Seite und ich konnte mich ihrer schließlich nicht erwehren, nachdem die Ereignisse der letzten zwölf Jahre mir ihre Wahrheit erneut aufgedrängt haben; denn sie liegt offenbar im Kern der Geschichte und erreicht in dieser Zeit eine Selbstbetätigung, wie sie noch kein anderes Jahrhundert hat aufweisen können. Ich muß sie daher von neuem und von einer neuen Seite her erklären. »Allogen« heißt hier »zwei Wurzeln haben«, von denen jede in einem anderen Boden steckt; »homogen« dagegen hieße »gleichmäßig aus einer Wurzel kommend«. Die zwei anthropologischen Rassen, aus denen der Mensch besteht, nannte ich die »primäre« und die »sekundäre«. Hier heißt »sekundär«, »das Zweitwichtige schaffen« und ihm verhaftet sein, also alles Nützliche, was zum biologischen Bestande nötig ist; »primäre« heißt »Schöpfer und Träger der Kultur sein«. Es liegt teilweise in Deckung mit der genialen Zone der Menschheit. Physiognomisch drückt sich das so aus, daß der starkknochige plumpe Typus mit der dicken Hirnschale, den hervortretenden Backenknochen, wulstigen Lippen und groben Händen, dem anderen gegenübersteht, dessen feingliedriger Bau, schlanke und zarte Erscheinung, schwebender Gang eben das ist, was man Adel nennt, ein Phänomen, auf das unter allen heutigen Völkern die Engländer den größten Wert legen und es auch am stärksten hervorbringen (vgl. hierzu etwa die Selbstbiographie von Frank Harris). Aber es ist nicht so, daß man sagen kann, er gehöre der primären
oder der sekundären Rasse an, so wie man sagt, er gehört zur slawischen oder zur mongolische; sondern da es sich um den anthropologischen Rassenbegriff handelt, so trägt jeder Mensch beide Rassen in sich, so wie wenn eine Gans zugleich auch Schwan wäre. Das eben kommt beim Menschen vor und ist sein rassisches Grundschicksal. Es sind zwei Schöpfungsthemen, die sich bei ihm auswirken und die ihn an den Rand der Verzweiflung treiben können. Ich bin immer der Meinung gewesen, daß die seltsamen beiden Schöpfungsakte, aus denen der Mensch nach dem Wortlaut der Bibel (Genesis 1 und 2) hervorgeht, nämlich »nach dem Angesichte Gottes« und »aus einem Erdenkloß« die Widerspiegelung eben dieses Tatbestandes sind; aber die Theologen haben es mir bisher noch nicht glauben wollen. Je mehr ich aber den hebräischen Urtext zu Rate ziehe, umso überzeugter bin ich davon.
Daß der historische Adel ein besonderes Züchtungsprodukt ist und den wertvollsten Teil eines Volkes bildet, sei hier nur erwähnt: er setzt aber den natürlichen, von dem hier die Rede ist, als Basis voraus; denn was nicht vorher da war, kann nicht gezüchtet werden. Das Verhältnis der genialen Zone der Menschheit aber zu deren primären Rasse ist nicht etwa so, daß der einzelne Träger von genialer Substanz sich proportional mit deren Intensität dem reinen Typus des Edlen nähert. So wünscht man es freilich; allein hier können Rëinkarnations-Schwierigkeiten auftreten, und mancher hat an einem ungefügten Leibe zu tragen, der die Gestalt eines Engels zu verdienen scheint. Wer weiß, was da manchmal vorliegt! Luther müßte eigentlich aussehen wie der Abbé Fénélon oder wie Pascal; er hat aber eine ausgesprochen bäurisch-plebejische Statur und benimmt sich auch danach, Sokrates war »Pöbel« (NIETZSCHE), und dem René Descartes möchte man auch nicht gerne im Dunkeln begegnen. Dagegen halte man die vielen wirklich edel geformten Gesichter der sogenannten »nordischen Menschen« der letzten zwölf Jahre, und man ist erstaunt über die nichts-sagende Ausdruckslosigkeit und deren gänzliche Leere, die sich mit jedem Inhalt füllen läßt, denn auch der Teufel ist fürstliche Majestät. Allein es ist eben nicht so, wie die Rassen-Mystiker (besser Rassen-Materialisten) denken, daß die biologische Rasse der Schöpfer des Geistigen ist. Sondern da der Geist niemals vom Menschen kommt, sondern nur zu ihm (wenn er will), so triff er auf das primäre Rassenelement im Menschen, das dann, wie phosphoreszierend, aufleuchtet. Wenn man daher bei den häßlichen Genien genau hinsieht, so findet man stets an irgendeinem Teil eine sehr edle Ausprägung, meist bei den Händen, die oft zart wie Frauenhände sind, den Lippen und vor allem den Augen. Wer Sokrates oder Luther oder Descartes oder sonst einem Häßlichen in die Augen sah, der wußte sofort, mit wem er es zu tun hatte. Dieses Merkmal ist trotz seiner Zartheit unwiderleglich. Es liegt also wohl eine Affinität zwischen primärer Rasse und genialer Zone vor, aber keine Produktivität. Die Natur hat an zwei ganz verschiedenen Stellen ihrer Wirksamkeit zum Überschwange angesetzt.
 

b) Die ethnologischen Rassen
Der ethnologische Rassenbegriff ist rein empirisch und hat nichts von einem transzendentalen oder metaphysischen Einschlag an sich, wie der anthropologische. Wenn man von der mongolischen, der indogermanischen, der hamitischen oder der semitischen Rasse spricht, so meint man das ethnologisch und kann sich nun vielfach um die brauchbarste Einteilung streiten. Die Rasse ist das allgemeinste Gebilde, das sich nun, bestimmt durch die geographische Lage, zu den Völkerschaften und Stämmen verengt, während man unter einem Volk bereits etwas versteht, was in die Geschichte eingetreten ist. Doch wechselt der Sprachgebrauch. Die Wissenschaft, die sich damit beschäftigt, heißt Ethnologie oder Völkerkunde und hat sich, parallel mit der Zoologie, im letzten Jahrhundert um das paläontologische Material erweitert, so daß für beide eine Entwicklungsgeschichte entstanden ist, die bis in die ersten Zeiten verfolgbaren Lebens zurückreicht.
Wenn nun die Völkerkunde von hohen und niederen Rassen spricht, so wenn sie etwa sagt, eine höherstehende Erobererrasse habe eine niedrigere Urbevölkerung unterdrückt, versklavt, sich mit ihr vermischt, oder umgekehrt: wo, frage ich, liegt der letzte, von der Natur gegebenen Maßstab für dieses »hoch« und »niedrig« ...? Der Ethnologe darf ja nicht die Kulturen miteinander vergleichen, denn das liegt außerhalb seines Fachraumes; er hat es ja nur mit dem Naturphänomen der Völker und Rassen zu tun und darf auf diese Brücke nicht treten. Trotzdem gebe wir ihm ja recht, wenn er etwa sagt: die Serben stehen höher als etwa die Maoris in Australien oder die Pygmäen im Kongo. Wir pflichten ihm bei, aber es ist damit heimlich ein Maßstab untergelegt, den der Ethnologe nur nicht kennt, der aber richtig ist: der Maßstab des Rassenbegriffes im anthropologischen Sinne. »Die Serben stehen höher als die Maoris« heißt nichts weiter als: im Volke der Serben ist das primäre Rassenelement stark wirksam, bei den Maoris nur noch schwach. Es ist also das geheime Schöpfungsprinzip des Edlen gegenüber dem Gewöhnlichen, die Allogenität des Menschengeschlechtes, die hier wirkt, und, unbewußt, als Maßstab für die Worte »hoch« und »niedrig« angenommen wird. Wir stimmen diesem Maßstab zu, weil er in uns selber wirkt und von der Natur her giltig ist.
Das primäre Schöpfungsprinzip »nach dem Angesichte Gottes« zieht sich von einer Menschenrasse langsam zurück - aus unerforschlichen Gründen - und überläßt dem Walten des sekundären »aus einem Erdenkloß« den Vorrang. So entstehen - durch Anpassung an die Umwelt unerklärbar - die Kümmerrassen. Dieser Vorgang läßt sich in allen erdgeschichtlichen Zeitaltern bis auf den heutigen Tag in gleicher Weise beobachten, und nirgends ist eine Spur von Höherentwicklung des ganzen Menschengeschlechtes zu finden. Die Menschheit zerfällt, heute wie in den letzten Epochen des Tertiärzeitalters, in genau die gleichen hochstehenden, mittleren und Kümmerrassen. Das ist eine Tatsache, die vom demagogischen Darwinismus, wenn er zu Wort kommt, regelmäßig unterschlagen wird. Als Beispiel für jene Kümmerrassen, in denen das Formprinzip der sekundären ohne Gegenspiel die Oberhand gewonnen hat, möge man den Eiszeitmenschen, den homo heidelbergiensis, vor allem aber den Neandertaler nehmen, alles Rassen, wie sie, nicht sehr verschieden, auch heute noch vorkommen. Nun hat man, im Anschluß an die Darwinsche These der Höherentwicklung, stets gesagt: der heutige homo europaeus sei eine höhere Entwicklungsstufe jenes Neandertalers, der also damit in einem ununterbrochenen Zeugungsverhältnis mit ihm stehe. Er hätte es so weit gebracht; und wenn wir nur auf demselben Wege fortfahren, so bringen wir es noch zu ungeahnter Vollkommenheit. Nun haben aber die Funde in Oldoway in Ostafrika Menschenreste zutage gefördert, deren Gepräge unverkennbar das des heutigen homo europaeus ist, und die erdgeschichtlich älter sind als der Neandertaler.* Hieraus geht hervor, daß jene Kümmerrassen unablässig entstehen und vergehen, und daß sie keinerlei Ansprüche haben, die Vorfahren der höheren zu sein.
Ich glaube, einmal in Webers »Demokritos« gelesen zu haben, daß die Matrosen des ersten Schiffes, das in Patagonien landete und dort auf die ansässige Urbevölkerung stieß, die Weiber dieser Feuerländer nicht anzurühren vermochten - was bei Matrosen schon allerhand heißen will. Hinter diesem Bericht steht ein ernstes Motiv. Es gibt kaum eine Grenze von Häßlichkeit, Schmutzigkeit, Verkommenheit, die nicht von einem lange aufgestauten Geschlechtstrieb spielend überrannt wird; ja, wer in der sogenannten Sexualwissenschaft, bewandert ist, also sagen wir ehrlich: wer gerne pornographische Bücher liest, der weiß, daß hier oftmals ein besonderer Reiz enthalten ist. Aber, wenn der Gegenstand der groben Geschlechtslust aufhört, Person zu sein und nur noch Individuum ist, dann setzt sie spontan aus. Wir hatten in der Betrachtung des Eros, diesen Punkt als den wesentlichen am ganzen Phänomen hervorgehoben. Wenn also jene Matrosen in so unseemännischer Weise reagierten, so könnte das ein Zeichen dafür sein, daß jene Urbevölkerung sich im letzten Stadium des Menschseins befand; die Rassenverkümmerung, d. h. die Vorherrschaft des sekundären Prinzips, hatte ein Maß angenommen, das die Zugehörigkeit zum Menschentum in Frage stellte.
Klar aber sehen wir, wie die Natur anfängt, die Zeugungsschranke aufzurichten, und wir kommen auf das was Edgar Dacqué das »Entlassen aus dem Menschenstamme« nennt. Jedenfalls läge hier das erste, bloß negative, Stadium vor. Denn es besteht ja sonst zwischen allen Menschen und allen Rassen mögliche Geschlechtergemeinschaft. Hier aber erhebt sich instinktiv ein Veto; wenn diese Weiber bloß noch Individuen sind, dann gibt es nur generative Geschlechtsvorkommnisse mit Männern, bei denen es ebenso ist, also mit ihren Stammesgenossen. Der ganze Stamm, geographisch ohnehin abgeschnitten, würde daher der Inzucht anheimfallen, und wenn wir uns dieses Zustand genügend lange Zeit hindurch beibehalten denken, so könnte man hier vor einem Entmenschungsprozeß stehen. Gleichzeitig mit dem Versiegen des persönlichen Eros würde es dann auch zu einem Abwelken der Vernunft kommen, die einen jahrtausendelangen Leerlauf einfach nicht ertragen kann; und dann käme eines Tages der Augenblick, da die Entlassung vollzogen ist. Anstelle der verlorengegangenen Menschheitsmerkmale Eros und Vernunft könnte man sich dann sehr wohl eine Veränderung der Gliedmaßen vorstellen, eine Anpassung an das Baumleben, das nun anhöbe. Denn die menschliche Gestalt ist, entwicklungsgeschichtlich gesehen, eine Primitivform, aus der sehr wohl unter dem Druck der Umweltforderungen lange Arme und Kletterfüße entstehen könne: niemals aber umgekehrt. Indessen, das ist eine Konstruktion - wenn auch kein Spiel - der Phantasie, und zwar der exakten, um Dacqués Entlassungstheorie anschaulich zu machen. Nur wenn es etwa so ist, daß wirklich das ganze Affengeschlecht vom Menschen abstammt, der Mensch sich also durch Entlassungsakte gewissermaßen reinigte - so faßt es Dacqué auf -, dann ist dieser Prozeß offenbar nicht abgeschlossen und dann müssen noch mehr solcher Entlassungen bevorstehen oder schon angebrochen sein.
Aber es findet im anthropologischen Rassengefüge des Menschen noch etwas anderes statt: der Ausschlag nach der Gegenseite. Nach unten zu versiegen die Kümmerrassen allmählich im Tierreich, nach oben zu versucht das primäre Schöpfungsprinzip durchzubrechen und sich vom Erdenkloß-Druck der sekundären Rasse zu befreien; es kommt dann zur Bildung einer epischen Schicht von Heroen und Göttern, die im Altertum auch wirklich für kurze Zeit angehalten hat. Ihr Niederschlag im Wort heißt Epos, dessen Höhepunkt Homer und die kyklischen Dichter.
Das mag auch sonstwo in der Welt stattgefunden haben; ich rede hier nur von der europäischen Tradition. - Während also nach unten zu der Mensch sich über seine Kümmerrassen sinnlos in den Wald hinein verklettert und verdirbt, öffnet sich nach oben hin über die epische Schicht eine neue Aussicht, und die einzige. Denn noch einen Schöpfungsruck weiter über sie hinaus, und wir stehen vor dem Thema des Menschensohnes, um welches das Leben Jesu von Nazareth kreist.
 

c) Die sakrale Rasse
Der dritte, noch ausstehende Begriff von Rasse ist der der sakralen und hat nur ein Beispiel: das Volk Israel. Den Gründungsakt durch Abraham hatten wir schon mehrfach erwähnt; es folgen als einschneidende Ereignisse: die sinaitische Offenbarung und die Zerstörung des Tempels im Jahre 70 n. Chr. Alle diese Vorgänge unterscheiden sich von denen, die andere Völker betreffen, dadurch, daß sie aus dem Bereich der reinen Geschichte stammen und unmittelbar auf die Rassensubstanz eingewirkt haben.
Eines ist sicher: das Volk Israel oder, wie wir heute kürzer sagen, die Juden, haben eine innere Struktur, die sonst bei keinem Volk vorkommt, und es hat daher auch einen Sinn - wenn auch nicht den von den Juden selbst gemeinten -, wenn sie sich das »auserwählte Volk« nennen. Ihre Lage ist in der Tat eine völlig singuläre. Gar keinen Sinn hat es, dem Volke Israel mit ethnologischen Rassebegriffen beizukommen und damit etwas erklären zu wollen. Solche Bücher reden mit jedem Satz von etwas anderem als wovon die Rede ist; man soll sie einfach zuschlagen. Das Volk Israel ist das einzige, in dem Rasse und Religion ein und dieselbe Sache sind, so, daß die Religion der Erblichkeit unterliegt und im übrigen Grund des Volkes, nicht dessen Wirkung ist. Wohl aber unterliegt es dem anthropologischen Rassenschicksal, denn es trägt in sich, wie jedes andere, ein primäres und ein sekundäres Schöpfungsprinzip. Während aber bei den übrigen Völkern sich diese beiden Elemente allmählich durchdringen, so daß ein langsamer Übergang entsteht, scheint es beim Volke Israel in diesem Punkte heiß zugegangen zu sein. Im Talmud ist die Rede von den »zwei gesegneten« und den »zehn verfluchten« Stämmen Israel, was also bedeuten würde, daß die primäre Rasse sehr hart, sehr exklusiv, sehr entschieden von den andern abgesondert ist (man denke an Köpfe wie die Gustav Landauers, Martin Bubers, Theodor Herzls, die kaum ein anderes Volk aufzuweisen hat). Und in der Tat erleben wir das im Verkehr mit dem Volke Israel. Dagegen breitet sich die sekundäre Rasse in aufdringlicher Deutlichkeit aus, so daß die meisten denken, es gäbe überhaupt nur solche Juden, während die primäre in undurchdringlicher Zurückgezogenheit verharrt, in tiefster Verachtung gegen den Stammesgenossen sekundärer Art und in großer Liebe zum Adel der Gastvölker. Dabei ist noch zu bemerken, daß die sekundäre Rase des Volkes Israel niemals neandertaloide Züge annimmt; es ist keine Spur von Ursprünglichkeit, Natürlichkeit, Wald- und Eiszeitmenschentum, sondern die Sache hat sich irgendwie anders vollzogen, und der sekundäre Rassejude, mehr die Merkmale der Entartung tragend, ist der Auslöser des vulgären Antisemitismus geworden. Die Natur hat beim Volke Israel in der sekundären Rasse besonders tief hinunter und in der primären besonders hoch hinauf gegriffen, und diese eigentümliche Anlage sichert ihm einen außerordentlichen Bestand für den Lauf der Weltgeschichte.
Wer diese Dinge als Staatsmann in die politische Ebene trägt, aber in Unkenntnis der Hintergründe und ohne zu ahnen, mit wem er es zu tun hat, sich vergreift, der ist samt seinem Volke dem Untergang geweiht.



 

 

zum vorigen Kapitel

zur Übersicht