Seelen-Reise Nr. 8 (20)

 

 

 

Das abgetriebene Kind

 

Diese Reise ist in erster Linie für Frauen gedacht, die ein abgetriebene Kind in ihrem Leben und damit auf ihrer Seele haben. Sie ist in zweiter Linie auch für die Väter dieser abgetriebenen Kinder, denn auch in ihrer Seele ist diese Kind ausgegrenzt und bildet eine Leerstelle - die wieder gefüllt werde muß!

Sollten in deinem Leben und deiner Seele mehrere Kinder abgetrieben worden sein, so ist es wichtig, daß du diese Reise zu jedem dieser Kinder gesondert durchführst. Es hilft dir dabei, wenn du dir die Lebensumstände von damals und den Partner, mit dem du das Kind gezeugt hast, noch einmal vor dieser Reise deutlich vor Augen führst. In der Reise ist oft die Rede von deinem "Partner" (mit dem du das Kind gezeugt hast). Sprachlich das eine männliche Form. In der Reise wird "Partner" jedoch sowohl für den männlichen wie für den weiblichen Teil gebraucht.

 

 

Teil 1

Jedes Kind, das gezeugt wird,

ist erst einmal eine Manifestation von Kraft

- von Lebenskraft.

Zwei große Kraftfelder,

das mütterliche und das väterliche,

treffen in einem Akt der Liebe aufeinander,

vereinigen sich, wachsen zusammen

und bringen etwas Drittes hervor.

Etwas Drittes, das jetzt eigenständig wird

und heranwächst.

Natürlich müssen die "Zeugenden"

von diesem Geschehen nichts wissen

und sie paaren sich meistens auch nicht deshalb.

Sie wollten vielleicht nur Wärme oder Nähe

oder Spaß oder Lust oder Ego-Bestätigung

oder was auch immer.

 

Von dem heranwachsenen Dritten aus betrachtet,

ist es in der Tat unerheblich, aus welchem Grund

die Vereinigung geschah.

Für das Dritte zählt nur die "Kraft des Lebens",

die es geschenkt bekommt, die jetzt in ihm wächst,

und die in sich den Impuls trägt, zu bleiben.

Ja, es ist sozusagen der erste Wunsch, der erste Wille

des heranwachsenden Menschenwesens,

in dieser Zugehörigkeit zum Leben bleiben zu dürfen.

 

Hat jedoch dieses Wesen,

das den Willen zum Leben in sich trägt,

auch das Recht, zu bleiben?

Ja, nach den Regeln des Strafgesetzbuches

hat es dieses Recht.

Nur leider gelten dessen Gesetze

im Inneren der Seele nicht.

Nach den Regeln der Seele existiert

ein solches Recht nicht!

Nach den Regeln der Seele

ist ein Überleben dieses Wesens

ein Akt der Gnade

und wird von anderer Stelle entschieden.

Nicht vom Kind, nicht von der Mutter,

nicht vom Vater.

Wir finden ja immer wieder jene Fälle,

wo alle Beteiligten das Erscheinen dieses Wesens

mit großen Hoffnungen und großer Freude erwarten

und trotzdem verstirbt das Kind bereits sehr früh.

Und die Behauptung (meist aus esoterischen Kreisen),

das Kind hätte sich entschieden, nicht zu kommen,

ist der Versuch, ein Pflaster

auf ein Meer von Traurigkeit zu kleben.

Nein, das heranwachsende Kind

hat dieses Lebens-Recht nicht,

es hat nur den Willen, zu leben.

Aber das Schicksal, in seiner undurchschaubaren Gestalt,

hat jederzeit das Recht, dem Kind sein Leben zu nehmen

- und es sterben zu lassen.

 

Aber es ist ja nicht immer das Schicksal,

das dieses Recht ausübt.

In den weitaus meisten Fällen entscheidet

nämlich nicht das Schicksal,

sondern der Mensch - die Eltern des Kindes - selbst.

Die Mutter oder der Vater entscheiden sich

für eine Abtreibung

und werden damit zum Schicksal für das Kind.

Für das Kind!

Also vom Kinde aus betrachtet,

werden die Eltern zu Schicksalsträgern.

Aber wehe, die Eltern betrachten es ebenso!

Wie oft hörte ich Frauen,

die ihr Kind abgetrieben haben, sagen:

"Das Kind hat sich mich als Mutter ausgesucht

- karmisch sozusagen - weil es wußte,

es muß die Erfahrung einer Abtreibung durchlaufen!"

 

Hier wälzt eine Mutter

- nach drei Esoterik-Kursen -

ihre eigene Verantwortung

auf das abgetriebene Kind

und auf das Schicksal ab.

Sie war ja nur Erfüllungs-Gehilfe.

Nicht ich war es, der abgetrieben hat,

sondern das Schicksal wollte es so.

Das Fatale an diesem Argument besteht darin:

Sie, die Mutter, wird damit auch nicht froh!

Ihr Verstand hat ein (quasi-) rationales Pflaster

aber ihr Herz blutet weiter und leidet.

 

Haben die Eltern ein Recht,

das Kind abzutreiben?

Stimmt der Satz aus der Frauenbewegung:

"Mein Bauch gehört mir?"

 

Die Antwort lautet - verblüffenderweise:

Ja, die Eltern haben das Recht!

Es ist ihre Kraft, die dort heranwächst.

Und sie können sich entscheiden,

diese Kraft wachsen

und ans Licht kommen zu lassen

- oder die Kräfte, die sie entfesselt haben,

wieder zum Verlöschen zu bringen.

Sie haben dieses Recht!

 

Das Problem besteht nur darin:

Die meisten Eltern wissen nicht,

welche Konsequenzen eine Ausübung dieses Rechtes

auf ihr eigenes Inneres mit sich bringt.

Die Eltern wissen nicht,

welchen Preis sie zu zahlen haben

für die Anwendung dieses Rechtes.

 

Aber sie sollten von dem Preis wissen!

 

Eltern sehen nur die eine Seite.

Nämlich ihre Gründe,

warum dieses Kind nicht geboren werden sollte.

Und Gründe gibt es genug:

Noch ein Kind ist zu teuer,

die Wohnung ist zu klein,

die Karriere kommt zu kurz,

der Vater ist nicht der Richtige (bei Frauen),

die Mutter ist nicht die Richtige (bei Männern),

oder die Frau weiß gar nicht, wer der Vater ist.

Bis hin zu dem beliebtesten Argument

aller Abtreibungsbefürworter:

"Der Vater hat die Mutter vergewaltigt,

soll ein solches Kind etwa ausgetragen werden?"

 

Wie gesagt, Gründe für eine Abtreibung

gibt es Tausend auf ein Lot.

 

Was aber sind die Konsequenzen,

was aber ist der Preis,

den ich für jede Abtreibung zahlen muß

- und von dem ich erst einmal nicht weiß?

 

Der Preis besteht in jedem Fall darin,

daß im Inneren meiner Seele

- in einer tiefen und dunklen Kammer meines Inneren -

ein ungeborenes Kind lebt!

In mir lebt ein verstoßener,

abgetöteter Teil von mir - ein ausgestoßenes Kind.

Ein Kind, das ich mich geweigert habe,

ans Licht zu tragen - auszutragen.

Jetzt lebt es in mir weiter!

Und wie dieses Kind sich fühlt,

daß ich nicht haben wollte,

und wie meine Seele sich fühlt,

die ein getötetes Kind in ihren Räumen beherbergt,

ein Kind, das keine Bestätigung, keine Aufmerksamkeit,

das keine Nähe und keine Wärme bekommt,

das kann sich jeder ausmalen.

(Auch wenn es natürlich keiner tut!)

Und dieses abgetriebene Kind

lebt nicht nur in der Seele der Mutter.

Es lebt auch in der Seele des Vaters.

Sogar dann noch, wenn der Vater

noch nicht einmal von der Abtreibung weiß.

 

Ein solches Kind ist in der Tat "abgetrieben".

Aber woher kommt eigentlich dieses Wort?

"Abtreiben" kann doch nur etwas,

was auf dem Wasser schwimmt.

Aber wovon treibt es ab?

Natürlich nur von da, wo die anderen leben.

Von jenem Ort, von jener Insel,

wo die anderen leben,

wo die anderen zusammengehören,

von dort treibt es ab - wird abgetrieben.

 

Jetzt gehört es nicht mehr dazu!

Aber - ich wiederhole es noch einmal -

es ist noch da!

 

Und, bleiben wir in diesem Bild,

es schwimmt in einem Meer von Traurigkeit.

Einem Meer, gebildet aus der Traurigkeit des Kindes,

der Traurigkeit der Mutter und

- der Traurigkeit des Vaters.

Wobei der größte Anteil an dieser Traurigkeit

immer von der Mutter beigesteuert wird.

Denn sie hat damals die letzte Entscheidung getroffen,

sie hat den größten Anteil an dieser Entscheidung.

 

Vielleicht bist du, der du heute meine Worte hörst,

eine Frau und du antwortest:

"Das stimmt nicht, mein Partner oder mein Mann

wollte die Entscheidung mehr als ich.

Oder meine Mutter hat mich gezwungen,

sonst hätte sie mir meine Ausbildung

nicht weiter finanziert!"

Dennoch: Niemand auf der ganzen Welt

hat die Macht, eine Frau, die ihr Kind behalten will,

zu einer andere Entscheidung zu zwingen!

Nein, die Mutter hat immer größeren Anteil

an dieser Entscheidung

und deshalb sind ihre Schuldgefühle

und ihre Traurigkeit (tief im Inneren)

auch immer größer als die des Vaters.

 

Natürlich kann es sein,

daß du dieses Traurigkeit und die Schuldgefühle

heute gar nicht mehr merkst.

Das liegt aber nur daran,

daß du heute auf der Insel deines Lebens

immer im Landesinneren dich aufhältst

und sorgfältig vermeidest,

an die Gestade des Meeres zu gehen.

Zu jener Stelle also, an der dein Kind einst

von dir ausgesetzt wurde

und - abgetrieben - ist.

 

Aber du weißt jetzt: Es ist noch da!

 

Teil 2

Deine Reise zu deinem abgetriebenen Kind

beginnt - wie jede andere Seelenreise auch -

bei deinem Atem.

Du atnmest ganz bewußt

tief ein und tief aus

und du wendest deine ganze Aufmerksamkeit

auf deinen Atem.

Du spürst, wie er in dein Inneres Einzug hält

und du spürst ebenso,

wie er dich nach einiger Zeit wieder verläßt.

Du nimmst das ewige Ein und Aus deines Atems,

das ewige Nehmen und Geben ganz bewußt wahr.

Und dann, im Strom des Atems,

taucht wieder jenes große alte Treppenhaus

aus dem Inneren deiner Seele auf.

Die Stufen führen tief nach unten hinab.

(10 Sekunden)

Und während es hier oben,

am oberen Ende der Treppe

noch einigermaßen hell ist,

siehst du auch, wenn du nach unten schaust,

daß die Stufen der Treppe

sich nach unten ins Dunkle hinein verlieren.

Und du weißt schon,

du wirst diese Treppe jetzt betreten

und langsam - im Rhythmus deines Atems -

Stufe um Stufe nach unten steigen.

Ein und Aus.

Und Stufe um Stufe.

Und tiefer und tiefer,

führt dich der Weg in dein Inneres hinab.

Und mit jeder Stufe wirst du ein wenig leichter,

mit jeder Stufe bleibt die Welt des Tages

ein wenig hinter dir zurück.

Und du betrittst mehr und mehr

das Innere deiner Seele.

(10 Sekunden)

Und es wird dunkler rings umher.

Ein und Aus.

Und tiefer und tiefer.

Und Stufe um Stufe.

Und bald ist es schon sehr dunkel,

aber deine Füsse finden jeweils

mit großer Sicherheit die nächste Stufe.

Und dann, nach einiger Zeit,

taucht ein erster Treppenabsatz auf.

Gänge führen nach recht und nach links

waagerecht in das Innere.

Es ist dies die Etage deines heutigen Lebens.

Die Etage deiner Freunde, deiner Arbeitskollegen,

die Etage der heutigen Menschen deines Lebens.

Aber du betrittst dieses Etage nicht,

du bleibst auf der nach unten führenden Treppe.

(10 Sekunden)

Du gehst weiter nach unten,

weiter in das Innere.

Wieder gibt es viele Stufen

und wieder atmest du dich

- Ein und Aus -

die Stufen hinab in die Tiefe deiner Seele.

(10 Sekunden)

Und dann nach, nach einiger Zeit,

von der du gar nicht sagen könntest,

wieviel Zeit überhaupt verstrichen ist

- den die Uhren gehen hier anders -

nach einiger Zeit also

gibt es einen neuen Treppenabsatz.

Es ist dies die Etage der "Partnerschaften".

Ein großer Gang mit einer gewölbten Öffnung,

die du im Dunklen nur erahnen kannst,

führt in das Innere.

(10 Sekunden)

Hier wird deine Reise beginnen.

Das weißt du jetzt.

Der Gang ist hinten ganz leise erleuchtet,

so als wären im Abstand von zehn Metern jeweils

brennende Kerzen angeordnet.

Und mit einem weiteren tiefen Atemzug

betrittst du den Gang zu den "Partnern deines Lebens".

 

Teil 3

Nach einiger Zeit bemerkst du

Türen auf diesem Gang - und du verstehst!

Jeder Partner, mit dem du in deinem Leben

eine - kurze oder lange - Berührung hattest,

jeder deiner Partner wohnt hier!

 

Jeder Mensch, der einmal dein Partner war,

jeder Mensch, mit dem du einmal intim warst,

mag im Außen, in der äußeren Welt, gegangen sein.

Du kannst ihn im Außen

vollständig aus den Augen verloren haben,

ja, er kann im Außen längst tot sein.

Hier unten - in deinem Inneren - lebt er weiter.

In deiner Seele lebt er bis ans Ende deiner Tage.

Er hat hier - in deinem Inneren -

auf der Etage der Partnerschaften

einen eigenen Raum.

Ein eigenes Zimmer, ein Apartement,

und - je nachdem, wie lange die Partnerschaft gedauert,

oder wie eng ihr verbunden wart - mitunter sogar

eine große, aus vielen Zimmern bestehende Wohnung!

Er, der andere Mensch, hat sich

in eurer Beziehung diese Räume verdient!

(10 Sekunden)

Wenn du die Eingangstüren auf dem Flur betrachtest,

dann kannst du ihnen von außen gar nicht ansehen,

wie geräumig die dahinterliegenden Räume sich gestalten.

Manche Partner mögen nur eine kleine Kammer

in deiner Seele haben.

Andere haben sich sehr ausgebreitet

und haben in deinem Inneren noch sehr viel Raum.

 

Aber das ist heute nicht so wichtig.

Heute gehst du den Gang entlang

und schaust dich um nach der Tür zu jenem Partner,

mit dem du ein Kind erwartest hast.

Du als Vater oder du als Mutter.

Du schaust dich um nach der Tür zu jenem Partner

dessen Kind du abgetrieben hast,

wenn du die Mutter bist,

oder dessen Kind abgetrieben worden ist,

wenn du der Vater bist.

Langsam gehst du den Flur entlang

und dein Atem führt dich ganz von allein

zu der richtigen Tür.

Manchmal stehen Namen auf der Tür

und wenn dein damaliger Partner "Uwe"

oder "Hermine"geheißen hat,

so kann es sein, daß dieser Name auf der Tür steht.

Aber das muß nicht sein,

im Ein und Aus des Atems,

weißt du auch so, daß du jetzt vor der richtigen Tür stehst.

(10 Sekunden)

Und du siehst außerdem,

das die Tür einen kleinen Spalt geöffnet ist.

So, als hätte der Bewohner schon lange

auf dich gewartet.

Du öffnest jetzt die Tür und du trittst ein.

 

Im Inneren des Raumes ist es

ebenfalls nicht richtig hell.

Dämmerlicht herrscht.

Und irgendwo in dem Raum

hält sich auch dein früherer Partner auf.

Vielleicht schaut er dich an

- vielleicht auch nicht.

Das ist heute nicht so wichtig.

Heute bist du nicht in erster Linie

seinetwegen gekommen!

 

Und unabhängig davon, ob er dich anschaut oder nicht,

sagst du zu ihm - du sagst es wirklich laut:

 

"Ich habe in deinem Leben

noch etwas vergessen!"

 

"Als wir zusammen waren - damals -

da ist etwas in uns und durch uns entstanden."

 

"Das habe ich vergessen!"

 

Und dann schaust du dich um

im Raume deines Partners.

Irgendwo im Fußboden des Raumes

gibt eine ziemlich große kreisförmige Öffnung

mit einem Treppengländer,

das wendelartig nach unten geht.

Du erkennst die Öffnung, weil der obere Teil

des Geländers sichtbar ist.

Du gehst auf die Öffnung zu.

Du schaust nach unten: Treppenstufen

und dazwischen tiefe Dunkelheit.

(10 Sekunden)

Neben der Treppe steht ein alter Kerzenleuchter

mit Zündhölzern daneben.

Ohne dich um deinen früheren Partner zu kümmern,

zündest du die Kerze an

und machtst dich bereit, hinabzusteigen.

Mit der brennenden Kerze in der einen Hand

legst du die andere Hand auf das Geländer

und steigst hinab.

Das dämmrige Licht über dir,

das aus dem Raume deines Partners fällt,

bleibt oben zurück.

Mit dem Ein und Aus deines Atems

umfängt dich bald tiefe Dunkelheit.

Ja, du steigst hinab.

Mit deinem Atem steigst du hinab.

Die Kerze erhellt gerade eben

die nächsten Treppenstufen.

Und es will dir erscheinen

- obwohl das eigentlich unmöglich ist -,

daß die Treppe dich direkt ins Freie führt.

Ein leichter Wind geht!

Und ein eigenartiges Geräusch erkling.

Und erst deine Nase überzeugt dich:

Du riechst Seeluft - Meeresluft.

Und jetzt spürst du auch den freien Wind.

Es ist Meereswind.

Und dann hörst du auch die Wellen.

Noch weit entfernt mit ihrem typischen Rauschen.

(10 Sekunden)

Und du steigst weiter hinab.

Und dann finden deine Füsse den sandigen Boden.

Du bist am Ende der Treppe angelangt.

Und das Rauschen des Wassers ist stärker geworden.

Ja, du bist am Strand eines großen Meeres.

Deine Kerze flackert im Wind - aber sie hält.

Und dann siehst du es auch:

Leise Wellen bewegen sich

vor deinen Füssen auf dich zu.

Versanden, bevor sie dich erreichen.

(10 Sekunden)

Und wenn du die Kerze

etwas über deinen Kopf hälst,

siehst du in einiger Entfernung

auch die Schaumkronen größerer Wellen.

Du stehst tatsächlich am Strand eines Meeres.

 

Hier also geschah es!

(10 Sekunden)

Du weißt nicht genau, was du jetzt tun kannst.

Mit der Kerze, die du über deinem Kopf hältst,

damit ihr Schein dich nicht blendet,

gehst du ein wenig an der Wasserlinie entlang.

Es ist wirklich tief dunkel,

kein Stern steht am Himmel.

Kein Mond erhellt das Meer.

Nur die Wellen rauschen.

Und es fällt dir gerade ein,

daß du in dieser Dunkelheit

niemals den Rückweg

zu der Wendeltreppe finden wirst,

da siehst du vor dir, in einiger Entfernung,

ein dunkles Etwas.

Es schaukelt leise in den Wellen,

die immer wieder versuchen,

es ans Land zu spülen.

Du gehst weiter und du siehst

eine Art Kasten aus Korb

oder aus Bast.

Ein kleines Schiff, geflochten.

(10 Sekunden)

Du näherst dich und du siehst,

in dem Kasten liegen - verknäult - Decken

und in die Decken engehüllt,

liegt ein längliches Etwas.

Und der Name "Moses",

der ja auch in einem Bastkorb ausgesetzt wurde,

geht dir durch den Kopf.

Aber natürlich weißt du,

daß es nicht Moses ist,

der dort in seinem kleinen Schiff

dem Meer übergeben worden ist.

Und mit klopfendem Herzen

und mit wenigen Schritten

stehst du jetzt direkt vor diesem Bastkasten.

Und du gehst in die Knie

und du ziehst das kleine Schiff

jetzt ganz an das feste Land.

(10 Sekunden)

Und dann nimmst du das in Decken gehüllte Kind,

das vollkommen vermummt ist,

aus seinem Korb.

Du umfängst es mit deinen Armen

und du drückst es an dich.

Du nimmst es an deine Brust

und hälst es dort ganz sicher.

So, als wolltest du es wärmen.

(10 Sekunden)

Und dann sagst du diesem kleinen Wesen,

du sagst es sehr leise - in seine Decken hinein:

 

"Ein Teil von mir wollte dich vergessen."

 

"Aber ich konnte es nicht!"

 

"Ich mußte zurückkommen

und nach dir sehen!"

 

Und dann wiegst du es hin und her.

(10 Sekunden)

Und dann, wie du da im Sand sitzt,

dein Kind auf den Armen,

spürst du eine Hand auf deiner Schulter.

Es ist dein Partner!

Der, mit dem du zusammen

dieses Kind gezeugt hast.

Und dein Partner setzt sich zu euch in den Sand.

Ganz nahe zu euch.

Und auch er legt seinen Arm

um dich und um das Kind.

Und dann sagt er:

 

"Auch ich wollte vergessen!"

 

"Aber es ging nicht!"

 

"Ich bin so traurig.

Ich bin schon lange so traurig!"

(10 Sekunden)

 

Und so sitzt ihr zu dritt zusammen:

Du, dein früherer Partner

und euer gemeinsames Kind.

Und das Kind bekommt jetzt

zum ersten Mal eure gemeinsame Wärme zu spüren.

(10 Sekunden)

Und es kann sein,

daß eine gemeinsame Traurigkeit

euch überkommt.

Diese Traurigkeit darf dasein.

Diese Traurigkeit wärmt euer Kind.

(10 Sekunden)

Und das Kind weiß,

es wird nie mit euch zusammen

nach oben gehen dürfen.

Aber es hofft, daß jetzt - endlich -

seine Nacht zuende sein darf.

Daß ihr beide gekommen seid,

damit es hell werden darf an seinem Strand.

(10 Sekunden)

Und so sitzt ihr noch eine Weile engumschlungen

und ihr spürt das kleine Wesen,

daß im Außen nie ein Kind werden durfte.

Ihr spürt, wie es immer wärmer wird.

Wie es sich in eurer Wärme regen kann

und wie es auch in eurer Wärme

ein wenig wachsen kann.

Ein klein wenig.

Und so sitzt ihr da

- mit euren Erinnerungen,

- mit eurer Traurigkeit

- und mit eurem kleinen ungeborenen Kind.

(10 Sekunden)

Und du drehst dich deinem Partner zu

und du flüsterst in sein Ohr:

 

"Schade!"

 

Und dein Partner erwidert diesen Gruß:

 

"Ja", sagt er, "Schade!"

 

Und dann schaut ihr wieder aufs dunkle Meer.

Die Kerze verlischt.

Und in die tiefe Dunkelheit hinein

bricht nach einer Weile

am fernen Horizont

ein winzig kleiner Lichtschimmer sich bahn.

(10 Sekunden)

Als wäre es das erste Mal, daß ihr es seht.

Der Morgen dämmert herauf.

Und es geht ziemlich schnell.

Erste Lichtfinger ziehen über das Meer.

Und bald schon seht ihr

die ein klein wenig gekrümmte Linie des Horizontes.

Ihr lauscht jetzt zu dritt dem Sonnenaufgang.

Erste Möwen ziehen ihre Bahn.

Und dann bricht die Sonne durch,

erst ein winzig goldener Punkt

- wird strahlend größer.

Und ist bald zur Hälfte da!

(10 Sekunden)

Ja, das Licht erscheint

- endlich - auf diesem dunklen Strand!

Und ihr seid immer noch ganz eng zusammen:

Du, dein früherer Partner euer gemeinsames Kind.

Und du schaust deinen Partner an,

siehst sein von Tränen gezeichnetes Gesicht.

Und du schaust auf das Bündel in eurem Arm.

Aber irgendwie erscheint es dir zu leicht!

Du schlägst die Decken zur Seite,

willst eurer Kind ein erstes Mal anschauen.

Doch die Decken sind leer!

Das Kind ist nicht mehr da!

Und dann zeigt dein Partner aufs Meer:

Und da siehst du: Der Korb,

das kleine Schiff aus Bast

schwimmt schon weit entfernt.

Es schwimmt der aufgehenden Sonne entgegen!

Ja, mehr noch, du siehst,

daß eine kleine Hand ein Segel aufzieht.

Und der Wind, der ablandige Wind,

greift in das Segel - und führt das Boot weiter fort.

Weit hinaus!

(10 Sekunden)

Und jetzt erscheint es euch so,

als ob zwei kleine Hände

euch zum Abschied zuwinken.

Eine winkende Hand für jeden von Euch!

(10 Sekunden)

Und dann wird das Boot kleiner und kleiner

und verschwindet im endlosen Ozean!

 

Teil 4

Und auch du weißt,

daß jetzt die Zeit gekommen ist,

zu gehen.

Und du schließt deine Augen

und läßt dich nach hinten

in den warmen Sand sinken.

Und du hörst noch von Ferne

deinen früheren Partner sagen:

"Jetzt darf es wieder gut sein!",

und dann merkst du, wie der Wind,

der frische Wind, der hier am Strand weht,

dir in die Glieder fährt

und dich wieder frisch machen will.

Du kehrst zurück zu deinem Atem

und auch er erfrischt dich und holt dich

wieder in die Welt des Tages zurück.

Und jetzt spürst du auch

deine Glieder wieder auf deiner Unterlage.

Und es ist nicht mehr der Strand.

Es ist jener Ort, auf dem du dich

zum Anhören dieser Phantasiereise

niedergelassen hast.

Und du spürst das Bedürfnis,

deine Glieder zu recken und zu strecken.

Du bewegst dich,

öffnest deine Augen

und du bist jetzt wieder ganz WACH!


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