Hans Blüher
Ulrich von Wilamowitz und der deutsche Geist 1871/1915

(erschienen 1916 im Verlag Hans Blüher, Berlin Tempelhof)

 

 

Und da er nunmehr sah den Engel wartend stehen an

des Tales Mark, da kam ein Geist der Klugheit über ihn, und

heimlich schlich er aus dem Haus und duckte sich und eilte

auf verstecktem Pfad, bis daß er war gekommen vor des

Engels Antlitz;

 

Und allda fiel er auf die Knie und betete und sprach

mit demutsvollem Herzen:

 

"Mein Herr, mein Gott! im Irrtum wandelt' ich bis jetzt,

gefangen durch des ältern Bruders Wort und Beispiel;

 

Doch nun so ist nach Wahrheit mein Begehr, und siehe

meine Seele liegt in Deiner Hand, und so es Dir gefällt, so

gib mir ein Gewissen, das mich lehre "Heit" und "Keit" und

jegliches gerechte Wesen."

 

Und also sprechend überreichte er ihm ein Kästchen

reich geschmückt mit Gold und köstlichen Gesteinen.

 

Und mit geneigtem Willen hörete der Engel sein Gebet

und nahm das Opfer an und tat nach seinem Wunsch und

schenkt' ihm ein Gewissen gnädiger Gewährung;

 

Und über dem da machte er sich auf und war ver-

schwunden in des Tales Falten.

 

(Spitteler: Prometheus und Epimetheus.)

 

 

Gibt es Zufälligkeiten im Ablaufe eines Charakters...?

Gibt es "Jugendsünden", von denen man sagen kann: "Dies war nicht meine Tat!", oder muß man sagen: "Hier hat sich mein Wesen verraten, und dieses Wesen bin ich selbst mit braunem oder weißem Haar"?

Ulrich von Wilamowitz hat sich selbst verraten: zwei, drei oder vier Symptomhandlungen seines Charakters kennen wir heute. Gehen wir seinen Wegen nach, und wir werden seinen Fall verstehen. - Auch "Fall" ist ein zwiespältiges Wort. Verstehen wir darunter einmal genau das Gegenteil von dem, was man sonst mit diesem Worte meint: den Aufstieg. Ich meine also jene feineren Fälle von "Fall", bei denen Ruhm auf Ruhm die gierige Stirne kränzt. Jenes Fallen durch Berühmtheit, jene Glorie, die den Rühmer nicht taxiert, und die nicht fragt, w o h e r die Woge schwillt. -

 

Es ist jetzt Zeit, vom deutschen Geist zu reden. Und auch für uns wird es Zeit, die wir den Krieg bisher fast schweigend erlebten. - Ob es so etwas gibt, wie prachtvolle Zerrüttungen eines ganzen Volkes, die in ihrem Höhepunkt - plötzlich gebären? Wenn es das gibt, dann kann man vermuten, daß das Geborene v o r h e r unbekannt ist, und daß Besprechungen, Beschwörungen, Zauberformeln und Gebete keinen Einfluß auf seine Artung haben. Dies ist der Grund unseres Schweigens über deutsches Wesen.

Noch wissen wir nichts über 1915, aber schon wissen wir etwas über 1871. Es muß zugegeben werden, daß der gesamte Inhalt dessen, was zur Zeit des vorigen Krieges an öffentlichem Geistesleben geschah, belanglos gewesen ist. Man wußte damals so schlecht, wie man heute weiß, wo die geladene Wolke hing, die auf einmal blitzt. Gibt es aber heute noch ernste Zweifel daran, daß diese Wolke, die "unter den Donnern der Schlacht von Wörth" ihr erstes Funkensprühen bekam, F r i e d r i c h N i e t z s c h e war? Unaufhörlich hat sie sich seitdem fast zwanzig Jahre weiter entladen; die deutsche Sprache ward ins Tiefste aufgewühlt, holte alles heraus, was sie hergeben konnte, so daß sie mit dem großen Meister, der sie zwang, fast selbst zusammenbrach. Und welcher kluge Mann hat das v o r h e r, ja auch nur gleichzeitig, gewußt?

Nietzsches erstes Buch erschien. "Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik. Oder: Griechentum und Pessimismus".

Es war etwas geschehen, was niemand ahnte: ein überlegener Mann deutscher Herkunft und Sprache hatte wieder einmal das große Schicksal erlitten: er war auf die Griechen gestoßen, und auf einmal wurde sein Wesen aufgerührt. Durch einen unbegreiflichen Gattungsprozeß, der Deutsches und Hellenisches im Überschwang zusammenschweißt, war eine neue Lebenshaltung entstanden; unter fortwährender Todesgefahr für den, der sie zum ersten Mal verkündete. Eine Natur mit üppigem Reichtum ist es gewesen, wie Alle, die in diese verfängliche Lage gerieten, und sich nur dadurch retten konnten, das sie Werke schufen.

Das Thema der Geburt der Tragödie ist bekannt: zwei Kunsttriebe sind es, die im Menschen, am stärksten bisher im hellenischen Menschen, ununterbrochen zur Geltung drängen: der apollinische und der dionysische. Der apollinische schafft, der Traumsituation angepaßt, die epische Welt und die der Plastik, jene ruhige Haltung des Lebendigen, die uns bisher am griechischen Wesen allein geläufig war. Der dionysische aber schafft gemäß der Rauschsituation; er ist der gefährliche, menschenzerbrechende Kunsttrieb, der, ganze Schwärme zum Taumel hinreißend, aus der letzten Urlust des Menschen am Dasein entspringt. Die wilde Flötenmusik ist sein unmittelbarster Ausdruck. Die griechische Kultur ist, so meint Nietzsche, dauernd bedrängt gewesen von jenem furchtbaren Ansturm der dionysischen Schwärmerei, die vor nichts Halt macht, und der griechische Mensch hat die ganze Macht seiner apollinischen Möglichkeiten aufraffen müssen, um diesem ewigen Anprall seines eignen Wesens gewachsen zu sein. In e i n e m Kunstwerk aber, das die Griechen mit religiöser Inbrunst gepflegt haben, sind die beiden Grundtriebe zur Ruhe gekommen: in der älteren Tragödie des Aischylos und Sophoklos. In ihr feierte der Lebenstrieb seine höchste Bejahung, grade w e i 1 in ihr das Wertvollste, was es gibt, der Held, vernichtet wird. Die Tragödie ist die härteste Probe auf den letzten Daseinswillen und die geglückte Überwindung des hellenischen Pessimismus.

Jedermann weiß, daß in diesem ersten Buche Nietzsches der ganze spätere Nietzsche enthalten ist: die Dionysos-Mythe blieb bei ihm bis zu jenem Tage in Turin, an dem er sich selbst für Dionysos hielt; der Übermensch, der Immoralist, die Höherführung der Gattung Mensch, das ganze Zarathustra-Thema keimt ihr auf, und vor allem: jene folgenschwere - heute erst zur Wirkung kommende - Verdächtigung des Typus Sokrates und des alexandrinischen Menschen.

Dies alles geschah 1871. Aber es geschah noch mehr. Ein junger Dr. phil. namens Ulrich von Wilamowitz-Möllendorff schrieb eine Broschüre dagegen, die den Titel "Zukunftsphilologie!" führte. - Wir wollen gleich sagen, worauf es uns wesentlich ankommt, und worauf nicht. Nicht kommt es uns darauf an, daß Wilamowitz gegen die guten Sitten verstieß, indem er Seite um Seite sich arger Schimpfereien befliß (...vielleicht schon mehr darauf, daß dies keine Schimpfgeburten waren, wie sie Schopenhauer und Shakespeare in zeugerischem Überschwang gerieten, sondern ganz gewöhnliche Schulmeister-Invektiven); wenig kommt es uns darauf an, daß er Nietzsche Mangel an Wahrheitsliebe vorwirft, auch darauf nicht, daß er ihn auffordert, vom Ka-theder der klassischen Philologie berunterzusteigen, daß er damals noch nicht bestiegen hatte. Sondern darauf kommt es an: daß er von Nietzsche sagt, er habe sich geirrt, er kenne die Griechen nicht, und daß er dies für einen Einwand gegen - Nietzsche hält. Hier steckt unser Problem!

Gibt es überhaupt psychologische Notwendigkeiten, so ist dieses eine: wenn irgend ein Großer unter stärksten Entladungen seines schöpferischen Gemütes auf die Griechen stößt - oder auf sonst etwas ihm Gleiches - so sind die Griechen immer Zeugungsmittel. Und es kann nicht anders sein: wenn der schöpferische Mann über dieses Mittel urteilt, so m u ß er sich irren. Es kann kein Zweifel bestehen, daß Winckelmann, Schiller und Goethe, die den Deutschen vor Nietzsche als Interpreten der Griechen galten, sich über deren empirische Realität ebenso geirrt haben, wie dies Nietzsche tat. Der schöpferische Mann hat die Wahrheit nicht nötig. Und man könnte sehr wohl die Vollkommenheit unserer klassischen Philologie danach bemessen, wieweit sie beweisen kann, daß die schöpferischen Männer - sich geirrt haben. Altertumswissenschaft ist nichts anderes als Rückgängigmachung der Irrtümer großer Männer; denn gäbe es keine großen Männer, die sich an den Griechen entzündeten, so kümmerte sich kein Mensch im Volk um sie. Erst nachdem dies doch geschieht, nachdem die Schöpferischen ihre Entdeckung kundgetan, kann Altertumswissenschaft einsetzen und alles besser wissen. Denn Wissenschaft wird bekanntlich niemals selber von schöpferischen Lüsten beschwert.

Wenn also in unseren Gymnasien die Griechen gesehen und gelehrt werden, wie sie G o e t h e sah, so hat das überhaupt nur solange erzieherischen Wert - als es im Widerspruch zu den "Ergebnissen" der klassischen Philologie steht. Sowie alles "richtig" gesehen wird, ist der Zweck verfehlt. Nur Entzündungsstoffe sind pädagogische Stoffe, und wenn sie so weit verwässert sind, daß fremdes Feuer keine Explosionen mehr bewirkt, so soll man sie fortwerfen. Philologie als "Wille zur Wahrheit" ist demnach Befeindung der griechischen Zeugungskraft. Klassische Philologen sind für jene Befruchtung der Völker höchst überflüssige Menschen und sollten als Erzieher überhaupt ignoriert werden. - Und in der Tat s i n d sie es auch! Durch eine heimlich-offne Übereinkunft richtet man sich ja garnicht nach ihnen; es ist völlig gleichgiltig, was sie sagen, ihre Werke sind im deutschen Erziehungsplane fast Makulatur. Es ist gewiß ganz neckisch, hin und wieder einmal nachzusehen, wie die "neuere Forschung" über die Homer-Frage denkt, aber, da man weiß, daß in der Philologie die "feststehenden Ansichten" nicht weniger schwanken, wie in jeder anderen Wissenschaft auch, so ist der Belang solcher Orientierungen nicht groß. Es kommt auf die geheiligten Irrtümer der Großen an, nicht auf die Wahrheiten der kleinen Leute. Denn es i s t doch so: wir fragen wohl und wichtig danach, wie Goethe, Schiller, Winckelmann und Nietzsche die Griechen gesehen haben, aber wir fragen nicht im Traume danach, wie sie Wolf, Herrmann und Lachmann sahen. Und wenn ein klassischer Philologe Oberlehrer wird, so ist das Erste und Wichtigste, was er tut, die gesamte Textkritik zu vergessen und zu den falschen Übersetzungen Schillers und Höl-derlins zurückzukehren.

Aber wir wollten von Herrn von Wilamowitz reden. Wir haben festgestellt, daß die Wissenschaft gegenüber den Fragestellungen Nietzsches n i c h t s bedeutet; wir werden feststellen, daß sie für Wilamowitz a 1 1 e s bedeutet, und warum das so ist. Wir haben dabei Nietzsche als Entdecker so schlecht wie möglich taxiert. Aber wir wissen im Stillen: schließlich verstand er von den Griechen doch mehr, als Herr von Wilamowitz. Sie standen sich besser. Der König Skyles mußte bekanntlich die Hellenen wegen ihrer "unvernünftigen Bacchoswut" verteidigen und zwar gegen - Skythen! Da nützt kein Nörgeln und Moralisieren: das ist sogar w a h r. Die Griechen waren die Rasenden, Schwärmenden, Sinnlosen und die Skythen die Sittsamen. Das steht deutlich zu lesen bei Herodot im Buch Melpomene Kap. 79. - Niemand wird behaupten, daß Wilamowitz zu vertrocknet war, um Nietzsche zu verstehen, niemand behauptet, daß er ein öder Gelehrter sei; wer dies sagte, täte ihm bitter Unrecht und machte sich die Sache zu leicht. Nein, Wilamowitz ist kein Stubengelehrter: es steht viel schlimmer um ihn! Das, was seine Wirkung ausmacht, die Lebhaftigkeit seines Wesens, die er sich noch als Greis bewahrt hat, ist zu deuten als das Rudiment eines größeren Lebenszustandes, der in seiner Jugend gelegen hat. Auch er ist von den Griechen in so großer Art erregt gewesen, wie Nietzsche, auch für ihn sind sie gefährlich gewesen. Und für welchen Jüngling besserer Art sind sie es nicht... ?

Nun aber klafft der Pfad des Herakles. E n t w e d e r Ja sagen zur eignen Seele und durchhalten zur eignen Schöpfung; aushalten den Ansturm der zersprengenden Befruchtung, um vielleicht wirklich zu zerspringen, o d e r :....?

E n t w e d e r : Willig auf sich nehmen Verbannung und Einsamkeit, heldenhaft leben hart am Existenzminimum mit eisernem Willen zum eignen Werk, das notwendig verflucht sein muß bei allen sofortigen Zeitgenossen, - o d e r: ...?

E n t w e d e r : Heilighalten jenen sphinxhaften Zeugungsakt deutschen und hellenischen Wesens, Mut haben zu allen Irrtümern und Paradoxien, die ihn begleiten; oder: man hält es mit der "Wissenschaft".

Als Nietzsche 1886 jene berühmten Vorworte zu seinen früheren Werken schrieb, da schrieb er auch jenen damals unerhörten, heute gar sehr erhörten Satz von der Wissenschaft als einer "feinen Notwehr gegen - die W a h r h e i t".

Die Wahrheit, die Nietzsche dort meinte, war die pessimistische Erkenntnis. Die Wahrheit, die h i e r gemeint wird, lautet: es gibt große Männer und mäßige und kleine; wer nicht das Zeug hat, ein großer zu sein, der hat allein Sinn und Wert in der Gefolgschaft der Großen. - Zur Größe hatte Wilamowitz nicht das Zeug, das wissen wir; denn sonst wäre er den a n -d e r n Weg gegangen. - - - Wo aber traf je dieser verfängliche Satz Nietzsches besser zu, als bei ihm: mit welchem Mittel kann man sich besser die aufregenden Mächte vom Leibe halten, als dadurch, daß man - nach der "Wahrheit" forscht? Wie der Verführung zur Größe besser entgehen . . ? Wenn der hellenische Menschentyp beunruhigt und mit der Zersprengung droht: welches Mittel ist wohl besser geeignet, sich Ruhe zu verschaffen, als dieses, daß man ihn - "erkennt"!

Und zwar o b j e k t i v erkennt!

Objektiv aber heißt: unter A u s s c h a l t u n g des eignen Gemütes. Hätte Nietzsche nicht grade d a s in die Griechen hineingedeutet, sondern immer wieder sich selber zugerufen: "Du irrst dich ja! Es ist ja Unsinn, was du denkst! Du bist ein Romantiker und Träumer, pfui! wie kann man so unvernünftig sein . . !" - wäre er nicht auch vernünftig geworden und Professor geblieben, statt wahnsinnig und Heros...?

Wissenschaft ist ein Mittel gegen die Wahrheit. Wer Wissenschaft betreibt und nicht von ihr loskann, von dem kann man immer sagen, daß er sich vor einer anderen Erkenntnis wehrt. Die "voraussetzungslose Wissenschaft" hat immer die eine Voraussetzung: daß ihre Gläubiger an einem andern Ende glatt belogen werden. Der gelehrte Menschentypus hat ja auch, zum Ersatz für den wohlgefühlten Mangel, eine Heldengeste für sich erfunden: die von der Sisyphusarbeit. Er klagt in gut gewählten Abständen seinen Hörern vor, daß alles Streben nach Erkenntnis imgrunde doch vergeblich sei, daß aber Er trotz allem treu und standhaft am Werke bleibe. Das ist die Psychologie der sogenannten "Geistesheroen". Doch immerhin - muß man sagen - : für die äußerste Not hat die bürgerliche Gesellschaft beim Geistesheros gesorgt; schließlich kann er leben, gut leben, ist pensionsberechtigt, ist immer des Zurufs der Menge gewiß und sinkt schließlich belobt und gepriesen unter Hekatomben von Kränzen ins Grab. Denn ehe er Geistesheros wurde, hat er etwas getan, was ihn für immer band: er hat einen Pakt geschlossen mit den gerade gegenwärtigen Geschätztheiten. Im Falle Griechentum geschieht das immer so, daß der betroffene Geistesheros den Eid auf die christliche Gesinnung leisten muß, und damit übernimmt er die stillschweigende Verpflichtung (es ist übrigens alles entweder "stillschweigend" oder "rein formale Angelegenheit"), den Inhalt des griechischen Wesens stets nur soweit zu enthüllen, daß das "Heit" und "Keit" des gegenwärtigen Bürgertums nicht in Zweifel gezogen wird. Die Anpassung des Griechentums an die bürgerliche Wohnstube und das protestantische Pfarrhaus ist Grundbedingung für die Existenz eines öffentlichen Geistesheros. Die Griechen mögen noch so mächtig mit ihrem Wesen mahnen und Fra-gezeichen auf Fragezeichen zu den Stillen im Lande schleudern: sie werden immer wie "ewige Kinder" behandelt, (die also nicht ernst zu nehmen sind!) die "harmlos und ahnungslos" sich des schönen Lichtes freuen. (Wilamowitz). Wenn nun diese Anpassung an irgend einer Stelle durchaus nicht möglich ist (wir werden noch auf eine solche stoßen), wenn das griechische Wesen gar zu abscheulich wirkt, andrerseits aber die bedauerliche Tatsache doch nun einmal nicht geleugnet werden kann, so übernimmt der angehende Geistesheros wiederum die stillschweigende Verpflichtung, "streng objektiv" zu bleiben und sich ja nicht selbst in den Strudel antiker Aufrührigkeiten hinreißen zu lassen.

Der Gehalt eines Mannes hört auf, wenn das Gehalt beginnt. Dieser Satz wird solange gelten, bis jenes Staatstum und jene Hochschule Wirklichkeit geworden sind, die F i c h t e vor hundert Jahren in Berlin verkündete. - Damit enthüllt sich uns die Quelle jener Leidenschaft, mit der sich Wilamowitz auf Nietzsche warf; dieser rührte in seinem prachtbeschwerten Buche nichts anderes in ihm auf, als jenen letzten und tiefsten Gehalt des Mannes. Unmöglich ist es dieses Buch zu lesen, und nicht aufzurauschen. Hier kündet sich das Genie in jeder Zelle an. Eine der besten Stellen aus der Geburt der Tragödie zitiert Wilamowitz gleich am Anfang, und die ersten Worte, die er selber schreibt lauten: "Dies zur probe und zum vorschmack von ton und tendenz des buches; wohl dürfte beides sich selbst richten". Und das sollte k e i n e Abwehrmaßregel sein gegen sich, gegen sein Bestes, das mit Aufruhr drohte? Denn: es kommen Worte in der Geburt der Tragödie vor, die unerträglich und verboten sind für alle Naturen, die sich der bürgerlichen Lebenshaltung schon anverlobt haben. Man denke an die Deutung des Satyr, an das Fragezeichen hinter dem g u t e n Menschen und an jenen Abgrund, der hinter den Worten von den "eigentlichen Urscenen der Menschheitsanfänge" klafft. Das verträgt kein wohlversorgtes Gemüt.

- - Wir pflegen bei einer Hysterika von der Stärke ihrer Prüderie auf die Stärke ihrer verdrängten Sexualität zu schließen. Schließen wir hier einmal von der Stärke der Wut auf die Stärke der heimlichen Liebe zu dem, was bekämpft wird. Die Erscheinung Nietzsches muß auf das Höchste peinlich bei Wilamowitz gewirkt haben, denn ein Mann wie er steckte auch in ihm: freilich in einem anderen Zustande, als dort. Indem Wilamowitz gegen Nietzsche kämpft, kämpft er gegen das verdrängte Bild des überlegenen Mannes. Oder wer glaubt noch, daß es wirklich das Interesse an der mißhandelten Philologie gewesen ist? Vor über zwanzig Jahren erschien ein dickes Buch von A. F. R. K n ö t e l "Homeros, der Blinde von Chios und seine Werke". In diesem höchst lesenswerten Bu-che wird dargetan, was abscheulich für jeden wohlgeschulten Philologen ist, nämlich: daß Homer gelebt hat, daß er Ilias und Odyssee gedichtet hat; aber noch mehr: daß er der Verfasser sämtlicher ihm zugeschriebener Dichtungen ist, der kyklischen Gesänge, Hymnen und Volkslieder; auch die Lebensgeschichte Homers wird in diesem Buche aufs genaueste erzählt. Aber niemals hat man etwas davon gehört, daß Herr von Wilamowitz eine Zukunftsphilologie dagegen geschrieben hat. Freilich nicht! Knötel ist eben garnicht aufrührend und kämpft nur mit wundervoller Frische gegen die Philologie. Also gar kein Grund, sich dagegen zu wehren. Nur den Kampf gegen den überlegenen Mann, der mit großer Geste und schöpferischer Sprache auftritt, ist Wilamowitz zu Blut und Instinkt geworden. Darum schreibt er auch am Schlusse seiner Zukunftsphilologie: "sammle er tiger und panther zu seinen knieen, aber nicht Deutschlands philologische jugend, die in der askese selbstverleugnender arbeit lernen soll, überrall allein die wahrheit zu suchen."

Wir aber wollen, daß die Askese solcher Selbst-Verleugner nicht noch eine Generation lang auf die deutsche Jugend losgelassen wird. -

 

 

II.

Wir kommen zu der zweiten Untat des Herrn von Wilamowitz: zu seiner Attacke auf die griechische Tragödie.

Es ist längst kein Zweifel mehr, daß die eigentlich Gebildeten Deutschlands diesem Werke gegenüber die Haltung haben, die man allein haben kann: die der Geringschätzung. Aber an-drerseits steht fest, daß Herr von Wilamowitz bei der gemäßigten Bildung besserer Art, und vor allem bei denen, die ihre Bildung durch eigne Kenntnis der griechischen Sprache nicht korrigieren können, geradezu als d e r Interpret und Erbwalter der hellenischen Kultur gilt. Es lohnt sich daher immerhin, auch dort den Wahn zu zerstören; umso mehr, als man weiß, welche Wirkung er auf die studierende Jugend hat.

Ich kann mich aber hier auf einen Anderen berufen, der diese wichtige Säuberung bereits vorgenommen hat: auf Kurt Hildebrandt. Sein groß angelegter Feldzug, der in dem Aufsatz "Hellas und Wilamowitz" unternommen wird, steht leider an einer Stelle, die den Meisten verborgen bleibt, im "Jahrbuch für die Geistige Bewegung" 1910. Er ist aber wert in hunderttausenden von Exemplaren an die deutschen Studenten zu gelangen, damit das Unheil, das von Wilamowitz her ihrem jugendlichen Wesen droht, gebrochen wird. Mögen diese Zellen dann wenigstens sein Verkünder werden.

Es soll, was sich von selber versteht, Herrn von Wilamowitz alles zugesprochen werden, was er in der Tat als das Seine beanspruchen kann. Dieser Meister in der griechischen Tatbestandserhebung ist ohne Zweifel Der unter den heute lebenden Deutschen, der die Dunkelheit der Tragiker-Texte philologisch am besten zu bewältigen vermag. Aber gesetzt den Fall, die philologische Angelegenheit wäre geordnet, der Text stünde zweifellos fest: so würde er vom Verständnis der Dunkelheit, die j e t z t noch darin wäre, auf das weiteste absein. Wilamowitz versteht nicht, warum die Sprache bestimmter großer Dichter dunkel sein muß, und damit ist gesagt, daß ihm das Wesen des dichterischen Menschen überhaupt verschlossen bleibt. Wilamowitz weiß, daß die tragischen Dichter - im Gegensatz zu den epischen - den Griechen dunkel erschienen, und er hat, wie in der Einleitung zur Übersetzung der Orestie zu lesen ist, die Absicht gehabt, sie mindestens so leicht verständlich zu machen, wie sie den Athenern ihrer Zeit waren, "womöglich noch leichter". Das klingt volkstümlich, demokratisch, liberal, wohlmeinend und aufgeklärt, - nach welchen Dingen er überhaupt gerne einmal hascht - ist aber eine unbekümmerte Ermeuchelung der Tragödie. Denn das Dunkle der tragischen Sprache hat seinen zureichenden Grund nicht in einem Belieben des Dichters, das durch ein neues Belieben des Übersetzers aufgehoben werden könnte; keine psychologische Zufälligkeit und keine bloße Grille erzwangen jenen strengen Bau: sondern die Wucht des tragischen Themas selber und sein religiöser Untergrund sind schuld daran. Der tragische Dichter singt das Lied vom Großen Menschen (nicht vom "guten", wie Nietzsche richtig deutete) und seinem Untergang, und richtet an den Zuhörer die Frage: wie man das Leben das solche Dinge bringt, aushalten könne. Der Wert des Lebens steht auf dem Spiel-Plan. Um diesem religiösen Thema mit künstlerischen Mitteln nahezukommen, ist es unmöglich, die millionenfach befleckte Sprache des gewöhnlichen Menschen zu verwenden, sondern Stil und Wort müssen aus tieferer Schicht des Seelischen kommen. Dies aber geschieht allein beim echten Dichter, dessen Sprache eben dadurch jeder Willkürlichkeit entzogen ist, und der, selbst Großer Mensch, nicht dem Grade, sondern der A r t nach über dem gewöhnlichen Menschentypus steht. Beide sind sich "unverständlich", und nur durch die Zwischenglieder erreichbar.

Und was tut Wilamowitz...? Er macht die Sprache jener Großen "verständlich", so daß jedes Theaterpublikum sich das Wesen der griechischen Tragödie bildungsmäßig aneignen kann! Jeder Schmock kann künftig in ihr routiniert sein. Er macht die erhabene Sprache ordinär, so wie seine Sprache eben ist, er macht Witze, ist geistreich und zutunlich, merkt dabei aber nicht, daß er imgrunde frivol ist. (Fußnote: Demnächst soll, wie man zuverlässig weiß, von Herrn von Wilamowitz eine allgemeinverständliche Uebersetzung von - Stefan George herauskommen.)

 

Es ist ein allgemeines Kennzeichen jeder Art von Aufkläricht, daß sie dort, wo wirklich mit dem Verstande vor der Hand keine Entscheidung getroffen werden kann, und wo das Wort noch an jener schwierigen Verlötungsstelle zwischen Ding, Bild, Idee und Begriff unschlüssig tastet, mit einem resoluten Erkenntnis-Hurra über die eigentlichen Verfänglichkeiten hinwegspringen; - wo aber alles klipp und klar ist, wo es garnichts mehr zu mystifizieren gibt, da sind sie abergläubisch wie entzahnte Hökerweiber. Hierbei denkt man gern an das juristisch-politische Thema "Volksüberzeugung", vor der jeder fortschrittliche Reaktionär seinen Kotau macht.

Herr von Wilamowitz hat aber die griechischen Tragiker nicht nur übersetzt, er hat sie auch "erklärt". Es wäre müßig, noch einmal zu erweisen, daß ein Mann, der die Sprache Hoher Dichter mit seinem Jargon entweiht, keinen Zutritt zu ihren Werken hat. Aber wir müssen, um unseres Themas willen, noch den Finger darauf legen, daß Herr von Wilamowitz entgiltig den Armensündergeruch in die antike Welt eingeführt hat. Es ist ja eine bekannte Manier klassischer Philologen und anderer Feinde des Altertums, die Griechen protestantisch zu sehen. So, als ob sie imgrunde nichts anderes gewesen sind, als ein fast gelungener Aufschwung zum christlichen Bürger. D i e s ist die Rechtfertigung, die die Griechen durch ihre Kolporteure erfahren. Man kennt das vom Gymnasium her. Daß jene Große Zeit des Menschentumes eben ihre eigne Größe hat, zu deren Verständnis erst gelangt, wer die Ideologie des gegenwärtigen Menschen soweit abträgt, daß nur der Keim des Über-Tierischen zurückbleibt, kommt Jenen nicht ein. Kurt Hildebrandt hat in seinem Aufsatz überzeugend genug dargetan, wie Herr von Wilamowitz die Griechen herabsetzt und fälscht, indem er mit seinem protestantisch-bürgerlichen Moraldünkel an sie herantritt. Wir aber wollen hierbei noch an Anderes denken: Wilamowitz spricht in der "Zukunftsphilologie" rühmend von jener "historisch-kritischen Me-thode", die der gerade Gegensatz zu einer Betrachtungsweise sei "welche an dogmen gebunden die bestätigung derselben allzeit finden m u ß". (S. 8) .... Nun? Was ist denn eigentlich geschehen? Worin liegt denn der Unterschied zwischen ihm und Nietzsche? Was ist das für eine "kritische Methode", wenn Herr von Wilamowitz mit protestantischem Wohnstubenhorizont die Griechen zu begreifen versucht und in sie hineindeutet, was eben jener Horizont an Sicht enthält...? Ist es nicht glatte Irreführung, wenn solch ein Herr große Worte von der Wissenschaft macht? -

Nietzsche, der Große Mensch, erlebte das Dionysische Phänomen und deutete es in die Griechen hinein (und natürlich auch mit Recht heraus) und Herr Ulrich von Wilamowitz, der gute Bürger, erlebte (welch originelle und machtvolle Tat...!) - - das protestantische Pfarrhaus, und tut d a s s e 1 b e. Macht Proskynesen vor der - Wissenschaft! Und - schilt N i e t z s c h e unwahrhaftig und unwissend! Incipit commoedia! -

Aber noch etwas hat Kurt Hildebrandt vergessen, was uns am Herzen liegt; er hat vergessen, das Attentat des Wilamowitz auf die Tragödie zu d e ut e n. Tun wir das. Fassen wir es auf als Symptomhandlung seines Charakters, wie wir alles auffassen, was er tut. Unwiderstehlich ist in Deutschland die Wirkung von Nietzsches Tragödien-Problem; unwiderstehlich wird die Jugend ergriffen von der Macht seiner gewaltigen Sprache. Alle großen Thesen Nietzsches (wahrlich größer, als die berühmten an der Wittenberger Schloßkirche!) gehen auf die Deutung zurück, die er für das tragische Zeitalter der Griechen aufbrachte. Da kam eine große Sehnsucht nach den alten Tragikern auf. Immer wieder drängt man zu ihnen: aber man kennt ihre Sprache nicht. Und wo man sie mühselig kennt, da prallt man zurück vor ihrer Härte und Größe und Dunkelheit. Immer wieder vergeblich rennt sich das deutsche Wesen müde daran. Und nun...? Was für ein Plan! Wie, wenn man...eine Attacke machte! Wenn man ... als Universitätsprofessor mit großem Ansehen und Ruhm....wenn man - sie ü b e r s e t z t e. "Übersetzte!" Wenn man sie "verständlich" machte! Wenn man: durch eigne Interpretation dringlichster Art bewiese (man ist Universitätsprofessor und bekannt durch seine "strenge Methode"!), bewiese, daß den Griechen der Armesündergeruch genau so anhaftete, wie "uns"; wenn man endgiltig dartäte, daß an den alten Tragikern eben wirklich nicht soviel ist, wie jener Zukunftsphilologe behauptete! Wenn man Nietzsche (den Großen) aus der Tagesordnung würfe! Kurz: wenn man - die Quellen vergiftete! Wenn man ... Dominikaner! Ich bewundere dich!

 

 

III

Der dritte Angriff auf den deutschen Geist, der durch Herrn von Wilamowitz geschah, traf die Jugendbewegung.

Was ist Jugendbewegung? - Iuventus mota und iuventus movens zugleich. Sie ist eine Synthese aus zwei großen Ereignissen in der männlichen Jugend, die sich im Laufe der letzten 15 Jahre abspielten: Der Wandervogel-Bewegung und der Freien Schulgemeinde. Der Wandervogel ist jene rauschartige Entladung des jugendlichen Lebens, die sich, gewöhnlich völlig verkannt, unter den nichtsahnenden Augen der älteren Generation ereignete; ein Zusammenschluß und eine Selbstbefreiung der männlichen Jugend zu ihrem eignen Leben in romantischer Form. Das andere, stillere Ereignis ist die Tat Gustav Wynekens.: die Umdenkung der Schule, die Rettung des verlorengegebenen Schul-Gedankens jenseits der liberalen Reform und ihre Verwirklichung in bisher einem Falle (Wickersdorf). Die schöpferische Synthese dieser beiden Geschehnisse: - hier Trieb dort Geist, hier Romantik dort Hoher Stil, hier Dionysos dort Apollo - hat sich noch nicht ganz vollzogen. Es blieben große Reste übrig, so z. B. die gesamte heutige Wandervogel-Organisation, die fast zur völligen Bedeutungslosigkeit herabgesunken ist. Wo sie aber aufeinandertrafen, da ging es hoch her, und da zeigte sich die schöpferische Kraft des deutschen Wesens. Es kann schon heute als Prophezeihung ausgesprochen werden: n u r die Bünde und Menschen, die in der Befruchtungszone dieser beiden Jugendbewegungs-Pole liegen, haben Zukunft und Sinn; alles andere (man denke an den "Vortrupp") sind belanglose Dilettantis-men.

Eine der wertvollsten Geburten ist die akademische Jugendbewegung, an deren Spitze der junge E r n s t J o e l steht. Diese kämpft "für ein neues Gesicht der Hochschule". - Welcher Art ist dieses neue Gesicht? Es trägt die prägnanten Züge des Deutschen der vorigen Jahrhundert-Wende, wie sie am deutlichsten in der Gestalt F i c h t e s erscheinen. Und welchem Gesicht tritt diese akademische Jugend entgegen? Keinem anderen, als dem empirischen Gesicht der deutschen Hochschule von heute. Die Universität ist vermarktet; sie trägt die Struktur der Anpassung an die Fordernisse des bürgerlichen Alltags. Die Vertausendfachung der Einzelbedürfnisse hat eine Verzettelung des geistigen Wesens herbeigeführt, die denen, die es ernst meinen, nicht mehr länger erträglich ist. (Eine Zwischenfrage: was hat der "Geist der Medizin" mit - Geist zu tun...?).

Ernst Joels Studententum ist getragen vom Willen zur Reinheit und Höhe der Universität; er will die stolze Gesinnung gegenüber der laschen, die aufgerichtete gegenüber der willfährigen, die adlige gegenüber der gewöhnlichen. Die Universität als höchste Manifestation des Geistigen in einem Volke, und kein Einkaufsmarkt für spätere Berufsmenschen! so lautet ihm jene Sehnsucht, für die die vorakademische Jugend das erhabene Wort Freie Schulgemeinde hat. - Solche Gedanken dürften heute zu den entschlossensten, nötigsten und am kühnsten aufbauenden gehören: sie setzen, wie jeder Aufbau, das Nein voraus. Ein Nein, das umso stärker, rücksichtsloser und höhnender gesagt werden darf, umso tatvoller und eindringlicher der Mann ist, der das Ja verkündet.

Mitten im Kriege gründete Ernst Joel eine Zeitschrift der Jugend, die den Namen "A u f b r u c h" trug. - Es war von vornherein damit zu rechnen, daß ihr Leben nicht lang sein würde, denn eine national angespannte Zeit sieht leicht im schöpferischen Nein das nihilistische. Man konnte nur schwer erwarten, daß die deutsche Zensur sich bemühen würde, tiefer zu sehen und Duldung zu gewähren; aber trotzdem wagte Ernst Joel den Wurf. "Wer j e t z t nicht den Mut hat, zu sagen, was zu sagen ist, der gehört nicht zu uns!" - Er blieb nicht bei seinem Hochschul-Thema, auch sein früheres, der akademische Siedler-Gedanke, der bei ihm durch das erste deutsche Siedlungsheim in Charlottenburg schon Tat geworden war, genügte ihm nicht: er sammelte als Mitarbeiter einen Freundeskreis, dessen geistige Einstellung weiter ging, und zum Teil über ihn hinaus. Er war wählerisch und gänzlich unbestochen durch Tagesruhm. Niemand hatte Zutritt, der gewöhnlichen Geistes war. Man merkt diese Wahl schon am Ton der ersten Hefte. Nichts Resolutes, nichts Draufgängerisches ist hier zu finden, wenn auch alles voller Entschiedenheit ist; nicht jene tölpelhafte Jugendlichkeit der Reformphilister aus dem Wandervogel-Abbruch waltet hier, die der Dinge harten Ton nicht kennt noch Wucht der Gedanken, sondern - um ein Beispiel aus hoher Kunst zu bringen - : man brach auf wie jenes Göttervolk in Spittelers Olympischen Frühling, zäh, notwendig, dunkelentwunden und unbekümmert um stürzende Götter. Der "Aufbruch" war die Unzeitgemäßige Betrachtung der deutschen Jugendbewegung.

Man hat seinen Belang wohl verstanden. Es gibt eine Art von Beifall und Erfolg, die den Wert doch beweist; langsam, stetig und mit immer dringlicherer Gebärde kamen die Leser, aufgescheucht aus jenem drückenden Gemüts-Kitsch und schwächeverkündendem Kraftmeiertum, das heute die Zeitschriften der Jugendbünde füllt. Und ohnmächtig genug klangen die Anfein-dungen jenes Flügels der Jugendbewegung, der längst die facies hippocratica im Gesichte trägt.

Wie man weiß, hat das Oberkommando in den Marken das Weitererscheinen des "Aufbruchs" nicht gestattet; er mußte daher nach den ersten vier Heften abtreten. Man hat das ohne Erbitterung getragen. Das Verhalten des Oberkommandos war, das geben die Getroffenen zu, korrekt, eindeutig, einfach, und ohne jede Chikane, ja sogar mit mancher Milde. Man hat den "Aufbruch" nicht verboten und erdrosselt. Weiterhin ist bekannt, daß Ernst Joel von der Universität Berlin vertrieben wurde, deren Rektor Herr von Wilamowitz war. Auch diese Tatsache stelle ich nur zur Kenntnisnahme hin. Man muß es der Universität Berlin überlassen, wenn sie es für richtig hält, eine der hoffnungsvollsten Erscheinungen des deutschen Studententums, ja den Typ des künftigen Studenten, von sich zu weisen und dafür gehaltlose Tagesredner zu protegieren. Ich habe in dieser Schrift nicht vor, gegen Behörden und Ämter zu kämpfen: mein Kampf gilt allein Herrn von Wilamowitz. Ich schreibe s e i n e Kakistie. Gegen die Universität Berlin und ihren Rektor bin ich an anderer Stelle unmißverständlich aufgetreten. E r s e l b e r, der einzelne Mann Wilamowitz, soll nicht sagen dürfen, daß der Charakter seines Amtes ihm bestimmte Handlungen auferlegte, darum faß ich ihn nur da, wo s e i n Charakter Taten erzwang.

Aber in Parenthese sei doch gesagt, wie wir uns das Amt eines Rektors denken: wir denken es uns als die höchste geistige Instanz eines Volkes, ihn selbst gleich einem Hohenpriester. Und der vornehmste und herzensreichste Zug seines Amtes lautet: wenn ein junger Mann, dem die geistige Berufung aus den Augen leuchtet, aus berechtigten staatlichen Gründen vorübergehend zum Schweigen verurteilt wird, so muß e r sofort mit ihm Freundschaft schließen und ihn in gütigstes Gewahrsam seiner Greisen-schaft nehmen. Erst dann ist der Jüngling vogelfrei, wenn er die Hohe Freundschaft ausschlägt. (Was aber immer noch nicht gegen den Jüngling spricht).

Ulrich von Wilamowitz, der die David Friedrich Strauß-Politik der deutschen Bildung von heute leitet, brach in krumme Feindschaft aus, als er von der Geisteshaltung Ernst Joels und des "Aufbruchs" erfuhr. Und wie sollte es auch anders sein! Denn er brauchte nur die ersten Seiten des ersten Heftes aufzuschlagen, und der peinlichste Geruch schlug ihm entgegen, der ihn treffen konnte: der Geist Fichtes! Freilich nicht in kolportierter Form, wie ihn harmlose Privatdozenten erschütterungsfrei bereden, sondern hart erlebt und entschlossen ausgerufen.

Man kann, wenn man die Urteile und Taten des Herrn von Wilamowitz gegenüber Ernst Joel und dem "Aufbruch" besieht, nichts anderes finden, als völlige Haltungslosigkeit. So vergleicht er in einem Gespräch mit einem Freistudenten den "Aufbruch" und ein gewöhnliches akademisches Blättchen von bescheidenstem Gehalt miteinander und sagt: sie seien zwar beide schlecht, aber der "Aufbruch". sei schlechter, denn(!) er sei - revolutionär. Hier bleibt eigentlich nur Mitleid übrig. Daß ihm alle Möglichkeiten verloren gingen, Niveaus zu unterscheiden, daß er garnicht mehr fähig ist, an drei Sätzen deutscher Sprache das Überlegene und an drei anderen das Banale herauszuhören, das verbietet wohl jeden anderen Affekt. Die bisher erschienenen Hefte zeugen Jedem dafür, wie bedauernswert die Urteilslosigkeit des Herrn von Wilamowitz ist, und es kann nur als ein selbstverständlicher Ausklang hingenommen werden, wenn er soweit kommt, zu sagen: die Universität sei eine Anstalt zur Erziehung von - Beamten.

Aber es muß leider noch mehr gesagt werden, und hier ist Mitleid kaum am Platze. Für Sekunden tauchen wir wieder ins Problem des wissenschaftlichen Menschen zurück. Wilamowitz hat Nietzsche Mangel an Wahrheitsliebe vorgeworfen und verkündete das Programm der selbstverleugnenden Wissenschaft. Wenn nun die Wissenschaft bei einem Menschen, der sie treibt, den Erfolg hätte, ihm in Alltagsdingen Wahrhaftigkeit, Peniblität und Striktheit in der Aussagemethode zu verschaffen - so würde man hohe Gründe haben, die wissenschaftlichen Menschen zu begrüßen. Ihre Zunft wäre dann eine Art Kanalisationssystem für moralische Abwässer. Ein 50jähriges Forschertum könnte den Zustand völliger Lügen-Unmöglichkeit erzeugen, wenn es eben restlos wahr wäre, daß Wissenschaft auf Wahrheit geht. Aber: ist es denn so? Lügt wirklich der alexandrinische Mensch weniger, als der Bauer? oder nicht vielleicht gar - m e h r ..?! Man beantworte sich diese Frage nach eignem Ermessen. Wir haben hier nur festzustellen, daß der Alexandriner Wilamowitz es nicht verschmäht hat, durch Verdrehung von Tatsachen, die er ohne Mühe hätte prüfen können, die Aufbruchmitarbeiter herabzusetzen und politisch zu verdächtigen. Doch dies sei hier nur kurz gesagt, mehr dem Gelehrtenproblem zuliebe, als Wilamowitz zuhaß.

Doch etwas anderes steht noch aus, das wieder tiefer in seine Natur bohren wird. - Nichts hindert einen Kampf mehr, als wenn man für sich selber kämpfen muß. Wenn ich also im Folgenden meine eigne Person hineinspielen lasse, so geschieht das, weil die Sache es erfordert. Ich fühle mich wahrlich unerregt an dieser Stelle und spüre nur die Peinlichkeit des fortwährend genannten lieben Ichs. Doch um einer Sache zu dienen, muß man so weit gehen, vor eignen Vorteilen nicht zurückzuschrecken.

Die Dinge liegen so: Ernst Joels Aufruf zur neuen Hochschule ist an den M a n n gerichtet und nicht an die Frau, an den Studenten und nicht an die Studentin. Dies steht mit keinem Wort in seiner "Wartenden Hochschule", aber es ist so. Alle großen Dinge des Geistes sind an den Mann gerichtet; als sie entstanden, kamen sie vom Manne und gingen zum Manne. Das gemischte Publikum der heutigen Universitäten mit "studierenden Frauen" als akademischen Vollbürgern ist eine Bresche ins Hohe Geisteswesen. Das europäische Frauen-Experiment mit der Gleichwertigkeits-Fiktion in Dingen des Geistes ist mißglückt. Nachdem man es mit den Frauen versucht hat, (das eben abgelaufene liberale Zeitalter des Geistes trägt diese Marke), heißt es heute: zurück zum Manne. Und zwar - für den Mann. Nur bei ihm liegt die Entscheidung, und alles, was an Geist vom Weibe kommt, ist ohne Belang. Ernst Joel ahnte das, aber er wollte mehr, und darum verbündete er sich mit mir. Mein Problem aber, an dem ich seit einem Jahrzehnt arbeite, ist die "Männliche Gesellschaft", und diese selbst ist meine Entdeckung. Ich spreche dieses Wort ruhig aus, weil es für mich kein Pathos hat. Andere denken himmelstürmend davon, wenn jemand eine große Entdeckung gemacht hat; ich aber würde niemand zu den Meinen zählen, der mich d e s w e g e n bejahte. Entdeckungen müssen ab und zu einmal gemacht werden, aber das hat nicht viel auf sich. Es ist aber neckisch zu sehen: ich habe das Wort "Männliche Gesellschaft" einige Male gebraucht, und heute schwätzen bereits intellectuelle Pintscher beiderlei Geschlechts davon, wie als wäre es das Bekannteste von der Welt. Aber ich sage: Niemand, auch meine nächsten Freunde nicht, wissen h e u t e schon, was Männliche Gesellschaft ist. Denn ich habe es noch niemanden verraten. Ganz ist dieses Problem noch durch keinen Kopf hindurchgegangen, außer dem meinem. Wenn man die Männliche Gesellschaft konstant mit den Männerbünden verwechselt - die allbekannt sind - so ist das nicht meine Sache. Die Debatte kann erst beginnen, wenn das Werk, das die Arbeit zweier Lustren krönen soll, fertig ist.

In diesem Werk wird nichts Geringeres unternommen, als die Lösung der Frage nach der Staatsbildung der Tiergattung Mensch. Wobei es unbedingt auf Tier und unbedingt auf Mensch ankommt. Die Entscheidung wird gesucht bei der Sexualität des Mannes, aber nicht nur bei ihr, sondern bei der Tatsache Mann überhaupt; es ist daher nötig, eine ganze Andrologie aufzustellen (Zoologie, Dendrologie, Entomologie, Pomologie .... ! so etwas gibt es schon!). Man ahnt richtig, wenn man hier das mannmännliche Liebesproblem vermutet, aber man denkt falsch, wenn man meint, ich hätte wissenschaftlich-humanitäre Pläne. So ist es nicht. Vielmehr wird durch die Entdeckung der Männlichen Gesellschaft eine Mannesart, die ich den Typus inversus nenne (und wovon der echte Päderast der Antike ein m ö g 1 i c h e r Sonderfall ist), die gesamte Psychiatrie, die bisher an diesem Phänomen herumdilettierte, hinfällig gemacht und entwurzelt. - Ich wünsche mich hierüber nicht weiter zu verraten, man traut mir schließlich genug Tollkühnheit zu, um hier vor nichts zurückzuschrecken; nur die andere Seite des Problemes sei noch erwähnt: die antifeministische Tendenz. Der von mir vertretene und zuerst propagierte Antifeminismus ist wesentlich verschieden von dem der Großen: Schopenhauer, Weininger, Strindberg, und hat nichts zu tun mit dem der kleinen Leute, wie er im "Deutschen Bunde gegen die Frauenemanzipation" betrieben wird. Er stammt aus einer ganz anderen Denklage und kämpft ausschließlich gegen den Feminismus f ü r - die Frau. Doch dieses "Für" wird heute gewöhnlich noch nicht ertragen, weil es unter Bedingungen geschieht, die dem Bürger unannehmbar sind. Aber ich habe auch kein Verlangen, zu überzeugen, wo Tat und Lebenshaltung alles sind. Ich kann mich nicht mit Menschen unterhalten, die über bürgerliche und liberale, ja überhaupt soziologische Gesinnungen nicht hinauskommen. Hier kommt es nur darauf an: Niemand, der jenes Manifest: "Was ist Antifeminismus?" gelesen hat, ist sich darüber im Zweifel gewesen, daß hier entscheidende Dinge von sich reden. Die Meisten haben es herausgefühlt, daß hinter jedem Satz dieses kurzen Programms schwere Stücke eines weitgedachten Systemes stecken, das hier nur in Morsezeichen redet, und kein noch so entschiedener Gegner war sich eine Sekunde lang darüber im Zweifel, das hier völlige geistige Reinheit herrscht. - Ich sage in kurzen Worten, wie H e r r v o n W i l a m o w i t z sich dazu stellte: er erhob gegen Joel den Vorwurf, daß er im "Aufbruch" "homosexuelle Schweinereien" dulde.

Gegen den Verdacht, diese Schrift zum Abreagieren privater Affekte gegen Herrn von Wilamowitz benutzen zu wollen, bin ich gesichert. Wer uns beschimpft, kommt in die Literaturge-schichte; dieser Rache leiste ich genügend Vorschub, wenn ich jene Worte des Herrn von Wilamowitz hier veröffentliche. Auch weiß ich zu gut, welche Mittel kraftlose Menschen benutzen, um aufrührende Erkenntnisse von sich abzuhalten. Bleiben wir also bei ihm. Wir reden von dem vorgeblichen Verehrer, Erbwalter und Künder der antiken Welt. Und wer wüßte nicht, wie gut er es versteht, die griechischen Erasten-Verhältnisse zu schildern! Wie "lebendig" klingt sein Euthydem-Kolleg! Ich wette: jeder jüngling-liebende Student, der ihn reden hört, verliebt sich noch jetzt in den "kleinen Kleinias". Aber Herr von Wilamowitz steht den Dingen bekanntlich "objektiv" gegenüber. Täuschen wir uns nicht über das "Leben", das in ihm wohnt. Es ist nicht sein Leben. Er behandelt den Eros paidikos, der für den antiken Men-schen eine Selbstverständlichkeit war, nur soweit einigermaaßen freundlich, als nichts protestantisch-bürgerliches damit verletzt wird. Denn darauf hat er seinen Eid geleistet. Wagt jemand wirklich einmal, Ernst zu machen, und das starke Problem mit dem Griff zu packen, der ihm allein not tut, dann scheut er sich vor den gewöhnlichsten Schimpfworten nicht, um den Mahner öffentlich zu verdächtigen. Wissenschaftler mit strengen, objektiv-historischer Methode haben eben nur die Wahrheit zu suchen. Nun ist es ja eine Wahrheit, daß die Griechen den Eros paidikos im Blute hatten und es merken ließen; das sagt auch Herr von Wilamowitz. Aber es ist a u c h eine Wahrheit, daß wir ihn ebenso im Blute haben, und es uns n i c h t merken lassen. Und diese zweite Wahrheit ist eben die, gegen die man sich durch die streng objektive historisch-kritisch-selbstverleugnende Behandlung der ersten - w e h r t. Wobei wir also wieder da angekommen wären, wo unsere Betrachtung über "Wissenschaft" begann.

Ich bin k e i n Grieche (und wie könnte ein Deutscher mit seinen deutschen Determinanten auch Grieche sein wollen!) und ich belächle jene Naiven, die sich griechisch gerieren und "fühlen", bloß weil sie Knaben lieben. Aber w e n n ich ein auferstandener Grieche wäre und ich hörte den Rhetor Wilamowitz so über die Fundamente meines Wesens reden, ich zöge es vor, mit den Fuhrknechten Deutschlands in Zeichensprache zu verkehren, als mit diesem Herrn ein griechisches Wort zu sprechen.

 

 

IV.

 

Ulrich von Wilamowitz und der deutsche Geist...!

- Wir haben jetzt in die Urne zu greifen, wo die weißen und die schwarzen Kugeln warten. Wir stellen fest: wo es sich um schon gebuchten Geist handelt, da ist er Meister im Weiterbuchen; ja er fängt neue Bücher an und versteht es, kokette Lebendigkeit in die Lettern zu bringen. Aber den Geist in statu nascendi befeindet er, wo er ihn trifft. Wo immer ihm ein überlegener Mann begegnete, da hat er ihm Bein gestellt. 1871 und 1915. Oder findet man es abgeschmackt, daß ich Ernst Joel mit Nietzsche in eine Ebne rücke? Ich nicht. Man kann nämlich, wenn ein junger Mann 22 Jahre alt ist, durchaus noch nicht wissen, ob er nicht doch ein Nietzsche wird. Hätte man zu Nietzsche in diesem Alter gesagt: Seien Sie nicht so hochfahrend! Sie sind kein Nietzsche!, er hätte mit gutem Grunde dagegen protestiert. Zudem: die Schuldfrage wird dadurch nicht berührt. Selbst wenn Ernst Joel mit 30 Jahren Bürokrat ist: mit 22 war noch alles bei ihm Zukunft und Versprechen. Und er ist j e t z t - unter Brüdern gerechnet - gut und gerne soviel wert, wie Schiller, als er die Räuber schrieb. Und in den Briefen an seine Freunde und Feinde verrät sich wahrlich mehr Tiefe des Wesens und hoher Gehalt der Person, als in dem gesamten schlechten Deutsch, das Herr von Wilamowitz sein Leben lang hervorgebracht hat. Wilamowitz fühlte wohl aus der Sprache, der Haltung und den Augen Joels, mit wem er es zu tun hatte: da war sein ungeheures Ressentiment getroffen und er griff zu der typischen Abwehr, die ihm schon lange Mechanismus ist. - Kann nunmehr noch der mindeste Zweifel darüber bestehen, daß Herr von Wilamowitz den Verfasser der Räuber von der Universität gejagt hätte, weil er - ein Revolutionär sei? Und den Verfasser des Werther und des Satyros beschimpft, weil er unsittliche Bücher schreibe....? Niemand zweifelt daran.

Und was den "deutschen Geist" betrifft, von dem der Rhetor Wilamowitz unablässig nicht schweigen kann, so gelte ein Gleichnis: Man hat die Träume nicht verstehen können, solange man sich an deren manifesten Inhalt hielt; was in den Träumen steht, sagt nichts über sie selbst und verführt nur zu abergläubischer Deuterei. Erst seit man auf den latenten Gehalt der Träume zurückgeht, versteht man ihre Funktion. Und so ist es auch mit dem deutschen Geist: was in irgend einem Zeitalter schon da ist, in Büchern gebucht und in Reden gefaßt, dieser manifeste Gehalt ergibt aneinandergereiht und durcheinander gemessen nichts als Wirrwarr und Widerspruch: keine Spur von Einheit. Man kann mit ihm alles und nichts beweisen. Mit dieser Streckung des deutschen Geistes beschäftigen sich die sogenannten "Intellektuellen", als deren obersten Vertreter man Wilamowitz ohne Gefahr ansetzen kann. Was aber noch u n t e r dieser offnen Decke ruht, was noch mit der Sprache ringt, was dunkel ist, - und was Herr von Wilamowitz gar zu gern "übersetzen" möchte: das ist das Geheimnis des deutschen Geistes. Hier ruht es und hier rüstet es sich - so hoffen W i r zu großem Auf-Stand. Hier stehen die G e i s t i g e n. - Und nun, wackrer Friedrich Nikolai: grüße deinen neuesten Jünger!

Wir aber gehen den andern Weg. - Wenn irgend eine Haltung deutsch genannt werden kann, so ist es die der Gefolgschaft. Wo kündet sich jeder kommende noch unverständliche Geist? Im überlegenen Manne. Und nur dort. Und wann? Zwischen zwanzig und dreißig. Dort fällt die Entscheidung. Sursum corda! Begrüßt den überlegnen Jüngling! Nur in ihm schlägt die Zukunft, in seinen Adern rinnt das edle Blut und in seinen Augen glüht der Herrscherblick; in seinen Bewegungen zeichnet sich der Schritt des Geistes. Uns bleibt nur eine Aufgabe: ihm zu helfen, grade dann, wenn er noch dunkel spricht, ihn nicht kritisieren und benörgeln, sondern an seiner Seite stehn. Das ist die einzige Tat, auf die es ankommt. Alles andere ist Verrat. - Aber woher wissen wir, daß er ein Überlegner ist? Beruhigt Euch, Weisheitsdeuter der objektiven historisch-kritisch selbstverleugnenden Methode! D a s i s t u n s e r e S a c h e.

W i r irren uns nie. Irrtum ist Sache Derer, die die Wahrheit verkünden und dem Aberglauben von der voraussetzungslosen Wissenschaft huldigen. W i r künden nicht Wahr und Falsch, nicht Gut und Böse, sondern Treue dem überlegnen Jüngling, und sagen Fehde an den historischen Greisen. Wir achten sie nur solange, wie sie d i e s e s Gut nicht antasten. Und wir sind heiter genug, immer und immer wieder jene jubeltränenerregenden herzschlagenden Worte zu jauchzen, die einst Goethe einem jünglinggewesenen Großen nachrief

 

Nun glühte seine Wange rot und röter

Von jener Jugend, die uns nie entfliegt,

Von jenem Mut, der, früher oder später,

Den Widerstand der stumpfen Welt besiegt.

 

 

 

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Schriften wesentlicher Art:

 

Friedrich Bauermeister: Vom Klassenkampf der Jugend. Bei Eugen Diederichs-Jena. Preis 0,50 Mk. (aus dem vergriffenen ersten Aufbruch-Heft).

 

Hans Blüher: Wandervogel. Geschichte einer Jugendbewegung I. Teil: Heimat u. Aufgang (3. Aufl.) Preis 2 M. II. Teil: Blüte u. Niedergang (2. Aufl.) Preis 2,50 M. Die deutsche Wandervogelbewegung als erotisches Phänomen (2. vermehrte Aufl.) Preis 2,50 M.

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Kurt Hiller: Die Weisheit der Langenweile. 2 Bände bei

Kurt Wolff, Leipzig. Preis 6 Mk.

Das Ziel. Aufrufe zu tätigem Geist. Herausgegeben von

Kurt Hiller. Verlag Georg Müller, München. (vgl. Prospekt.)

 

Ernst Joel: Die Jugend vor der sozialen Frage. 2. Aufl.

Preis 0,50 Mk. (Verlag E. Diederichs Jena.)

 

Ernst Joel und Erich Mohr: Die wartende Hochschule.

Preis 0,50 Mk. (Verlag E. Diederichs, Jena.)

Der Aufbruch. - Heft 1 vergriffen. Heft 2/3 Preis 2,00 Mk.

Heft 4 Preis 1,00 Mk. (Literarische Seltenheit!)

Verlag E. Diederichs. Zu beziehen durch die

Geschäftsstelle des Aufbruchs.

 

Gustav Landauer: Aufruf zum Sozialismus. Verlag des

Sozialistischen Bundes, Berlin SO 33. Preis 0,50 Mk.

 

Gustav Wyneken: Schule und Jugendkultur. 2. Aufl. Ver-

lag E. Diederichs. Preis 3 Mk.

 

Der Gedankenkreis der Freien Schulgemeinde. Dem

Wandervogel gewidmet.Verlag E. Matthes, Leipzig. Preis 0,60

 

 

Die Freie Schulgemeinde. Organ des Bundes für Freie Schulgemeinden. (Vierteljährlich.) Jahrespreis 2 Mk.

Verlag E. Diederichs.

 

Anfang April 1916 erscheint:

 

Hans Blüher
Die Intellektuellen und die Geistigen.

 

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