Frank Wedekind

Erdgeist

Tragödie

 

 

Inhalt

Erdgeist

Tragödie in vier Aufzügen

Prolog

Erster Aufzug

Zweiter Aufzug

Dritter Aufzug

Vierter Aufzug

 

 

Erdgeist

Tragödie in vier Aufzügen

Nach dem Wortlaut
der zweiten Auflage (1903)

ªMich schuf aus gröberm Stoffe die Natur,

Und zu der Erde zieht mich die Begierde.

Dem bösen Geist gehört die Erde, nicht

Dem guten. Was die Göttlichen uns senden

Von oben, sind nur allgemeine Güter;

Ihr Licht erfreut, doch macht es keinen reich,

In ihrem Staat erringt sich kein Besitz.

Den Edelstein, das allgeschätzte Gold

Muß man den falschen Mächten abgewinnen,

Die unterm Tage schlimmgeartet hausen.

Nicht ohne Opfer macht man sie geneigt,

Und keiner lebet, der aus ihrem Dienst

Die Seele hätte rein zurückgezogen.´

 

WILLY GRÉTOR

gewidmet

 

PERSONEN

Medizinalrat Dr. Goll

Dr. Schön, Chefredakteur

Alwa, sein Sohn

Schwarz, Kunstmaler

Prinz Escerny, Afrikareisender

Schigolch

Rodrigo, Artist

Hugenberg, Gymnasiast

Escherich, Reporter

Lulu

Gräfin Geschwitz, Malerin

Ferdinand, Kutscher

Henriette, Zimmermädchen

Ein Bedienter

Die Rolle Hugenberg wird von einem Mädchen gespielt.

Rechts und links vom Schauspieler.

 

PROLOG

Ein Tierbändiger tritt, nachdem der aufgezogene Vorhang einen Zelteingang hat sichtbar werden lassen, in zinnoberrotem Frack, weißer Krawatte, langen schwarzen Locken, weißen Beinkleidern und Stulpstiefeln, in der Linken eine Hetzpeitsche, in der Rechten einen geladenen Revolver, unter Zimbelklängen und Paukenschlägen aus dem Zelt.

Hereinspaziert in die Menagerie,

Ihr stolzen Herrn, ihr lebenslust’gen Frauen,

Mit heißer Wollust und mit kaltem Grauen

Die unbeseelte Kreatur zu schauen,

Gebändigt durch das menschliche Genie.

Hereinspaziert, die Vorstellung beginnt! –

Auf zwei Personen kommt umsonst ein Kind.

Hier kämpfen Tier und Mensch im engen Gitter,

Wo jener höhnend seine Peitsche schwingt

Und dieses, mit Gebrüll wie Ungewitter,

Dem Menschen mörderisch an die Kehle springt;

Wo bald der Kluge, bald der Starke siegt,

Bald Mensch, bald Tier geduckt am Estrich liegt;

Das Tier bäumt sich, der Mensch auf allen vieren!

Ein eisig kalter Herrscherblick –

Die Bestie beugt entartet das Genick

Und läßt sich fromm die Ferse drauf postieren.

Schlecht sind die Zeiten! –All die Herrn und Damen,

Die einst vor meinem Käfig sich geschart,

Beehren Possen, Ibsen, Opern, Dramen

Mit ihrer hochgeschätzten Gegenwart.

An Futter fehlt es meinen Pensionären,

So daß sie gegenseitig sich verzehren.

Wie gut hat’s am Theater ein Akteur!

Des Fleischs auf seinen Rippen ist er sicher,

Sei auch der Hunger ein ganz fürchterlicher

Und des Kollegen Magen noch so leer. –

Doch will man Großes in der Kunst erreichen,

Darf man Verdienst nicht mit dem Lohn vergleichen.

Was seht ihr in den Lust- und Trauerspielen?! –

Haustiere, die so wohlgesittet fühlen,

An blasser Pflanzenkost ihr Mütchen kühlen

Und schwelgen in behaglichem Geplärr,

Wie jene andern – unten im Parterre:

Der eine Held kann keinen Schnaps vertragen,

Der andre zweifelt, ob er richtig liebt,

Den dritten hört ihr an der Welt verzagen,

Fünf Akte lang hört ihr ihn sich beklagen,

Und niemand, der den Gnadenstoß ihm gibt.

Das wahre Tier, das wilde, schöne Tier,

Das – meine Damen! – sehn Sie nur bei mir.

Sie sehen den Tiger, der gewohnheitsmäßig,

Was in den Sprung ihm läuft, hinunterschlingt;

Den Bären, der, von Anbeginn gefräßig,

Beim späten Nachtmahl tot zu Boden sinkt;

Sie sehn den kleinen amüsanten Affen

Aus Langeweile seine Kraft verpaffen;

Er hat Talent, doch fehlt ihm jede Größe,

Drum kokettiert er frech mit seiner Blöße;

Sie sehn in meinem Zelte, meiner Seel’,

Sogar gleich hinterm Vorhang ein Kamel! –

Und sanft schmiegt das Getier sich mir zu Füßen,

Wenn – er schießt ins Publikum

– donnernd mein Revolver knallt.

Rings bebt die Kreatur; ich bleibe kalt –

Und Mensch bleib kalt! – Sei ehrfurchtsvoll zu grüßen.

Hereinspaziert! – Sie traun sich nicht herein? –

Wohlan, Sie mögen selber Richter sein!

Sie sehn auch das Gewürm aus allen Zonen:

Chamäleone, Schlangen, Krokodile,

Drachen und Molche, die in Klüften wohnen.

Gewiß, ich weiß, Sie lächeln in der Stille

Und glauben mir nicht eine Silbe mehr –

er lüftet den Türvorhang und ruft in das Zelt

He, Aujust! Bring mir unsre Schlange her!

Ein schmerbäuchiger Arbeiter trägt die Darstellerin der Lulu in ihrem Pierrotkostüm aus dem Zelt und setzt sie vor dem Tierbändiger nieder.

Sie ward geschaffen, Unheil anzustiften,

Zu locken, zu verführen, zu vergiften –

Zu morden, ohne daß es einer spürt.

Lulu am Kinn kraulend

Mein süßes Tier, sie ja nur nicht geziert!

Nicht albern, nicht gekünstelt, nicht verschroben,

Auch wenn die Kritiker dich weniger loben.

Du hast kein Recht, uns durch Miaun und Fauchen

Die Urgestalt des Weibes zu verstauchen,

Durch Faxenmachen uns und Fratzenschneiden

Des Lasters Kindereinfalt zu verleiden!

Du sollst – drum sprech’ ich heute sehr ausführlich –

Natürlich sprechen und nicht unnatürlich!

Denn erstes Grundgesetz seit frühster Zeit

In jeder Kunst war Selbstverständlichkeit!

Zum Publikum

Es ist jetzt nichts Besondres dran zu sehen,

Doch warten Sie, was später wird geschehen:

Mit starkem Druck umringelt sie den Tiger;

Er heult und stöhnt! – Wer bleibt am Ende Sieger?! –

Hopp, Aujust! Marsch! Trag sie an ihren Platz –

Der Arbeiter nimmt Lulu quer auf die Arme; der Tierbändiger tätschelt ihr die Hüften.

Die süße Unschuld – meinen größten Schatz!

Der Arbeiter trägt Lulu ins Zelt zurück.

Und nun bleibt noch das Beste zu erwähnen;

Mein Schädel zwischen eines Raubtiers Zähnen.

Hereinspaziert! Das Schauspiel ist nicht neu,

Doch seine Freude hat man stets dabei.

Ich wag’ es, ihm den Rachen aufzureißen,

Und dieses Raubtier wagt nicht zuzubeißen.

So schön es ist, so wild und buntgefleckt,

Vor meinem Schädel hat das Tier Respekt!

Getrost leg’ ich mein Haupt ihm in den Rachen;

Ein Witz – und meine beiden Schläfen krachen!

Dabei verzicht’ ich auf des Auges Blitz;

Mein Leben setz’ ich gegen einen Witz;

Die Peitsche werf’ ich fort und diese Waffen

Und geb’ mich harmlos, wie mich Gott geschaffen. –

Wißt ihr den Namen, den dies Raubtier führt? – –

Verehrtes Publikum – – Hereinspaziert!!

Der Tierbändiger tritt unter Zimbelklängen und Paukenschlägen in das Zelt zurück.

 

ERSTER AUFZUG

Geräumiges Atelier – Rechts hinten Entreetür, rechts vorn Seitentür zum Schlafkabinett. In der Mitte ein Podium. Hinter dem Podium eine spanische Wand. Vor dem Podium ein Smyrnateppich. Links vorn zwei Staffeleien. Auf der hintern das Brustbild eines jungen Mädchens. Gegen die vordere lehnt eine umgekehrte Leinwand. Vor den Staffeleien, etwas gegen die Mitte vorn, eine Ottomane. Darüber Tigerfell. Rechts an der Wand zwei Sessel. Im Hintergrund eine Trittleiter.

Erster Auftritt

Schwarz und Schön.

Schön auf dem Fußende der Ottomane sitzend, mustert das Brustbild auf der hinteren Staffelei. Wissen Sie, daß ich die Dame von einer ganz neuen Seite kennen lerne?

Schwarz Pinsel und Palette in der Hand, steht hinter der Ottomane. Ich habe noch niemanden gemalt, bei dem der Gesichtsausdruck so ununterbrochen wechselte. – Es war mir kaum möglich, einen einzigen Zug dauernd festzuhalten.

Schön auf das Bild deutend, ihn ansehend Finden Sie das darin?

Schwarz Ich habe das Erdenklichste getan, um durch meine Unterhaltung während der Sitzungen wenigstens etwas Ruhe in der Stimmung hervorzurufen.

Schön Dann verstehe ich den Unterschied.

Schwarz taucht den Pinsel ins Ölnäpfchen und überstreicht die Gesichtszüge.

Schön Glauben Sie, es wird dadurch ähnlicher?

Schwarz Man kann nicht mehr tun als es mit der Kunst so gewissenhaft wie möglich nehmen.

Schön Sagen Sie mal ...

Schwarz zurücktretend Die Farbe ist auch wieder etwas eingeschlagen.

Schön ihn ansehend Haben Sie jemals in ihrem Leben ein Weib geliebt?

Schwarz geht auf die Staffelei zu, setzt eine Farbe auf und tritt auf der anderen Seite zurück Der Stoff ist noch nicht genügend abgehoben. Man sieht noch nicht recht, daß ein lebender Körper darunter ist.

Schön Ich zweifle nicht daran, daß die Arbeit gut ist.

Schwarz Wenn Sie hierhertreten wollen.

Schön sich erhebend Sie müssen ihre wahre Schauergeschichten erzählt haben.

Schwarz So weit wie möglich zurück.

Schön zurücktretend, stößt die an die vordere Staffelei gelehnte Leinwand um Pardon ...

Schwarz den Rahmen aufhebend O bitte ...

Schön betroffen Was ist das ...

Schwarz Kennen Sie sie?

Schön Nein.

Schwarz setzt das Bild auf die Staffelei. Man sieht eine Dame als Pierrot gekleidet mit einem hohen Schäferstab in der Hand Ein Kostümbild.

Schön Die ist Ihnen aber gelungen.

Schwarz Sie kennen sie?

Schön Nein. Und in dem Kostüm?

Schwarz Es fehlt noch die ganze Ausführung.

Schön Na ja.

Schwarz Was wollen Sie? Während sie mir steht, habe ich das Vergnügen, ihren Mann zu unterhalten.

Schön Sagen Sie ...

Schwarz Über Kunst natürlich, um mein Glück zu vervollständigen.

Schön Wie kommen Sie denn zu der reizenden Bekanntschaft?

Schwarz Wie man dazu kommt. Ein steinalter, wackliger Knirps fällt mir hier herein, ob ich seine Frau malen könne. Nun natürlich, und wenn sie runzlig wie Mutter Erde ist. Andern Tags Punkt zehn fliegen die Türen auf, und der Schmerbauch treibt dieses Engelskind vor sich her. Ich fühle jetzt noch, wie mir die Knie schwankten. Ein stocksteifer, saftgrüner Lakai mit einem Paket unterm Arm. Wo die Garderobe sei? Denken Sie sich meine Lage. Ich öffne die Tür da nach rechts deutend. Nur ein Glück, daß schon alles in Ordnung war. Das süße Geschöpf huscht hinein, und der Alte postiert sich als Schanzkorb davor. Zwei Minuten darauf tritt sie in diesem Pierrot heraus. Den Kopf schüttelnd Ich habe nie so was gesehen. Geht nach rechts und starrt an die Schlafzimmertür hin.

Schön der ihm mit dem Blick gefolgt Und der Schmerbauch steht Schildwache?

Schwarz sich umwendend Der ganze Körper im Einklang mit dem unmöglichen Kostüm, als wäre er darin zur Welt gekommen. Ihre Art, die Ellbogen in die Taschen zu vergraben, die Füßchen vom Teppich zu heben – mir schießt oft das Blut zu Kopf ...

Schön Das sieht man dem Bild an.

Schwarz kopfschüttelnd Unsereiner, wissen Sie ...

Schön Hier führt das Modell die Konversation.

Schwarz Sie hat den Mund noch nicht aufgetan.

Schön Ist’s möglich!

Schwarz Erlauben Sie, daß ich Ihnen das Kostüm zeigt.

Nach rechts ab.

Schön allein, vor dem Pierrot Eine Teufelsschönheit. Vor dem Brustbild Hier ist mehr Fond. Nach vorn kommend Er ist noch etwas jung für sein Alter.

Schwarz kommt mit einem weißen Atlaskostüm zurück Was das für ein Stoff sein mag?

Schön den Stoff befühlend Atlas.

Schwarz Und alles in einem Stück.

Schön Wie kommt man denn da hinein?

Schwarz Das kann ich Ihnen nicht sagen.

Schön das Kostüm bei den Beinen nehmend Diese riesigen Hosenpfeifen!

Schwarz Die linke rafft sie hinauf.

Schön auf das Bild sehend Bis übers Knie!

Schwarz Sie macht das zum Entzücken.

Schön Und transparente Strümpfe?

Schwarz Die wollen nämlich gemalt sein.

Schön Oh, das können Sie.

Schwarz Dabei von einer Koketterie!

Schön Wie kommen Sie auf den entsetzlichen Verdacht?

Schwarz Es gibt Dinge, von denen sich unsere Schulweisheit nichts träumen läßt. Trägt das Kostüm in sein Schlafzimmer.

Schön allein Wenn man schläft ...

Schwarz kommt zurück, sieht nach der Uhr Wenn Sie übrigens ihre Bekanntschaft machen wollen ...

Schön Nein.

Schwarz Sie müssen im Augenblick hier sein.

Schön Wie oft wird denn die Dame noch sitzen müssen?

Schwarz Ich werde die Tantalusqual wohl noch ein Vierteljahr zu erdulden haben.

Schön Ich meine die andere.

Schwarz Entschuldigen Sie. Dreimal höchstens. Ihn zur Türe geleitend Wenn mir die Dame dann nur ihre Taille dalassen will!

Schön Mit Vergnügen. Lassen Sie sich bald wieder bei mir sehen. Stößt in der Tür auf Dr. Goll und Lulu. In Gottes Namen!

Zweiter Auftritt

Dr. Goll., Lulu. Die Vorigen.

Schwarz Darf ich vorstellen ...

Goll zu Schön Was treiben denn Sie hier?

Schön Lulu die Hand küssend Frau Medizinalrat.

Lulu Sie wollen doch nicht schon gehen?

Goll Welcher Wind führt denn Sie hierher?

Schön Ich habe mir das Bild meiner Braut angesehen.

Lulu nach vorn kommend Ihre Braut ist hier?

Goll Sie lassen hier also auch arbeiten?

Lulu vor dem Brustbild Sieh da! Bezaubernd! Entzückend!

Goll sich umsehend Sie halten sie wohl hier irgendwo versteckt?

Lulu Das ist also das süße Wunderkind, das Sie zu einem Menschen gemacht ...

Schön Sie sitzt meistens am Nachmittag.

Goll Und davon erzählen Sie einem nichts?

Lulu sich umwendend Ist sie denn wirklich so ernste?

Schön Wohl noch die Nachwirkung der Pensionszeit, gnädige Frau.

Goll vor dem Brustbild Man sieht, daß Sie eine tiefangehende Wandlung durchgemacht haben.

Lulu Nun dürfen Sie sie aber nicht mehr länger warten lassen.

Schön In vierzehn Tagen denke ich unsere Verlobung bekanntzumachen.

Goll zu Lulu Laß uns keine Zeit verlieren. Hopp!

Lulu zu Schön Denken Sie, wir fuhren im Trab über die neue Kaibrücke. Ich habe selber kutschiert.

Schön will sich verabschieden.

Goll Nein, nein. Wir beide sprechen nachher weiter. Geh, Nelli. Hopp!

Lulu Jetzt kommt’s an mich!

Goll Unser Apelles leckt sich schon die Pinsel ab.

Lulu Ich hatte mir das viel amüsanter vorgestellt.

Schön Sie haben dabei immerhin die Genugtuung, uns den seltensten Genuß zu bereiten.

Lulu nach rechts gehend Na, warten Sie nur.

Schwarz vor der Schlafzimmertür Wenn Frau Obermedizinalrat so freundlich sein wollen. Schließt die Tür hinter ihr und bleibt davor stehen.

Goll Ich habe sie in unserm Ehekontrakt nämlich Nelli getauft.

Schön So? – Ja.

Goll Was halten Sie davon?

Schön Warum nennen Sie sie nicht lieber Mignon?

Goll Das wäre auch was. Daran habe ich nicht gedacht.

Schön Glauben Sie, daß der Name soviel dabei ausmacht?

Goll Hm – Sie wissen, ich habe keine Kinder.

Schön sein Zigarettenetui aus der Tasche nehmend Sie sind doch aber auch erst ein paar Monate verheiratet.

Goll Danke. Ich wünsche mir keine.

Schön Rauchen Sie eine Zigarette?

Goll sich bedienend Ich habe an dem einen vollkommen genug. Zu Schwarz Sagen Sie mal, was macht denn eigentlich ihre kleine Tänzerin?

Schön sich nach Schwarz umwendend Sie und eine Tänzerin?

Schwarz Die Dame saß mir damals nur aus Gefälligkeit. Ich kenne die Dame von einem Ausflug des Cäcilienvereins her.

Goll zu Schön Hm – ich glaube, wir kriegen anderes Wetter.

Schön Das geht wohl nicht so rasch mit der Toilette?

Goll Das geht wie der Blitz! Die Frau muß Virtuosin in ihrem Fach sein. Das muß jeder von uns in seinem Fach, wenn das Leben nicht zur Bettelei werden soll. Ruft Hopp, Nelli!

Schwarz an der Tür Frau Obermedizinalrat!

Lulu von innen Gleich, gleich.

Goll zu Schön Ich begreife solche Stockfische nicht.

Schön Ich beneide sie. Diese Stockfische kennen nichts Heiligeres als ihr Hungertuch. Sie fühlen sich reicher als unsereiner mit 30 000 Mark Renten. Sie können übrigens nicht über einen Menschen urteilen, der von Kindesbeinen an von der Palette in den Mund gelebt hat. Nehmen Sie es auf sich, ihn zu finanzieren. Es ist ein Rechenexempel. Mir fehlt der moralische Mut. Man verbrennt sich auch leicht die Finger ...

Lulu als Pierrot aus dem Schlafzimmer tretend Da bin ich.

Schön wendet sich um, nach einer Pause Superb!

Lulu tritt näher Nun?

Schön Sie beschämen die kühnste Phantasie.

Lulu Wie gefall’ ich Ihnen?

Schön Ein Bild, vor dem die Kunst verzweifeln muß.

Goll Finden Sie nicht auch?

Schön zu Lulu Sie wissen doch wohl nicht recht, was Sie tun.

Lulu Ich bin mir meiner vollkommen bewußt!

Schön Dann dürften Sie etwas besonnener sein.

Lulu Ich tue ja doch nur meine Schuldigkeit.

Schön Sie sind gepudert?

Lulu Was fällt Ihnen ein!

Goll Sie hat eine weiße Haut, wie ich sie noch nirgends gesehen habe. Ich habe unserem Raffael auch gesagt, er möge sich mit dem Fleisch nur ja so wenig wie möglich abgeben. Ich kann mich einmal für die moderne Kleckserei nicht begeistern.

Schwarz an den Staffeleien, seine Farben präparierend Dem Impressionismus dankt es die heutige Kunst jedenfalls, daß sie sich alten Meistern ohne Erröten an die Seite stellen darf.

Goll Für ein Stück Schlachtvieh mag sie ja ganz angebracht sein.

Schön Nur um Gottes willen keine Aufregung!

Lulu fällt Goll um den Hals und küßt ihn.

Goll Man sieht dein Negligé. Du mußt es herunterziehen.

Lulu Ich hätte es am liebsten weggelassen. Es geniert nur.

Goll Er wäre imstande und malte es hin.

Lulu nimmt den Schäferstab, der an der spanischen Wand lehnt, auf das Podium steigend, zu Schön Was würden Sie jetzt sagen, wenn Sie zwei Stunden Parade stehen müßten?

Schön Meine Seele verschriebe ich dem Teufel, um mit Ihnen tauschen zu dürfen.

Goll sich rechts setzend Kommen Sie hierher. Hier ist nämlich mein Beobachtungsposten.

Lulu das linke Beinkleid bis zum Knie hinaufraffend, zu Schwarz So?

Schwarz Ja ...

Lulu es um eine Idee höher raffend So?

Schwarz Ja, ja ...

Goll zu Schön, der auf dem Sessel neben ihm Platz genommen hat, mit einer Handbewegung Ich finde sie nämlich von hier aus noch vorteilhafter.

Lulu ohne sich zu rühren Ich bitte sehr! Ich bin von allen Seiten gleich vorteilhaft.

Schwarz zu Lulu Das rechte Knie weiter vor, bitte.

Schön mit einer Geste Der Körper zeigt vielleicht feinere Linien ...

Schwarz Die Beleuchtung ist heute zum mindesten halbwegs erträglich.

Goll Sie müssen sie flott hinwerfen! Fassen Sie ihren Pinsel etwas länger!

Schwarz Gewiß, Herr Medizinalrat.

Schön Behandeln Sie sie als Stilleben!

Schwarz Gewiß, Herr Doktor. Zu Lulu Sie pflegten den Kopf um eine Idee höher zu halten, Frau Medizinalrat.

Lulu den Kopf hebend Malen Sie mir die Lippen etwas geöffnet.

Schön Malen Sie Schnee auf Eis. Wenn Sie sich dabei erwärmen, dann wird Ihre Kunst sofort unkünstlerisch.

Schwarz Gewiß, Herr Doktor!

Goll Die Kunst, wissen Sie, muß die Natur so wiedergeben, daß man wenigstens geistig dabei genießen kann!

Lulu den Mund etwas öffnend, zu Schwarz So – sehen Sie. So halte ich sie halb geöffnet.

Schwarz Sobald die Sonne kommt, wirft die Mauer von gegenüber warme Reflexe herein.

Goll zu Lulu Du mußt dich in deiner Stellung überhaupt so verhalten, als ob unser Velasquez hier gar nicht vorhanden wäre.

Lulu Ein Maler ist doch auch eigentlich gar kein Mann.

Schön Ich glaube nicht, daß Sie von einer rühmlichen Ausnahme so ohne weiteres auf die ganze Zunft schließen dürfen.

Schwarz von der Staffelei zurücktretend Ich hätte mir im vergangenen Herbst doch lieber ein anderes Atelier mieten müssen.

Schön zu Goll Was ich fragen wollte – haben Sie die kleine O’Morphi schon als peruanische Perlenfischerin gesehen?

Goll Morgen sehe ich sie mir zum viertenmal an. Der Fürst Polossow führte mich hin. Sein Haar ist vor Entzücken schon wieder dunkelblond geworden.

Schön Sie finden sie also auch fabelhaft?

Goll Wer will das je im voraus beurteilen!

Lulu Ich glaube, es hat geklopft.

Schwarz Entschuldigen Sie mich einen Augenblick. Geht zur Tür und öffnet.

Goll Du darfst ihn getrost etwas unbefangener anlächeln.

Schön Dem macht das gar nichts.

Goll Und wenn! – Wozu sitzen wir beide denn hier!

Dritter Auftritt

Alwa Schön. Die Vorigen.

Alwa noch hinter der spanischen Wand Darf man eintreten?

Schön Mein Sohn.

Lulu Das ist ja Herr Alwa!

Goll Kommen Sie nur ungeniert herein!

Alwa vortretend, reicht Schön und Goll die Hand Herr Medizinalrat ... Sich nach Lulu umwendend Seh ich recht? – Wenn ich Sie doch nur für meine Hauptrolle engagieren könnte!

Lulu Ich würde für Ihr Stück wohl kaum gut genug tanzen.

Alwa Aber Sie haben doch einen Tanzlehrer, wie man ihn an keiner Bühne Europas findet!

Schön Was führt dich denn hierher?

Goll Sie lassen hier wohl auch insgeheim irgend jemanden porträtieren?

Alwa zu Schön Ich wollte dich zur Generalprobe abholen.

Schön erhebt sich.

Goll Lassen Sie denn heute schon in vollem Kostüm tanzen?

Alwa Versteht sich. Kommen Sie mit. In fünf Minuten muß ich auf der Bühne sein. Zu Lulu Ich Unglücklicher!

Goll Ich habe ganz vergessen – wie nennt sich doch Ihr Ballett?

Alwa Dalai-Lama.

Goll Ich glaubte, der wäre im Irrenhaus.

Schön Sie meinen Nietzsche, Herr Sanitätsrat.

Goll Sie haben recht. Ich verwechsle die beiden.

Alwa Ich habe dem Buddhismus auf die Beine geholfen.

Goll An den Beinen erkennt man den Bühnendichter.

Alwa Die Corticelli tanzt den jugendlichen Buddha, als hätte sie am Ganges das Licht der Welt erblickt.

Schön Solang die Mutter noch lebte, tanzte sie mit den Beinen ...

Alwa Als sie dann frei wurde, tanzte sie mit dem Verstande ...

Goll Jetzt tanzt sie mit dem Herzen!

Alwa Wenn Sie sie sehen wollen?

Goll Danke.

Alwa Kommen Sie doch mit!

Goll Unmöglich!

Schön Wir haben übrigens keine Zeit zu verlieren.

Alwa Kommen Sie mit, Herr Medizinalrat. Im dritten Akt sehen Sie Dalai-Lama in seinem Kloster, mit seinen Mönchen ...

Goll Mir wäre es lediglich um den jugendlichen Buddha zu tun.

Alwa Was hindert Sie denn?

Goll Es geht nicht. Es geht nicht.

Alwa Wir gehen nachher zu Peters. Da können Sie Ihrer Bewunderung Ausdruck geben.

Goll Dringen Sie nicht weiter in mich. Ich bitte Sie.

Alwa Sie sehen die zahmen Affen, die beiden Brahmanen, die kleinen Mädchen ...

Goll Bleiben sie mir nur um Gottes willen mit den kleinen Mädchen vom Halse!

Lulu Reservieren Sie uns eine Proszeniumsloge auf Montag, Herr Alwa?

Alwa Wie konnten gnädige Frau daran zweifeln?

Goll Wenn ich zurückkomme, hat mir der Höllenbreughel das ganze Bild verpatzt!

Alwa Das wäre doch kein Unglück. Das läßt sich übermalen.

Goll Wenn man den Caravacci nicht jeden Pinselstrich expliziert ...

Schön Ich halte übrigens Ihre Befürchtungen für unbegründet.

Goll Das nächste Mal, meine Herren!

Alwa Die Brahmanen werden ungeduldig! Die Töchter Nirvanas schlottern in ihren Trikots!

Goll Verdammte Kleckserei!!

Schön Man wird uns auszanken, daß wir Sie nicht mitbringen.

Goll In fünf Minuten bin ich zurück. Stellt sich links vorn hinter Schwarz und vergleicht das Bild mit Lulu.

Alwa zu Lulu Mich ruft leider die Pflicht, gnädige Frau.

Goll zu Schwarz Sie müssen hier ein wenig mehr modellieren. Das Haar ist schlecht. Sie sind nicht genug bei der Sache ...

Alwa Kommen Sie.

Goll Nun nur hopp! Zu Peters bringen mich keine zehn Pferde.

Schön Alwa und Goll folgend Wir nehmen meinen Wagen, der unten steht.

Vierter Auftritt

Schwarz. Lulu.

Schwarz beugt sich nach links, spuckt aus Pack! – Wäre doch das Leben zu Ende! – Der Brotkorb! – Brotkorb und Maulkorb! Jetzt bäumt sich mein Künstlerstolz. Nach einem Blick auf Lulu Diese Gesellschaft! – Erhebt sich, geht nach rechts hinten, betrachtet Lulu von allen Seiten, setzt sich wieder an die Staffelei Die Wahl würde einem schwer. – – Wenn ich Frau Obermedizinalrat ersuchen darf, die rechte Hand etwas höher.

Lulu nimmt den Schäferstab so hoch, sie reichen kann, für sich Wer hätte das für möglich gehalten!

Schwarz Ich bin wohl recht lächerlich?

Lulu Er kommt gleich zurück.

Schwarz Ich kann nicht mehr tun als malen.

Lulu Da ist er.

Schwarz sich erhebend Nun?

Lulu Hören Sie nicht?

Schwarz Es kommt jemand ...

Lulu Ich wußte es ja.

Schwarz Es ist der Hausmeister. Er fegt die Treppe.

Lulu Gott sei Dank.

Schwarz Sie begleiten Herrn Obermedizinalrat wohl auf seine Praxis?

Lulu Das fehlte mir noch!

Schwarz Weil Sie es nicht gewohnt sind, allein zu sein.

Lulu Wir haben zu Hause eine Haushälterin.

Schwarz Die Ihnen Gesellschaft leistet?

Lulu Sie hat viel Geschmack.

Schwarz Wofür?

Lulu Sie zieht mich an.

Schwarz Sie gehen wohl viel auf Bälle?

Lulu Nie.

Schwarz Wozu brauchen Sie dann die Toiletten?

Lulu Zum Tanzen.

Schwarz Sie tanzen wirklich?

Lulu Csardas – Samaqueca – Skirtdance …

Schwarz Widert Sie denn das nicht an ?

Lulu Sie finden mich häßlich?

Schwarz Sie verstehen mich nicht. – Wer gibt Ihnen denn den Unterricht?

Lulu Er.

Schwarz Wer?

Lulu Er.

Schwarz Er?

Lulu Er spielt Violine. – – –

Schwarz Man lernt jeden Tag ein neues Stück Welt kennen.

Lulu Ich habe in Paris gelernt. Ich nahm Stunden bei Eugenie Fougère. Sie hat mich auch ihre Kostüme kopieren lassen.

Schwarz Wie sind denn die?

Lulu Grünes Spitzenröckchen bis zum Knie, ganz in Volants dekolletiert natürlich, sehr dekolletiert und fürchterlich geschnürt. Hellgrüner Unterrock, dann immer heller. Schneeweiße Dessous mit handbreiten Spitzen ...

Schwarz Ich kann nicht mehr ...

Lulu Malen Sie doch!

Schwarz mit dem Spachtel schabend Ist Ihnen denn nicht kalt?

Lulu Gott bewahre! Nein. Wie kommen Sie auf die Frage? Ist Ihnen denn so kalt?

Schwarz Heute nicht. Nein.

Lulu Gottlob kann man atmen!

Schwarz Wieso ...

Lulu atmet tief ein.

Schwarz Lassen Sie das bitte! - Springt auf, wirft Pinsel und Palette weg, geht auf und nieder Der Stiefelputzer hat es wenigstens nur mit ihren Füßen zu tun. Seine Farbe frißt ihm auch nicht ins Geld. Wenn mir morgen das Abendbrot fehlt, fragt mich keine Weltdämchen danach, ob ich mich aufs Austernschlecken verstehe.

Lulu Ist das ein Unhold!

Schwarz nimmt die Arbeit wieder auf Was jagt den Kerl auch in diese Probe!

Lulu Mir wäre es auch lieber, er wäre dageblieben.

Schwarz Wir sind wirklich die Märtyrer unseres Berufes!

Lulu Ich wollte Ihnen nicht weh tun.

Schwarz zögernd, zu Lulu Wenn Sie links – das Beinkleid – ein wenig höher ...

Schwarz tritt zum Podium Erlauben Sie ...

Lulu Was wollen Sie?

Schwarz Ich zeige es Ihnen.

Lulu Es geht nicht.

Schwarz Sie sind nervös ... Will ihre Hand fassen.

Lulu wirft ihm den Schäferstab ins Gesicht Lassen Sie mich in Ruhe! Eilt zur Entreetür Sie bekommen mich noch lange nicht.

Schwarz Sie verstehen keinen Scherz.

Lulu Doch, ich verstehe alles. Lassen Sie mich nur frei. Mit Gewalt erreichen Sie gar nichts bei mir. Gehen Sie an Ihre Arbeit. Sie haben kein Recht mich zu belästigen. Flüchtet hinter die Ottomane. Setzen Sie sich hinter Ihre Staffelei.

Schwarz will um die Ottomane Sobald ich Sie für Ihre Launenhaftigkeit bestraft habe.

Lulu ausweichend Dazu müssen Sie mich aber erst haben. Gehen Sie, Sie erwischen mich doch nicht. – In langen Kleidern wäre ich Ihnen längst in die Hände gefallen. – Aber in dem Pierrot!

Schwarz sich der Länge nach über die Ottomane werfend Habe ich dich!

Lulu schlägt ihm das Tigerfell über den Kopf Gute Nacht! Springt über das Podium, klettert auf die Trittleiter. Ich sehe über alle Städte der Erde weg ...

Schwarz sich aus der Decke wickelnd Dieser Balg!

Lulu Ich greife in den Himmel und stecke mir die Sterne ins Haar.

Schwarz ihr nachkletternd Ich schüttle, bis Sie herunterfallen.

Lulu höher steigend Wenn Sie nicht aufhören, werfe ich die Leiter um. Werden Sie meine Beine loslassen! – Gott schütze Polen! Bringt die Leiter zu Fall, springt auf das Podium und wirft Schwarz, wie er sich vom Boden aufrafft, die spanische Wand an den Kopf. Nach vorne eilend, an den Staffeleien Ich habe Ihnen ja gesagt, daß Sie mich nicht bekommen.

Schwarz nach vorne kommend Lassen Sie uns Frieden schließen. Will sie umfassen.

Lulu Bleiben Sie mir vom Leib, oder ... Sie wirft ihm die Staffelei mit dem Brustbild entgegen, daß beides krachend zu Boden stürzt.

Schwarz schreit auf Barmherziger Gott!

Lulu links hinten Das Loch haben Sie selber hineingeschlagen.

Schwarz Ich bin ruiniert! Zehn Wochen Arbeit, meine Reise, meine Ausstellung. – Jetzt ist nichts mehr zu verlieren. Stürzt ihr nach.

Lulu springt über die Ottomane, über die umgestürzte Trittleiter, kommt über das Podium nach vorn Ein Graben! – Fallen Sie nicht hinein! Stapft durch das Brustbild. Sie hat einen neuen Menschen aus ihm gemacht. Fällt vornüber.

Schwarz über die spanische Wand stolpernd Ich kenne kein Erbarmen mehr.

Lulu im Hintergrund Lassen Sie mich jetzt in Ruhe. – Mir wird schwindlig. – – O Gott, o Gott ... Kommt nach vorn und sinkt auf die Ottomane.

Schwarz verriegelt die Tür. Darauf setzt er sich neben sie, ergreift ihre Hand und bedeckt sie mit Küssen, hält inne; man sieht ihm an, daß er einen inneren Kampf kämpft.

Lulu schlägt die Augen auf. Er kann zurückkommen.

Schwarz Wie ist dir?

Lulu Als wäre ich ins Wasser gefallen ...

Schwarz Ich liebe dich.

Lulu Ich liebte einmal einen Studenten.

Schwarz Nelli ...

Lulu Mit vierundzwanzig Schmissen ...

Schwarz Ich liebe dich, Nelli.

Lulu Ich heiße nicht Nelli.

Schwarz küßt sie.

Lulu Ich heiße Lulu.

Schwarz Ich werde dich Eva nennen.

Lulu Wissen Sie, wieviel Uhr es ist?

Schwarz nach der Uhr sehend Halb elf.

Lulu nimmt die Uhr und öffnet das Gehäuse.

Schwarz Du liebst mich nicht.

Lulu Doch ... Es ist fünf Minuten nach halb elf.

Schwarz Gib mir einen Kuß, Eva!

Lulu nimmt ihn am Kinn und küßt ihn, wirft die Uhr in die Luft und fängt sie wieder auf Sie riechen nach Tabak.

Schwarz Warum sagst du nicht ªdu´?

Lulu Es würde unbehaglich.

Schwarz Du verstellst dich!

Lulu Sie verstellen sich selber, wie mir scheint. – Ich mich verstellen? Wie kommen Sie nur darauf! – Das hatte ich niemals nötig.

Schwarz erhebt sich fassungslos, sich mit der Hand über die Stirn fahrend Allmächtiger! Ich kenne die Welt nicht ...

Lulu schreit Bringen Sie mich nur nicht um!

Schwarz sich rasch umwendend Du hast mich noch nie geliebt ...

Lulu sich halb aufrichtend Sie haben noch nie geliebt ...!

Goll von außen Machen Sie auf!

Lulu ist aufgesprungen Verstecken Sie mich! O, Gott, verstecken Sie mich!

Goll gegen die Tür polternd Machen Sie auf!

Schwarz will zur Tür.

Lulu hält ihn zurück Er schlägt mich tot.

Goll gegen die Tür polternd Machen Sie auf!

Lulu vor Schwarz niedergesunken, umfaßt seine Knie Er schlägt mich tot. Er schlägt mich tot.

Schwarz Stehen Sie auf ... Die Tür fällt krachend ins Atelier.

Fünfter Auftritt

Goll. Die Vorigen.

Goll mit blutunterlaufenen Augen stürzt mit erhobenem Stock auf Schwarz und Lulu los Ihr Hunde! – Ihr ... keucht, ringt einige Sekunden nach Atem und schlägt vornüber auf die Diele.

Schwarz wankt in den Knien.

Lulu hat sich zur Tür geflüchtet. – Pause.

Schwarz tritt an Goll heran Herr – Herr Medi – Herr Medizi – Herr Medizinal – Herr Medizinalrat.

Lulu in der Tür Bringen Sie doch erst bitte das Atelier in Ordnung.

Schwarz Herr Obermedizinalrat. Beugt sich nieder Herr ... Tritt zurück. Er hat sich die Stirne geritzt. Helfen Sie mir, ihn auf die Ottomane zu legen.

Lulu bebt scheu zurück Nein, nein ...

Schwarz sucht ihn umzukehren Herr Medizinalrat.

Lulu Er hört nicht.

Schwarz Helfen Sie mir doch nur.

Lulu Wir heben ihn zu zweit auch nicht.

Schwarz sich emporrichtend Man muß zum Arzt schicken.

Lulu Er ist furchtbar schwer.

Schwarz seinen Hut nehmend Seien Sie doch bitte so freundlich und richten Sie, bis ich zurück bin, die Stellagen ein wenig zurecht. Ab.

Sechster Auftritt

Lulu. Goll.

Lulu Auf einmal springt er auf. – Eindringlich Bussi! – – Er läßt sich nichts merken. – Kommt in weitem Bogen nach vorn Er sieht mir auf die Füße und beobachtet jeden Schritt, den ich tue. Er hat mich überall im Auge. – Sie berührt ihn mit der Fußspitze Er läßt mich sitzen. – – Was fang’ ich an? – – Beugt sich zur Erde Ein wildfremdes Gesicht! Sich aufrichtend Und niemand, der ihm den letzten Dienst erweist. – Ist das trostlos ...

Siebenter Auftritt

Schwarz. Die Vorigen.

Schwarz Noch nicht wieder zur Besinnung gekommen?

Lulu links vorn Was fang’ ich an ...

Schwarz über Goll gebeugt Herr Medizinalrat.

Lulu Ich glaube beinah, es ist ihm Ernst.

Schwarz Reden Sie doch anständig!

Lulu Er würde mir das nicht sagen. Er läßt sich von mir vortanzen, wenn er sich nicht wohl fühlt.

Schwarz Der Arzt muß im Augenblick hier sein.

Lulu Arznei hilft ihm nicht.

Schwarz Aber man tut doch in solchem Falle, was man kann.

Lulu Er glaubt nicht daran.

Schwarz Wollen Sie sich denn nicht wenigstens umziehen?

Lulu Ja. – Gleich.

Schwarz Worauf warten Sie denn noch?

Lulu Ich bitte sie ...

Schwarz Was denn...?

Lulu Schließen Sie ihm die Augen.

Schwarz Sie sind entsetzlich.

Lulu Noch lange nicht so entsetzlich wie Sie!

Schwarz Wie ich?

Lulu Sie sind eine Verbrechernatur.

Schwarz Rührt Sie denn dieser Moment gar nicht?

Lulu Mich trifft es auch mal.

Schwarz Ich bitte Sie, jetzt schweigen Sie endlich mal!

Lulu Sie trifft es auch mal.

Schwarz Das brauchen Sie einem in einem solchen Augenblick wirklich nicht noch zu sagen.

Lulu Ich bitte Sie ...

Schwarz Tun Sie, was Ihnen nötig scheint. Ich kenne das nicht.

Lulu rechts von Goll Er sieht mich an.

Schwarz links von Goll Mich auch ...

Lulu Sie sind ein Feigling!

Schwarz schließt Goll mit dem Taschentuch die Augen Es ist das erstemal in meinem Leben, daß ich dazu verurteilt bin.

Lulu Haben Sie es denn Ihrer Mutter nicht getan?

Schwarz nervös Nein.

Lulu Sie waren wohl auswärts?

Schwarz Nein!

Lulu Oder Sie fürchteten sich?

Schwarz heftig Nein.

Lulu bebt zurück Ich wollte Sie nicht beleidigen.

Schwarz Sie lebt noch.

Lulu Dann haben Sie doch noch jemanden.

Schwarz Sie ist bettelarm.

Lulu Das kenne ich.

Schwarz Spotten Sie meiner nicht!

Lulu Jetzt bin ich reich ...

Schwarz Es ist grauenerregend. Geht nach links Was kann sie dafür!

Lulu für sich Was fang’ ich an?

Schwarz für sich Vollkommen verwildert! Schwarz links, Lulu rechts, sehen einander mißtrauisch an.

Schwarz geht auf sie zu, ergreift ihre Hand Sieh mir ins Auge!

Lulu ängstlich Was wollen Sie ...

Schwarz führt sie zur Ottomane, nötigt sie, neben ihm Platz zu nehmen Sieh mir in die Augen!

Lulu Ich sehe mich als Pierrot darin.

Schwarz stößt sie von sich Verwünschte Tanzerei!

Lulu Ich muß mich umziehen ...

Schwarz hält sie zurück Eine Frage ...

Lulu Ich darf ja nicht antworten.

Schwarz wieder an der Ottomane Kannst du die Wahrheit sagen?

Lulu Ich weiß es nicht.

Schwarz Glaubst du an einen Schöpfer?

Lulu Ich weiß es nicht.

Schwarz Kannst du bei etwas schwören?

Lulu Ich weiß es nicht. Lassen Sie mich! Sie sind verrückt!

Schwarz Woran glaubst du denn?

Lulu Ich weiß es nicht.

Schwarz Hast du denn keine Seele?

Lulu Ich weiß es nicht.

Schwarz Hast du schon einmal geliebt –?

Lulu Ich weiß es nicht.

Schwarz erhebt sich, geht nach links, für sich Sie weiß es nicht!

Lulu sich ihm nähernd Was wollen Sie wissen?

Schwarz empört Geh, zieh dich an!

Lulu geht ins Schlafkabinett.

Achter Auftritt

Schwarz. Goll.

Schwarz Ich möchte tauschen mit dir, du Toter! Ich gebe sie dir zurück. Ich gebe dir meine Jugend dazu. Mir fehlt der Mut und der Glaube. Ich habe mich zu lange gedulden müssen. Es ist zu spät für mich. Ich bin dem Glück nicht gewachsen. Ich habe eine höllische Angst davor. Wach auf! Ich habe sie nicht angerührt. Er öffnet den Mund. – Mund auf und Augen zu wie die Kinder. Bei mir ist es umgekehrt. Wach auf! Wach auf! Kniet nieder und bindet ihm sein Taschentuch um den Kopf Hier flehe ich zum Himmel, er möge mich befähigen, glücklich zu sein. Er möge mir die Kraft geben und die seelische Freiheit, nur ein klein wenig glücklich zu sein. Um ihretwillen, einzig um ihretwillen.

Neunter Auftritt

Lulu. Die Vorigen.

Lulu tritt aus dem Schlafkabinett, vollständig angekleidet, den Hut auf, die rechte Hand unter der linken Achsel; zu Schwarz den linken Arm hebend Würden Sie mich hier zuhaken. Meine Hand zittert.

 

ZWEITER AUFZUG

Sehr eleganter Salon. Rechts hinten Entreetür. Vorne rechts und links Portieren. Zu der links führen einige Stufen hinan. An der Hinterwand über dem Kamin in prachtvollem Brokatrahmen Lulus Bild als Pierrot. Links ein hoher Spiegel. Davor eine Chaiselongue. Rechts ein Schreibtisch in Ebenholz. In der Mitte einige Sessel um ein chinesisches Tischchen.

Erster Auftritt

Lulu. Schwarz. Dann Henriette.

Lulu in grünseidenem Morgenkleid steht regungslos vor dem Spiegel, runzelt die Stirn, fährt mit der Hand darüber, befühlt ihre Wangen, trennt sich vom Spiegel mit einem mißmutigen, halb zornigen Blick, geht nach rechts, sich mehrmals umwendend, öffnet auf dem Schreibtisch eine Schatulle, zündet sich eine Zigarette an, sucht unter den Büchern, die auf dem Tisch liegen, nimmt eines zur Hand, legt sich auf die Chaiselongue, dem Spiegel gegenüber, läßt, nachdem sie einen Moment gelesen, das Buch sinken, nickt sich ernsthaft zu, nimmt die Lektüre wieder auf.

Schwarz Pinsel und Palette in der Hand, tritt von rechts ein, beugt sich über Lulu, küßt sie auf die Stirn, geht nach links die Stufen hinan, wendet sich in der Portiere um Eva!

Lulu lächelnd Befehlen?

Schwarz Ich finde, du siehst heute außerordentlich reizend aus.

Lulu mit einem Blick in den Spiegel Es kommt auf die Ansprüche an.

Schwarz Dein Haar atmet eine Morgenfrische ...

Lulu Ich komme aus dem Wasser.

Schwarz sich ihr nähernd Ich habe heute furchtbar zu tun.

Lulu Das redest du dir ein.

Schwarz legt Pinsel und Palette auf den Teppich und setzt sich auf den Rand der Chaiselongue Was liest du denn da?

Lulu liest Plötzlich hörte sie einen Rettungsanker die Treppe hinaufwinken.

Schwarz Wer in aller Welt schreibt denn so ergreifend?

Lulu liest Es war der Geldbriefträger.

Henriette durch die Entree, eine Hutschachtel am Arm, setzt ein Tablett mit Briefen auf den Tisch Die Post. – Ich gehe der Putzmacherin den Hut bringen. Haben gnädige Frau noch etwas zu befehlen?

Lulu Nichts.

Schwarz winkt ihr, sich zu entfernen.

Henriette verschmitzt lächelnd ab.

Schwarz Was hast du vergangene Nacht denn alles geträumt?

Lulu Das hast du mich heute doch schon zweimal gefragt.

Schwarz erhebt sich, nimmt die Briefe vom Tablett Ich zitterte vor Neuigkeiten. Ich fürchte jeden Tag, die Welt könne untergehen. Zur Chaiselongue zurückgekehrt, Lulu einen Brief gebend An dich.

Lulu führt das Billett zur Nase Die Corticelli. Birgt es an ihrem Busen.

Schwarz einen Brief durchfliegend Meine Samaquecatänzerin verkauft – für 50 000 Mark!

Lulu Wer schreibt denn das?

Schwarz Sedelmeier in Paris. Das ist das dritte Bild seit unserer Verheiratung. Ich weiß mich vor meinem Glück kaum zu retten.

Lulu auf die Briefe deutend Da kommt noch mehr.

Schwarz eine Verlobungsanzeige öffnend Sieh da! Gibt sie Lulu.

Lulu liest Herr Regierungsrat Heinrich Ritter von Zarnikow beehrt sich, Ihnen von der Verlobung seiner Tochter Charlotte Marie Adelaide mit Herrn Dr. Ludwig Schön ergebenste Mitteilung zu machen.

Schwarz einen anderen Brief öffnend Endlich! Es ist ja eine Ewigkeit, daß er darauf lossteuert, sich vor der Welt zu verloben. Ich begreife nicht, ein Gewaltmensch von seinem Einfluß. Was steht denn seiner Heirat eigentlich im Wege!!

Lulu Was ist das, was du da liest?

Schwarz Eine Einladung, mich an der internationalen Ausstellung in Petersburg zu beteiligen. – Ich weiß gar nicht, was ich malen soll.

Lulu Irgendein entzückendes Mädchen natürlich.

Schwarz Wenn du mir dazu Modell stehen willst?

Lulu Es gibt doch, weiß Gott, auch andere hübsche Mädchen genug.

Schwarz Ich gelange aber einem anderen Modell gegenüber, und wenn es pikant wie die Hölle ist, nicht zu dieser vollen Ausbeutung meines Könnens.

Lulu Dann muß ich ja wohl. – Ginge es denn nicht vielleicht auch liegend?

Schwarz Am liebsten möchte ich das Arrangement wirklich deinem Geschmack überlassen. Die Briefe zusammenfaltend. Daß wir nicht vergessen, Schön jedenfalls heute noch zu gratulieren! Geht nach rechts und schließt die Briefe in den Schreibtisch.

Lulu Das haben wir doch längst getan.

Schwarz Seiner Braut wegen.

Lulu Du kannst es ihm ja noch einmal schreiben.

Schwarz Und jetzt zur Arbeit. Nimmt Pinsel und Palette auf, küßt Lulu, geht links die Stufen hinan, wendet sich in der Portiere um Eva!

Lulu läßt ihr Buch sinken, lächelnd Befehlen?

Schwarz sich nähernd Mir ist täglich, als sähe ich dich zum allererstenmal.

Lulu Du bist schrecklich.

Schwarz sinkt vor der Chaiselongue in die Knie, liebkost ihre Hand Du trägst die Schuld.

Lulu ihm die Locken streichelnd Du vergeudest mich.

Schwarz Du bist ja mein. Du bist auch nie bestrickender, als wenn du nur um Gottes willen einmal ein paar Stunden recht häßlich sein solltest! Ich habe nichts mehr, seit ich dich habe – Ich bin mir vollständig abhanden gekommen ...

Lulu Nicht so aufgeregt.

Es läutet im Korridor.

Schwarz zusammenfahrend Verwünscht.

Lulu Niemand zu Hause!

Schwarz Vielleicht ist es der Kunsthändler ...

Lulu Und wenn es der Kaiser von China ist.

Schwarz Einen Moment. Ab.

Lulu visionär – Du? – du? – Schließt die Augen.

Schwarz zurückkommend Ein Bettler, der den Feldzug mit gemacht haben will. Ich habe kein Kleingeld bei mir. Pinsel und Palette aufnehmend Es ist auch die höchste Zeit, daß ich endlich an die Arbeit gehe. Nach links ab.

Lulu ordnet vor dem Spiegel ihre Toilette, streicht sich das Haar zurück und geht hinaus.

Zweiter Auftritt

Lulu. Schigolch.

Schigolch von Lulu hereingeführt Ich hatte ihm mir etwas chevaleresker gedacht; ein wenig mehr Nimbus. Er ist etwas verlegen. Er brach ein wenig in die Knie, als er mich vor sich sah.

Lulu rückt ihm einen Sessel zurecht Wie kannst du ihn auch anbetteln?

Schigolch Deswegen habe ich meine siebenundsiebzig Lenze nämlich hergeschleppt. Du sagtest mir, er halte sich morgens an seine Malerei.

Lulu Er hatte noch nicht ausgeschlafen. Wieviel brauchst du?

Schigolch Zweihundert, wenn du soviel flüssig hast; meinetwegen dreihundert. Es sind mir einige Klienten verduftet.

Lulu geht an den Schreibtisch und kramt in den Schubladen Bin ich müde!

Schigolch sich umsehend Das hat mich nämlich auch bewogen. Ich hätte lange gerne gesehen, wie es jetzt so bei dir zu Hause aussieht.

Lulu Nun?

Schigolch Es überläuft einen. Emporblickend Wie bei mir vor fünfzig Jahren. Statt der Bummelagen hatte man damals noch alte verrostete Säbel. Den Teufel noch mal, du hast es weit gebracht. Scharrend Die Teppiche ...

Lulu gibt ihm zwei Billetts Ich gehe am liebsten barfuß darauf.

Schigolch Lulus Porträt betrachtend Das bist du?

Lulu zwinkernd Fein?

Schigolch Wenn das alles Gutes ist.

Lulu Einen Süßen?

Schigolch Was gibt es denn?

Lulu erhebt sich Elixir de Spaa.

Lulu nimmt aus einem Schränkchen neben dem Kamin Karaffe und Gläser Noch nicht. Nach vorn kommend Das Labsal wirkt so verschieden!

Schigolch Er schlägt aus?

Lulu zwei Gläser füllend Er schläft ein.

Schigolch Wenn er betrunken ist, kannst du ihm in die Eingeweide sehen.

Lulu Lieber nicht. Setzt sich Schigolch gegenüber Erzähl’ mir.

Schigolch Die Straßen werden immer länger und die Beine immer kürzer.

Lulu Und deine Harmonika?

Schigolch Hat falsche Luft, wie ich mit meinem Asthma. Ich denke nur immer, das Ausbessern ist nicht mehr der Mühe wert.

Stößt mit ihr an.

Lulu leert ihr Glas Ich glaubte schon, du wärest am Ende ...

Schigolch ... am Ende schon auf und davon? – Das glaubte ich auch schon. Aber wenn so erst die Sonne hinunter ist, dann läßt es einen doch noch nicht ruhen. Ich hoffe auf den Winter. Da wird hustend mein – mein – mein Asthma wohl eine Fahrgelegenheit ausfindig zu machen wissen.

Lulu die Gläser füllend Du meinst, man könnte dich drüben vergessen haben.

Schigolch Wär schon möglich, weil es ja nicht der Reihe nach geht. Ihr das Knie streichelnd Nun erzähl’ du mal – lange nicht gesehen – meine kleine Lulu.

Lulu zurückrückend, lächelnd Das Leben ist doch unfaßlich!

Schigolch Was weißt du! Du bist noch so jung.

Lulu Daß du mich Lulu nennst.

Schigolch Lulu, nicht? Habe ich dich jemals anders genannt?

Lulu Ich heiße seit Menschengedenken nicht mehr Lulu.

Schigolch Eine andere Benennungsweise?

Lulu Lulu klingt mir ganz vorsintflutlich.

Schigolch Kinder! Kinder!

Lulu Ich heiße jetzt ...

Schigolch Als bliebe das Prinzip nicht immer das gleiche!

Lulu Du meinst?

Schigolch Wie heißt es jetzt ?

Lulu Eva.

Schigolch Gehupft wie gesprungen!

Lulu Ich höre darauf.

Schigolch sieht sich um So habe ich es für dich geträumt. Du bist darauf angelegt. Was soll denn das?

Lulu sich mit einem Parfümflakon besprengend Heliotrop.

Schigolch Riecht das besser als du?

Lulu ihn besprengend Das braucht dich wohl nicht mehr zu kümmern.

Schigolch Wer hätte den königlichen Luxus vorausgeahnt!

Lulu Wenn ich zurückdenke – – Hu!

Schigolch ihr das Knie streichelnd Wie geht’s dir denn? Treibst du noch immer Französisch?

Lulu Ich liege und schlafe.

Schigolch Das ist vornehm. Das sieht immer nach so was aus. Und weiter?

Lulu Und strecke mich – bis es knackt.

Schigolch Und wenn es geknackt hat?

Lulu Was interessiert dich das?

Schigolch Was mich das interessiert? Was mich das interessiert? Ich wollte lieber bis zur jüngsten Posaune leben und auf alle himmlischen Freuden Verzicht leisten als meine Lulu hienieden in Entbehrung zurücklassen. Was mich das interessiert? Es ist mein Mitgefühl. Ich bin ja mit meinem besseren Ich schon verklärt. Aber ich habe noch das Verständnis für diese Welt.

Lulu Ich nicht.

Schigolch Dir ist zu wohl.

Lulu schaudernd Blödsinnig ...

Schigolch Wohler als bei dem alten Tanzbär?

Lulu wehmütig Ich tanze nicht mehr ...

Schigolch Für den war es auch Zeit.

Lulu Jetzt bin ich ... Stockt.

Schigolch Sprich, wie es dir ums Herz ist, mein Kind! Ich hatte Vertrauen in dich, als noch nichts an dir zu sehen war als deine zwei großen Augen. Was bist du jetzt?

Lulu Ein Tier! ...

Schigolch Daß dich der! – Und was für ein Tier! – Ein feines Tier! – Ein elegantes Tier! – Ein Prachtstier! – – – Dann will ich mich man beisetzen lassen. – Mit den Vorurteilen sind wir fertig. Auch mit dem gegen die Leichenwäscherin.

Lulu Du hast nicht zu fürchten, daß du noch mal gewaschen wirst!

Schigolch Macht auch nichts. Man wird doch wieder schmutzig.

Lulu ihn besprengend Es würde dich noch mal ins Leben zurückrufen.

Schigolch Wir sind Moder.

Lulu Bitte recht schön! Ich reibe mich täglich mit Kammfett ein und dann kommt Puder darauf.

Schigolch Auch wohl der Mühe wert, der Zierbengel wegen.

Lulu Das macht die Haut wie Satin.

Schigolch Als wäre es deswegen nicht auch nur Dreck.

Lulu Danke schön. Ich will zum Anbeißen sein.

Schigolch Sind wir auch. Geben da unten nächstens ein großes Diner. Halten offene Tafel.

Lulu Deine Gäste werde sich dabei kaum überessen.

Schigolch Geduld, Mädchen. Dich setzen deine Verehrer auch nicht in Weingeist. Das heißt schöne Melusine, solang es seine Schwungkraft behält. Nachher? Man nimmt’s im Zoologischen Garten nicht. Sich erhebend Die holden Bestien bekämen Magenkrämpfe.

Lulu sich erhebend Hast du auch genug?

Schigolch Es bleibt noch genug übrig, um mir eine Terebinthe aufs Grab zu pflanzen. – Ich finde selber hinaus. Ab.

Lulu begleitet ihn und kommt mit Dr. Schön zurück.

Dritter Auftritt

Lulu. Schön.

Schön Was tut denn Ihr Vater hier?

Lulu Was haben Sie?

Schön Wenn ich Ihr Mann wäre, käme mir dieser Mensch nicht über die Schwelle.

Lulu Sie können getrost ªdu´ sagen; er ist nicht hier.

Schön Ich danke für die Ehre.

Lulu Ich verstehe nicht.

Schön Das weiß ich. Ihr einen Sessel bietend Darüber möchte ich nämlich gerne mit Ihnen sprechen.

Lulu sich unsicher setzend Warum haben Sie mir denn das nicht gestern gesagt?

Schön Bitte, jetzt nichts von gestern. Ich habe es Ihnen vor zwei Jahren schon gesagt.

Lulu nervös Ach so. Hm.

Schön Ich bitte dich, deine Besuche bei mir einzustellen.

Lulu Darf ich Ihnen ein Elixier ...

Schön Danke. Kein Elixier. Haben Sie mich verstanden?

Lulu schüttelt den Kopf.

Schön Gut. Sie haben die Wahl. – Sie zwingen mich zu den äußersten Mitteln – entweder sich Ihrer Stellung angemessen zu benehmen ...

Lulu Oder?

Schön Oder – Sie zwingen mich – ich müßte mich an diejenige Persönlichkeit wenden, die für Ihre Aufführung verantwortlich ist.

Lulu Wie stellen Sie sich das vor?

Schön Ich ersuche Ihren Mann, Ihre Wege selber zu überwachen.

Lulu erhebt sich, geht links die Stufen hinan.

Schön Wo wollen Sie denn hin?

Lulu ruft unter der Portiere Walter!

Schön aufspringend Bist du verrückt?!

Lulu sich zurückwerfend Aha!

Schön Ich mache die übermenschlichsten Anstrengungen, um dich in der Gesellschaft zu erhöhen. Auf deinen Namen kannst du zehnmal stolzer sein als auf meine Vertraulichkeit ...

Lulu kommt die Stufen herunter, legt Schön den Arm um den Hals Was fürchten Sie denn jetzt noch, wo Sie am Ziel Ihrer Wünsche sind.

Schön Keine Komödie! Am Ziel meiner Wünsche? Ich habe mich verlobt, endlich! Ich habe jetzt den Wunsch, meine Braut unter ein reines Dach zu führen.

Lulu sich setzend Sie ist zum Entzücken aufgeblüht in den zwei Jahren.

Schön Sie sieht einem nicht mehr so ernsthaft durch den Kopf.

Lulu Sie ist jetzt erst ganz Weib. Wir können einander treffen, wo es Ihnen angemessen scheint.

Schön Wir werden einander nirgends treffen, es sei denn in Gesellschaft Ihres Mannes!

Lulu Sie glauben selber nicht an das, was Sie sagen.

Schön Dann muß doch er daran glauben. Ruf ihn nur! Durch seine Verbindung mit dir, durch das, was ich für ihn getan, ist er mein Freund geworden.

Lulu sich erhebend Meiner auch.

Schön Dann werde ich mir das Schwert über dem Kopf herunterschneiden.

Lulu Sie haben mich ja an die Kette gelegt. Ihnen verdanke ich doch mein Glück. Sie bekommen Freunde die Menge, wenn Sie erst wieder eine hübsche junge Frau haben.

Schön Du beurteilst die Frauen nach dir! – Er ist ein Kindergemüt. Er wäre deinen Seitensprüngen sonst längst auf die Spur gekommen.

Lulu Ich wünsche nicht mehr! Er würde seine Kinderschuhe dann endlich ausziehen. Er pocht darauf, daß er den Heiratskontrakt in der Tasche hat. Die Mühe ist überstanden. Jetzt kann man sich geben und sicher gehen lassen, wie zu Hause. Er ist kein Kindergemüt. Er ist banal. Er hat keine Erziehung. Er sieht nichts. Er sieht mich nicht und sich nicht. Er ist blind, blind, blind ...

Schön halb für sich Wenn dem die Augen aufgehen!!

Lulu Öffnen Sie ihm die Augen! Ich verkomme. Ich vernachlässige mich! Er kennt mich gar nicht. Was bin ich ihm? Er nennt mich Schätzchen und kleines Teufelchen. Er würde jeder Klavierlehrerin das gleiche sagen. Er erhebt keine Prätensionen. Alles ist im recht. Das kommt, weil er nie in seinem Leben das Bedürfnis gefühlt hat, mit Frauen zu verkehren.

Schön Ob das wahr ist!

Lulu Er gesteht es ja ganz offen ein.

Schön Jemand, der seit seinem vierzehnten Jahr Krethi und Plethi porträtiert.

Lulu Er hat Angst vor Frauen. Er bebt für sein Wohlbefinden. – Mich fürchtet er nicht!

Schön Wie manches Mädchen würde sich in deinem Fall Gott weiß wie selig preisen!

Lulu zärtlich bittend Verführen Sie ihn. Sie verstehen sich darauf. Bringen Sie ihn in schlechte Gesellschaft. Sie haben die Bekanntschaften. Ich bin ihm nichts als Weib und wieder Weib. Ich fühle mich so blamiert. Er wird stolzer auf mich sein. Er kennt keine Unterschiede. Ich denke mir das Hirn aus, Tag und Nacht, um ihn aufzurütteln. In meiner Verzweiflung tanze ich Cancan. Er gähnt und faselt etwas von Obszönität.

Schön Unsinn. Er ist doch Künstler.

Lulu Er glaubt es wenigstens zu sein.

Schön Das ist schon die Hauptsache!

Lulu Wenn ich mich als Modell hinstelle. Er glaubt auch, er sei ein berühmter Mann.

Schön Dazu haben wir ihn auch gemacht!

Lulu Er glaubt alles! Er ist mißtrauisch wie ein Dieb und läßt sich anlügen, daß man jeden Respekt verliert. Als wir uns kennen lernten, machte ich ihm weis, ich hätte noch nie geliebt ...

Schön fällt in einen Lehnsessel

Lulu Er hätte mich ja sonst für ein verworfenes Geschöpf gehalten!

Schön – Du stellst weiß Gott was für exorbitante Anforderungen an legitime Verhältnisse!

Lulu Ich stelle keine exorbitanten Anforderungen. Oft träumt mir sogar noch von Goll.

Schön Der war allerdings nicht banal.

Lulu Er ist da, als wär’ er nie fortgewesen. Nur geht er wie auf Socken. Er ist mir nicht böse. Er ist furchtbar traurig. Und dann ist er furchtsam, als wäre er ohne polizeiliche Erlaubnis da. Sonst fühlt er sich behaglich mit uns. Nur kommt er nicht darüber hinweg, daß ich seither so viel Geld zum Fenster hinausgeworfen habe ...

Schön Du sehnst dich nach der Peitsche zurück!

Lulu Mag sein. Ich tanze nicht mehr.

Schön Erzieh ihn dir dazu.

Lulu Das wäre verlorene Müh’!

Schön Unter hundert Frauen sind neunzig, die sich ihre Männer erziehen.

Lulu Er liebt mich.

Schön Das ist freilich fatal.

Lulu Er liebt mich ...

Schön Das ist eine unüberbrückbare Kluft.

Lulu Er kennt mich nicht, aber er liebt mich! Hätte er nur eine annähernd richtige Vorstellung von mir, er würde mir einen Stein an den Hals binden und mich im Meer versenken, wo es am tiefsten ist!

Schön sich erhebend Kommen wir zu Ende!

Lulu Wie Ihnen beliebt.

Schön Ich habe dich verheiratet. Ich habe dich zweimal verheiratet. Du lebst im Luxus. Ich habe deinem Mann eine Position geschaffen. Wenn dir das nicht genügt und er sich dazu ins Fäustchen lacht, ich trage mich nicht mit idealen Forderungen, aber – laß mich dabei aus dem Spiel!

Lulu in entschlossenem Ton Wenn ich einem Menschen auf dieser Welt angehöre, gehöre ich Ihnen. Ohne Sie wäre ich – ich will nicht sagen, wo. Sie haben mich bei der Hand genommen, mir zu essen gegeben, mich kleiden lassen, als ich Ihnen die Uhr stehlen wollte. Glauben Sie, das vergißt sich? Jeder andere hätte den Schutzmann gerufen. Sie haben mich zur Schule geschickt und mich Lebensart lernen lassen. Wer außer Ihnen auf der ganzen Welt hat je etwas für mich übrig gehabt? Ich habe getanzt und Modell gestanden und war froh, meinen Lebensunterhalt damit verdienen zu können. Aber auf Kommando lieben, das kann ich nicht!

Schön die Stimme hebend Laß mich aus dem Spiel! Tu, was du willst. Ich komme nicht, um Skandal zu machen. Ich komme, um mir den Skandal vom Hals zu schaffen. Meine Verbindung kostet mich Opfer genug! Ich hatte vorausgesetzt, mit einem gesunden jungen Mann, wie ihn sich eine Frau in deinem Alter nicht besser wünschen kann, würdest du dich endlich zufriedengeben. Wenn du mir verpflichtet bist, dann wirf dich mir nicht zum drittenmal in den Weg! Soll ich denn noch länger warten, bis ich mein Teil in Sicherheit bringe? Soll ich riskieren, daß mir der ganze Erfolg meiner Konzessionen nach zwei Jahren wieder ins Wasser fällt? Was hilft mir dein Verheiratetsein, wenn man dich zu jeder Stunde des Tages bei mir ein und aus gehen sieht? – Warum zum Teufel ist Dr. Goll nicht auch wenigstens ein Jahr noch am Leben geblieben! Bei dem warst du in Verwahrung. Dann hätte ich meine Frau längst unter Dach!

Lulu Was hätten Sie dann! Das Kind fällt Ihnen auf die Nerven. Das Kind ist zu unverdorben für Sie. Das Kind ist viel zu sorgfältig erzogen. Was sollte ich gegen Ihre Verheiratung haben! Aber Sie täuschen sich über sich selber, wenn Sie glauben, mit Ihrer bevorstehenden Verheiratung wegen Ihre Verachtung zum Ausdruck geben zu dürfen!

Schön Verachtung?! – Ich werde dem Kind schon die richtige Fasson geben! Wenn etwas verachtenswert ist, so sind es deine Intrigen!

Lulu lachend Bin ich auf das Kind eifersüchtig? – Das kann mir doch gar nicht einfallen ...

Schön Wieso denn das Kind! Das Kind ist nicht einmal ein ganzes Jahr jünger als du. Laß mir meine Freiheit, zu leben, was ich noch zu leben habe! Sei das Kind erzogen, wie es will, das Kind hat gerade so wie du seine fünf Sinne ...

Vierter Auftritt

Schwarz. Die Vorigen.

Schwarz einen Pinsel in der Hand, links unter der Portiere Was ist denn los?

Lulu zu Schön Nun, reden Sie doch.

Schwarz Was habt ihr denn?

Lulu Nichts, was dich betrifft ...

Schön rasch Ruhig!

Lulu Man hat mich satt.

Schwarz führt Lulu nach links ab.

Schön blättert in einem der Bücher, die auf dem Tisch liegen Es muß zur Sprache kommen. – – Ich muß endlich die Hände frei haben.

Schwarz zurückkommend Ist denn das eine Art zu scherzen?

Schön auf einen Sessel deutend Bitte.

Schwarz Was ist denn?

Schön Bitte.

Schwarz sich setzend Nun?

Schön sich setzend Du hast eine halbe Million geheiratet ...

Schwarz Ist sie weg?

Schön Nicht ein Pfennig.

Schwarz Erklär’ mir den eigentümlich Auftritt.

Schön Du hast eine halbe Million geheiratet ...

Schwarz Daraus kann man mir kein Verbrechen machen.

Schön Du hast dir einen Namen geschaffen. Du kannst unbehelligt arbeiten. Du brauchst dir keinen Wunsch zu versagen ...

Schwarz Was habt ihr denn beide gegen mich?

Schön Seit sechs Monaten schwelgst du in allen Himmeln. Du hast eine Frau, um deren Vorzüge die Welt dich beneidet und die einen Mann verdient, den sie achten kann ...

Schwarz Achtet sie mich nicht?

Schön Nein.

Schwarz beklommen – Ich komme aus den düstren Tiefen der Gesellschaft. Sie ist von oben her. Ich hege keinen heißeren Wunsch, als ihr ebenbürtig zu werden. Schön die Hand reichend Ich danke dir.

Schön halb verlegen seine Hand drückend Bitte, bitte.

Schwarz mit Entschlossenheit Sprich!

Schön Nimm sie etwas mehr unter Aufsicht.

Schwarz Ich – sie?

Schön Wir sind keine Kinder! Wir tändeln nicht. Wir leben. – Sie fordert ernst genommen zu werden. Ihr Wert gibt ihr das volle Recht dazu.

Schwarz Was tut sie denn.

Schön Du hast eine halbe Million geheiratet!

Schwarz erhebt sich, außer sich Sie ...

Schön nimmt ihn bei der Schulter Nein, das ist der Weg nicht! Nötigt ihn, sich zu setzen Wir haben hier sehr ernst miteinander zu sprechen.

Schwarz Was tut sie?!

Schön Rechne dir erst genau an den Fingern nach, was du ihr zu verdanken hast, und dann ...

Schwarz Was tut sie – Mensch !!

Schön Und dann mach’ dich für deine Fehler verantwortlich und nicht sonst jemand.

Schwarz Mit wem? Mit wem?

Schön Wenn wir uns schießen sollen ...

Schwarz Seit wann denn?!

Schön ausweichend Ich komme nicht hierher, um Skandal zu machen. Ich komme, um dich vor dem Skandal zu retten.

Schwarz kopfschüttelnd Du hast sie mißverstanden.

Schön verlegen Damit ist mir nicht gedient. Ich kann dich in deiner Blindheit nicht so weiterleben sehen. Das Mädchen verdient eine anständige Frau zu sein. Sie hat sich, seit ich sie kenne, zu ihrem Besseren entwickelt.

Schwarz Seit du sie kennst? – Seit wann kennst du sie denn?

Schön Etwa seit ihrem zwölften Jahr.

Schwarz verwirrt Davon hat sie mir nichts gesagt.

Schön Sie verkaufte Blumen vor dem Alhambra-Café. Sie drückte sich barfuß zwischen den Gästen durch, jeden Abend zwischen zwölf und zwei.

Schwarz Davon hat sie mir nichts gesagt.

Schön Daran hat sie recht getan! Ich sage es dir, damit du siehst, daß du es nicht mit moralischer Verworfenheit zu tun hast. Das Mädchen ist im Gegenteil außergewöhnlich gut veranlagt.

Schwarz Sie sagte, sie sei bei einer Tante aufgewachsen.

Schön Das war die Frau, der ich sie übergab. Sie war die beste Schülerin. Die Mütter stellten sie ihren Kindern als Vorbild hin. Sie besitzt Pflichtgefühl. Es ist einzig und allein dein Versehen, wenn du bis jetzt versäumt hast, sie bei ihren besten Seiten zu nehmen.

Schwarz schluchzend O Gott ...!

Schön mit Nachdruck Kein ªO Gott´!! An dem Glück, das du gekostet, kann nichts etwas ändern. Geschehen ist geschehen. du überschätzest dich gegen besseres Wissen, wenn du dir einredest, zu verlieren. Es gilt zu gewinnen. Mit dem ªO Gott´ ist nichts gewonnen. Einen größeren Freundschaftsdienst habe ich dir noch nicht erwiesen. Ich spreche offen und biete dir meine Hilfe. Zeig’ dich dessen nicht unwürdig.

Schwarz von jetzt an mehr und mehr in sich zusammenbrechend Als ich sie kennen lernte, sagte sie mir, sie habe noch nie geliebt.

Schön Wenn eine Witwe das sagt! Ihr gereicht es zur Ehre, daß sie dich zum Manne gewählt. Stelle die nämliche Anforderung an dich, und dein Glück ist makellos.

Schwarz Er habe sie kurze Kleider tragen lassen.

Schön Er hat sie doch geheiratet! – Das war ihr Meisterstreich. Wie sie den Mann dazu gebracht, ist mir unfaßlich. Du mußt es jetzt ja wissen. Du genießt die Früchte ihrer Diplomatie.

Schwarz Woher kannte Dr. Goll sie denn?

Schön Durch mich! – Es war nach dem Tod meiner Frau, als ich die ersten Beziehungen zu meiner gegenwärtigen Verlobten anknüpfte. Sie stellte sich dazwischen. Sie hatte sich in den Kopf gesetzt, meine Frau zu werden.

Schwarz wie von einer entsetzlichen Ahnung befallen Und als ihr Mann dann starb?

Schön – Du hast eine halbe Million geheiratet!!

Schwarz jammernd Wär’ ich geblieben, wo ich war! Wär’ ich Hungers gestorben!

Schön mit Überlegenheit Glaubst du denn, ich mache keine Zugeständnisse? Wer macht keine Zugeständnisse? Du hast eine halbe Million geheiratet. Du bist heute einer der ersten Künstler. Dazu kommt man nicht ohne Geld. Du bist nicht derjenige, um über sie zu Gericht zu sitzen. Bei einer Herkunft, wie sie Mignon hat, kannst du unmöglich mit den Begriffen der bürgerlichen Gesellschaft rechnen.

Schwarz ganz wirr Von wem sprichst du denn?

Schön Ich spreche von ihrem Vater. Du bist Künstler, sag’ ich. Deine Ideale liegen auf einem andern Gebiete als die eines Lohnarbeiters.

Schwarz Ich verstehe von alledem kein Wort.

Schön Ich spreche von den menschenunwürdigen Verhältnissen, aus denen sich das Mädchen dank seiner Führung zu dem entwickelt hat, was sie ist!

Schwarz Wer denn?

Schön Wer denn? – Deine Frau.

Schwarz Eva??

Schön Ich nannte sie Mignon.

Schwarz Ich meinte, sie hieße Nelli?

Schön So nannte sie Dr. Goll.

Schwarz Ich nannte sie Eva ...

Schön Wie sie eigentlich hieß, weiß ich nicht.

Schwarz geistesabwesend Sie weiß es vielleicht.

Schön Bei einem Vater, wie sie ihn hat, ist sie ja bei allen Fehlern das helle Wunder. Ich verstehe dich nicht ...

Schwarz Ist er im Irrenhaus gestorben ...?

Schön Er war ja eben hier!

Schwarz Wer war da?

Schön Ihr Vater.

Schwarz Hier bei mir?

Schön Er drückte sich, als ich kam. Da stehen ja noch die Gläser.

Schwarz Sie sagt, er sei im Irrenhause gestorben.

Schön ermutigend Laß sie Autorität fühlen! Sie verlangt nicht mehr, als unbedingt Gehorsam leisten zu dürfen. Bei Dr. Goll war sie wie im Himmel, und mit dem war nicht zu scherzen.

Schwarz kopfschüttelnd Sie sagte, sie habe noch nie geliebt ...

Schön Aber mach’ mit dir selber den Anfang. Raff’ dich zusammen.

Schwarz Geschworen hat sie!

Schön Du kannst kein Pflichtgefühl fordern, bevor du nicht deine eigene Aufgabe kennst.

Schwarz Bei dem Grabe ihrer Mutter!

Schön Sie hat ihre Mutter nicht gekannt. Geschweige das Grab. – Ihre Mutter hat gar kein Grab.

Schwarz verzweifelt Ich passe nicht hinein in die Gesellschaft.

Schön Was hast du?

Schwarz Einen grauenhaften Schmerz.

Schön erhebt sich, tritt zurück, nach einer Pause Wahr’ sie dir, weil sie dein ist. – Der Moment ist entscheidend. Sie kann morgen für dich verloren sein.

Schwarz auf die Brust deutend Hier, hier.

Schön Du hast eine halbe ... sich besinnend Sie ist dir verloren, wenn du den Augenblick versäumst!

Schwarz Wenn ich weinen könnte! – Oh, wenn ich schreien könnte!

Schön legt ihm die Hand auf die Schulter Dir ist elend ...

Schwarz sich erhebend, anscheinend ruhig Du hast recht, ganz recht.

Schön seine Hand ergreifend Wo willst du hin?

Schwarz Mit ihr sprechen.

Schön Recht so. Begleitet ihn zur Türe rechts.

Fünfter Auftritt

Schön. Gleich darauf Lulu.

Schön zurückkommend Das war ein Stück Arbeit. Nach einer Pause, nach links sehend. Er hatte sie doch vorher ins Atelier gebracht ...?

Fürchterliches Stöhnen von rechts.

Schön eilt an die Tür rechts, findet sie verschlossen Mach’ auf! Mach’ auf!

Lulu links aus der Portiere tretend Was ist ...

Schön Mach’ auf!

Lulu kommt die Stufen herab Das ist grauenvoll.

Schön Hast du kein Beil in der Küche?

Lulu Er wird schon aufmachen ...

Schön Ich mag sie nicht eintreten.

Lulu Wenn er sich ausgeweint hat.

Schön gegen die Tür stampfend Mach’ auf! Zu Lulu Hol’ mir ein Beil.

Lulu Zum Arzt schicken ...

Schön Du bist nicht bei Trost.

Lulu Das geschieht Ihnen recht.

Es läutet auf dem Korridor. Schön und Lulu starren einander an.

Schön schleicht nach hinten, bleibt in der Tür stehen Ich darf mich jetzt hier nicht sehen lassen.

Lulu Vielleicht der Kunsthändler.

Es läutet.

Schön Aber wenn wir nicht antworten ...

Lulu schleicht nach der Tür.

Schön hält sie auf Bleib. Man ist sonst auch nicht immer gleich bei der Hand. Geht auf den Fußspitzen hinaus.

Lulu kehrt zu der verschlossenen Tür zurück und horcht.

Sechster Auftritt

Alwa Schön. Die Vorigen. Später Henriette.

Schön Alwa hereinführend Sei bitte ruhig.

Alwa sehr aufgeregt In Paris ist Revolution ausgebrochen.

Schön Sei ruhig.

Alwa zu Lulu Sie sind totenbleich.

Schön an der Tür rüttelnd Walter! – Walter! Man hört röcheln.

Lulu Gott, erbarm’ dich ...

Schön Hast du kein Beil geholt?

Lulu Wenn eines da ist ... Zögernd nach rechts hinten ab.

Alwa Er mystifiziert uns.

Schön In Paris ist Revolution ausgebrochen?

Alwa Auf der Redaktion rennen sie sich den Kopf gegen die Wand. Keiner weiß, was er schreiben soll.

Es läutet im Korridor.

Schön gegen die Tür stampfend Walter!

Alwa Soll ich sie einrennen?

Schön Das kann ich auch. Wer da noch kommen mag! Sich emporrichtend Das freut sich des Lebens und läßt es andere verantworten!

Lulu kommt mit einem Küchenbeil zurück Henriette ist nach Hause gekommen.

Schön Schließ die Tür hinter dir.

Alwa Geben Sie her. Nimmt das Beil und stößt es zwischen Pfosten und Türschloß.

Schön Du mußt es kräftiger fassen.

Alwa Es kracht schon Die Tür springt aus dem Schloß. Er läßt das Beil fallen und taumelt zurück. – – Pause.

Lulu auf die Tür deutend, zu Schön Nach Ihnen.

Schön weicht zurück.

Lulu Ihnen wird – schwindlig ...?

Schön wischt sich den Schweiß von der Stirn und tritt ein.

Alwa auf der Chaiselongue Gräßlich!

Lulu sich am Türpfosten haltend, die Finger zum Mund erhoben, schreit jäh auf Oh! – Oh! Eilt zu Alwa Ich kann nicht hier bleiben.

Alwa Grauenhaft!

Lulu ihn bei der Hand nehmend Kommen Sie.

Alwa Wohin?

Lulu Ich kann nicht allein sein. Mit Alwa nach links ab.

Schön kommt von rechts zurück, ein Schlüsselbund in der Hand; die Hand zeigt Blut; zieht die Tür hinter sich zu, geht zum Schreibtisch, schließt auf und schreibt zwei Billetts.

Alwa von links kommend Sie zieht sich um.

Schön Sie ist fort?

Alwa Auf ihr Zimmer. Sie zieht sich um.

Schön klingelt.

Henriette tritt ein.

Schön Sie wissen, wo der Doktor Bernstein wohnt.

Henriette Gewiß, Herr Doktor. Gleich nebenan.

Schön ihr ein Billett gebend Bringen sie das hinüber.

Henriette Im Falle, daß der Doktor nicht zu Hause ist?

Schön Er ist zu Hause. Ihr das andere Billett gebend Und das bringen Sie auf die Polizeidirektion. Nehmen Sie eine Droschke.

Henriette ab.

Schön Ich bin gerichtet.

Alwa Mir erstarrt das Blut.

Schön nach rechts Der Narr!

Alwa Es ist ihm wohl ein Licht aufgegangen?

Schön Er hat sich zuviel mit sich selbst beschäftigt.

Lulu auf den Stufen links in Staubmantel und Spitzenhut.

Alwa Wo wollen Sie denn jetzt hin?

Lulu Hinaus. Ich sehe es an allen Wänden.

Schön Wo hat er seine Papiere?

Lulu Im Schreibtisch.

Schön am Schreibtisch Wo?

Lulu Rechts unten. Kniet vor dem Schreibtisch nieder, öffnet eine Schublade und leert die Papiere auf den Boden. Hier. Es ist nichts zu fürchten. Er hatte keine Geheimnisse.

Schön Jetzt kann ich mich von der Welt zurückziehen.

Lulu kniend Schreiben Sie ein Feuilleton. Nennen Sie ihn Michel Angelo.

Schön Was hilft das – nach rechts deutend Da liegt meine Verlobung!

Alwa Das ist der Fluch deines Spiels!

Schön Schrei es durch die Straßen!!

Alwa auf Lulu deutend Hättest du, als meine Mutter starb, an dem Mädchen gehandelt, wie es recht und billig gewesen wäre!

Schön nach rechts Da verblutet meine Verlobung!

Lulu sich erhebend Ich bleibe nicht länger hier.

Schön In einer Stunde verkauft man die Extrablätter. Ich darf mich nicht auf die Straße wagen.

Lulu Was können denn Sie dafür?

Schön Deshalb gerade! Mich steinigt man dafür!

Alwa Du mußt verreisen.

Schön Um dem Skandal freies Feld zu lassen!

Lulu an der Chaiselongue Vor zehn Minuten noch lag er hier.

Schön Das ist der Dank, für das, was ich für ihn getan habe! Wirft mir in einer Sekunde mein ganzes Leben in Trümmer!

Alwa Mäßige dich, bitte!

Lulu auf der Chaiselongue Wir sind unter uns.

Alwa Und wie!

Schön zu Lulu Was willst du der Polizei sagen?

Lulu Nichts.

Alwa Er wollte seinem Geschick nichts schuldig bleiben.

Lulu Er hatte immer gleich Mordgedanken.

Schön Er hatte, was sich ein Mensch nur erträumen kann!

Lulu Er hat es teuer bezahlt.

Alwa Er hatte, was wir nicht haben!

Schön jäh aufbrausend Ich kenne keine Gründe. Ich habe nicht Ursache, Rücksicht auf dich zu nehmen! Wenn du alles in Bewegung setzt, um keine Geschwister neben dir zu haben, so ist das für mich ein Grund mehr, mir andere Kinder zu erziehen.

Alwa Du bist ein schlechter Menschenkenner.

Lulu Geben Sie doch selber ein Extrablatt aus.

Schön im Ton der heftigsten Empörung Er hatte kein moralisches Gewissen! Indem er plötzlich die Fassung wiedergewinnt Paris revolutioniert –?

Alwa Unsere Redakteure sind wie vom Schlag getroffen. Alles stockt.

Schön Das muß mir darüber hinweghelfen! – – Wenn nun nur die Polizei käme! Die Minuten sind nicht mit Gold zu bezahlen.

Es läutet auf dem Korridor.

Alwa Da sind sie ...

Schön will zur Tür.

Lulu aufspringend Warten Sie, Sie haben Blut.

Schön Wo ...?

Lulu Warten Sie, ich wische es weg. Besprengt ihr Taschentuch mit Heliotrop und wischt Schön das Blut von der Hand.

Schön Es ist deines Gatten Blut.

Lulu Es läßt keine Flecken.

Schön Ungeheuer!

Lulu Sie heiraten mich ja doch.

Es läutet auf dem Korridor.

Lulu Nur Geduld, Kinder.

Schön rechts hinten ab.

Siebenter Auftritt

Escherich. Die Vorigen.

Escherich von Schön hereingeleitet, atemlos Erlauben Sie, daß ich – daß ich mich Ihnen – Ihnen vorstelle ...

Schön Sie sind gelaufen?

Escherich seine Karte überreichend Von der Polizeidirektion her. Ein Selbstmord, hör’ ich.

Schön liest Fritz Escherich, Korrespondent der Kleinen Neuigkeiten. – Kommen Sie.

Escherich Einen Moment. Nimmt Notizbuch und Bleistift vor, sieht sich im Salon um, schreibt einige Worte, verbeugt sich gegen Lulu, schreibt, wendet sich zu der erbrochenen Tür, schreibt Ein Küchenbeil ... Will es aufheben.

Schön ihn zurückhaltend Bitte.

Escherich schreibt Tür aufgebrochen mit Küchenbeil. Untersucht das Schloß.

Schön die Hand an der Tür Sehen Sie sich vor, mein Lieber.

Escherich Wenn Sie jetzt die Liebenswürdigkeit haben wollen, die Tür zu öffnen.

Schön öffnet die Tür.

Escherich läßt Buch und Bleistift fallen, fährt sich in die Haare O du barmherziger Himmel noch mal ...!

Schön Sehen Sie sich alles genau an!

Escherich Ich kann nicht hinsehen.

Schön ihn höhnisch anschnauzend Wozu sind Sie denn hergekommen!

Escherich Sich mit dem Ra – Rasiermesser – den Ha – Hals abschneiden ...

Schön Haben Sie alles gesehen?

Escherich Das muß ein Gefühl sein!

Schön zieht die Tür zu, tritt zum Schreibtisch Setzen sie sich. Hier ist Papier und Feder Schreiben Sie.

Escherich der mechanisch Platz genommen Ich kann nicht schreiben ...

Schön hinter seinem Stuhl stehend Schreiben Sie! – Verfolgungswahn ...

Escherich schreibt Ver-fol-gungs-wahn ...

Es läutet auf dem Korridor.

 

DRITTER AUFZUG

Garderobe im Theater, mit rotem Tuch ausgeschlagen. Links hinten die Tür. Rechts hinten eine spanische Wand. In der Mitte, mit der Schmalseite gegen den Zuschauer, ein langer Tisch, auf dem Tanzkostüme liegen. Rechts und links vom Tisch je ein Sessel. Links vorn Tischchen mit Sessel. Rechts vorn ein hoher Spiegel, daneben ein hoher, sehr breiter, altmodischer Armsessel. Vor dem Spiegel ein Puff, Schminkschatulle usw. usw..

Erster Auftritt

Lulu. Alwa, gleich darauf Schön.

Alwa links vorn, füllt zwei Gläser mit Champagner und Rotwein Seit ich für die Bühne arbeite, habe ich kein Publikum so außer Rand und Band gesehen.

Lulu unsichtbar, hinter der spanischen Wand Geben sie mir nicht zuviel Rotwein. – Sieht er mich heute?

Alwa Mein Vater?

Lulu Ja.

Alwa Ich weiß nicht, ob er im Theater ist.

Lulu Er will mich wohl gar nicht sehen.

Alwa Er hat so wenig Zeit.

Lulu Seine Braut nimmt ihn in Anspruch.

Alwa Spekulationen. Er gönnt sich keine Ruhe. –

Da Schön eintritt.

Du? Eben sprechen wir von dir.

Lulu Ist er da?

Schön Du ziehst dich um?

Lulu über die spanische Wand wegsehend, zu Schön Sie schreiben in allen Zeitungen, ich sei die geistvollste Tänzerin, die je die Bühne betreten, ich sei eine zweite Taglioni und was weiß ich, und Sie finden mich nicht einmal geistvoll genug, um sich davon zu überzeugen!

Schön Ich habe so viel zu schreiben. Du siehst, daß ich recht hatte. Es waren kaum mehr Plätze zu haben. – Du mußt dich etwas mehr im Proszenium halten!

Lulu Ich muß mich erst an das Licht gewöhnen.

Alwa Sie hat sich strikte an ihre Rolle gehalten.

Schön zu Alwa Du mußt deine Darsteller besser ausnützen! Du verstehst dich noch nicht genug auf die Technik. Zu Lulu Als was kommst du jetzt?

Lulu Als Blumenmädchen ...

Schön zu Alwa In Trikots?

Alwa Nein. In fußfreiem Kleid.

Schön Du hättest dich lieber nicht mit dem Symbolismus einlassen sollen!

Alwa Ich sehe der Tänzerin auf die Füße.

Schön Es kommt darauf an, worauf das Publikum sieht! Eine Erscheinung wie sie hat deine symbolistischen Hanswurstiaden gottlob nicht nötig.

Alwa Das Publikum sieht nicht danach aus, als ob es sich langweilte!

Schön Natürlich! Weil ich in der Presse seit sechs Monaten auf ihren Erfolg hingearbeitet habe. – War der Prinz hier?

Alwa Es war niemand hier.

Schön Wer wird eine Tänzerin zwei Akte hindurch in Regenmäntel auftreten lassen!

Alwa Wer ist denn der Prinz?

Schön Wir sehen uns noch?

Alwa Bist du allein?

Schön Mit Bekannten. – Bei Peters?

Alwa Um zwölf?

Schön Um zwölf. Ab.

Lulu Ich hatte schon daran gezweifelt, daß er je kommen werde!

Alwa Lassen Sie sich durch seine griesgrämigen Nörgeleien nicht beirren. Wenn Sie nur ja darauf achten wollen, daß Sie Ihre Kräfte nicht vor Beginn der letzten Nummer vergeuden.

Lulu tritt hinter der spanischen Wand vor in antikem, fußreichem, ärmellosem weißem Kleid mit rotem Saum, einen bunten Kranz im Haar, einen Korb voll Blumen in den Händen.

Lulu Er scheint es gar nicht gemerkt zu haben, wie geschickt Sie Ihre Darsteller ausnützen!

Alwa Ich werde doch im ersten Akt nicht Sonne, Mond und Sterne verpaffen.

Lulu das Glas an den Lippen Sie enthüllen mich gradatim.

Alwa Ich wußte doch, daß Sie sich darauf verstehen, Kostüme zu wechseln.

Lulu Hätte ich meine Blumen vor dem Alhambra-Café verkaufen wollen, man hätte mich schon gleich in der ersten Nacht hinter Schloß und Riegel gesetzt.

Alwa Warum denn?! Sie waren ein Kind!

Lulu Wissen Sie noch, wie ich zum erstenmal in Ihr Zimmer trat?

Alwa nickt Sie trugen ein dunkelblaues Kleid mit schwarzem Samt.

Lulu Man mußte mich verstecken und wußte nicht, wo.

Alwa Meine Mutter lag damals schon seit zwei Jahren auf dem Krankenbett ...

Lulu Sie spielten Theater und fragten mich, ob ich mitspielen wolle.

Alwa Gewiß! Wir spielten Theater!

Lulu Ich sehe Sie noch, wie Sie die Figuren hin und her schoben.

Alwa Es war mir noch lange die entsetzlichste Erinnerung, wie ich mit einemmal klar in die Verhältnisse sah.

Lulu Da wurden Sie eisig gemessen gegen mich.

Alwa Ach Gott – ich sah etwas so unendlich hoch über mir Stehendes in Ihnen. Ich hegte vielleicht eine höhere Verehrung für Sie als für meine Mutter. Denken Sie, als meine Mutter starb – ich war siebzehn Jahre alt –, da trat ich vor meinen Vater und forderte ihn auf, daß er Sie augenblicklich zu seiner Frau mache, sonst müßten wir uns duellieren.

Lulu Das hat er mir damals erzählt.

Alwa Seit ich älter bin, kann ich ihn nur noch bemitleiden. Er wird mich nie begreifen. Da phantasiert er sich eine kleine Diplomatie zusammen, die mich dazu bestimmen soll, seiner Verheiratung mit der Komtesse entgegenzuarbeiten.

Lulu Blickt sie denn immer noch so unschuldig in die Welt hinaus?

Alwa Sie liebt ihn; das ist meine Überzeugung. Ihre Familie hat alles in Bewegung gesetzt, um sie zum Rücktritt zu veranlassen. Ich glaube nicht, daß ihr ein Opfer auf dieser Welt zu groß wäre um seinetwillen.

Lulu hält ihm ihr Glas hin Noch etwas, bitte.

Alwa ihr einschenkend Sie trinken zuviel.

Lulu Er soll an meinen Erfolg glauben lernen! Er glaubt an keine Kunst. Er glaubt nur an Zeitungen.

Alwa Er glaubt an nichts.

Lulu Er hat mich ans Theater gebracht, damit sich eventuell jemand findet, der reich genug ist, um mich zu heiraten.

Alwa Nun ja! Was braucht uns das zu kümmern!

Lulu Mich soll es freuen, wenn ich mich in das Herz eines Millionärs hineintanzen kann.

Alwa Gott verhüte, daß man Sie uns entführt!

Lulu Sie haben doch die Musik dazu komponiert.

Alwa Sie wissen, daß es immer mein Wunsch war, ein Stück für Sie zu schreiben.

Lulu Ich bin aber gar nicht für die Bühne geschaffen.

Alwa Sie sind als Tänzerin auf die Welt gekommen.

Lulu Warum schreiben Sie Ihre Stücke denn nicht wenigstens so interessant, wie das Leben ist?

Alwa Weil uns das kein Mensch glauben würde.

Lulu Wenn ich mich nicht besser aufs Theaterspielen verstände, als man auf der Bühne spielt, was hätte aus mir werden wollen?

Alwa Ich habe Ihre Rolle doch mit allen erdenklichen Unmöglichkeiten ausgestattet.

Lulu Mit solchem Hokuspokus lockt man in der Wirklichkeit noch keinen Hund vom Ofen.

Alwa Mir ist es genug, daß sich das Publikum in die wahnsinnigste Aufregung versetzt sieht.

Lulu Ich möchte mich aber gern selbst in die wahnsinnigste Aufregung versetzt sehen. Trinkt.

Alwa Dazu scheint Ihnen auch nicht viel mehr zu fehlen.

Lulu Wie können Sie sich darüber wundern, da mein Auftreten doch einen höheren Zweck hat! Es gehen schon einige da unten ganz ernstlich mit sich zu Rate. – Ich fühle das, ohne daß ich hinsehe.

Alwa Wie fühlen Sie denn das?

Lulu Keiner ahnt was vom andern. Jeder meint, er sei allein das unglücklich Opfer.

Alwa Wie können Sie denn das fühlen?

Lulu Es läuft einen so ein eisiger Schauer am Körper herauf.

Alwa Sie sind unglaublich ... Eine elektrische Klingel tönt über der Tür.

Lulu Mein Tuch ... Ich werde mich im Proszenium halten!

Alwa ihr einen breiten Schal über die Schultern legend Hier ist Ihr Tuch.

Lulu Er soll nichts mehr für seine schamlose Reklame zu fürchten haben.

Alwa Wahren Sie Ihre Selbstbeherrschung!

Lulu Gebe Gott, daß ich einem den letzten Funken Verstand zum Kopf hinaustanze. Ab.

Zweiter Auftritt

Alwa allein Über die ließe sich freilich ein interessantes Stück schreiben. Setzt sich links, nimmt sein Notizbuch vor und notiert. Aufblickend Erster Akt: Dr. Goll. Schon faul! Ich kann den Dr. Goll aus dem Fegefeuer zitieren, oder wo er seine Orgien büßt, man wird mich für seine Sünden verantwortlich machen. – Langanhaltendes, stark gedämpftes Klatschen und Bravorufen wird von außen hörbar – Das tobt wie in der Menagerie, wenn das Futter vor dem Käfig erscheint. – Zweiter Akt: Walter Schwarz. Noch unmöglicher! Wie die Seelen die letzte Hülle abstreifen im Licht solcher Blitzschläge! – Dritter Akt? – Sollte es wirklich so fortgehen?! – Die Garderobiere öffnet von außen und läßt Escerny eintreten.

Dritter Auftritt

Excerny. Alwa.

Escerny tut, als ob er zu Haus wäre, und nimmt, ohne Alwa zu beachten, rechts neben dem Spiegel Platz.

Alwa links sitzend, ohne auf Escerny zu achten Es kann im dritten Akt nicht so fortgehen!

Escerny Bis zur Mitte des dritten Aktes schien es heute nicht so gut zu gehen wie sonst.

Alwa Ich war nicht auf der Bühne.

Escerny Jetzt ist sie wieder in vollem Zug.

Alwa Sie zieht die Nummer in die Länge.

Escerny Ich hatte bei Herrn Dr. Schön einmal das Vergnügen der Künstlerin zu begegnen.

Alwa Mein Vater hat sie durch einige Besprechungen in seiner Zeitung beim Publikum eingeführt.

Escerny sich leicht verneigend Ich konferierte mit Herrn Dr. Schön der Herausgabe meiner Forschungen am Tanganjika-See wegen.

Alwa sich leicht verneigend Seine Äußerungen lassen keinen Zweifel darüber, daß er das lebhafteste Interesse an Ihrem Werk nimmt.

Escerny Wohltuend berührt es an der Künstlerin, daß das Publikum für sie gar nicht vorhanden ist.

Alwa Das Sichumkleiden hat sie schon als Kind gelernt. Aber ich war überrascht, eine so bedeutende Tänzerin in ihr zu entdecken.

Escerny Wenn sie ihr Solo tanzt, berauscht sie sich an ihrer eigenen Schönheit – in die sie selber zum Sterben verliebt zu sein scheint.

Alwa Da kommt sie

Erhebt sich, öffnet die Tür.

 

Vierter Auftritt

Lulu. Die Vorigen.

Lulu ohne Kranz und Blumenkorb, zu Alwa Sie werden herausgerufen. Ich war dreimal vor dem Vorhang. Zu Escerny Herr Dr. Schön ist nicht in Ihrer Loge?

Escerny In meiner Loge nicht.

Alwa zu Lulu Haben Sie ihn nicht gesehen?

Lulu Er wird wieder fort sein.

Escerny Er hat die letzte Parkettloge links.

Lulu Er scheint sich meiner zu schämen!

Alwa Er hat keinen guten Platz mehr bekommen.

Lulu zu Alwa Fragen Sie ihn doch, ob ich ihm jetzt besser gefallen habe.

Alwa Ich werde ihn heraufschicken.

Escerny Er hat applaudiert.

Lulu Hat er das wirklich?

Alwa Gönnen Sie sich etwas Ruhe.

Ab.

Fünfter Auftritt

Lulu. Escerny.

Lulu Ich muß mich ja wieder umziehen.

Escerny Aber Ihre Garderobiere ist ja nicht hier?

Lulu Ich kann das rascher allein. Wo sagten Sie, daß Dr. Schön sitzt?

Escerny Ich sah ihn in der hintersten Parkettloge links.

Lulu Jetzt habe ich noch fünf Kostüme vor mir: Dancinggirl, Ballerina, Königin der Nacht, Ariel und Lascaris ... Tritt hinter die spanische Wand zurück.

Escerny Würden Sie es für möglich halten, daß ich bei unserem ersten Renkontre nicht anders gewärtig war, als mit einer jungen Dame aus der literarischen Welt bekannt zu werden? – – – Setzt sich rechts neben den Mitteltisch, wo er bis zum Schluß der Szene sitzen bleibt Sollte ich mich in der Beurteilung Ihrer Natur irren, oder habe ich das Lächeln, das die dröhnenden Beifallsstürme auf Ihren Lippen hervorgerufen, richtig gedeutet? – –: daß Sie unter der Notwendigkeit, Ihre Kunst vor Leuten von zweifelhaften Interessen entwürdigen müssen, innerlich leiden? – – – Da Lulu nicht antwortet Daß Sie den Schimmer der Öffentlichkeit jeden Augenblick für ein ruhiges, sonniges Glück in vornehmer Abgeschlossenheit eintauschen würden? – Da Lulu nicht antwortet Daß Sie Hoheit und Würde genug in sich fühlen, einen Man zu Ihren Füßen zu fesseln – um sich an seiner vollkommenen Hilflosigkeit zu erfreuen? – – – Da Lulu nicht antwortet Daß Sie sich an einem würdigeren Platz als hier in einer mit reichlichem Komfort ausgestatteten Villa fühlen würden – bei unbegrenzten Mitteln – um durchaus als Ihre eigene Herrin zu leben?

Lulu in kurzem hellem Plisseeunterrock und weißem Atlaskorsett, schwarzen Schuhen und Strümpfen, Schellensporen unter den Absätzen, tritt hinter der spanischen Wand vor, mit dem Schnüren ihres Korsetts beschäftigt Wenn ich nur einen Abend mal nicht auftrete, dann träume ich die ganze Nacht hindurch, daß ich tanze, und fühle mich am folgenden Tag wie gerädert ...

Escerny Aber was könnte es Ihnen dabei ausmachen, statt dieses Pöbels nur einen Zuschauer, einen Auserwählten vor sich zu sehen?

Lulu Das könnte mir gleichgültig sein. Ich sehe ja doch niemanden.

Escerny Ein erleuchteter Gartensaal – das Plätschern vom See herauf ... Ich bin auf meinen Forschungsreisen nämlich zur Ausübung eines ganz unmenschlichen Despotismus gezwungen ...

Lulu vor dem Spiegel, sich eine Perlenkette um den Hals legend Eine gute Schule!

Escerny Wenn ich mich jetzt danach sehne, mich ohne irgendwelchen Vorbehalt der Gewalt einer Frau zu überliefern, so ist das ein natürliches Bedürfnis nach Abspannung ... Können Sie sich ein höheres Lebensglück für eine Frau denken, als einen Mann vollkommen in ihrer Gewalt zu haben?

Lulu mit den Absätzen klirrend O ja!

Escerny verwirrt Unter gebildeten Menschen finden Sie nicht einen, der Ihnen gegenüber nicht den Kopf verliert.

Lulu Ihre Wünsche erfüllt Ihnen aber niemand, ohne Sie dabei zu hintergehen.

Escerny Von einem Mädchen wie Sie betrogen zu werden, muß noch zehnmal beglückender sein, als von jemand anders aufrichtig geliebt zu werden.

Lulu Sie sind in Ihrem Leben noch von keinem Mädchen aufrichtig geliebt worden! Sich rücklings gegen ihn stellend, auf ihr Korsett deutend Würden Sie mir den Knoten auflösen. Ich habe mich zu fest geschnürt. Ich bin immer so aufgeregt beim Ankleiden.

Escerny nach wiederholtem Versuch Ich bedaure; ich kann es nicht.

Lulu Dann lassen Sie. Vielleicht kann ich es. Geht nach rechts.

Escerny Ich gestehe ein, daß es mir an Geschicklichkeit gebricht. Ich war vielleicht im Verkehr mit Frauen nicht gelehrig genug.

Lulu Dazu haben Sie in Afrika wohl auch nicht viel Gelegenheit?

Escerny ernst Lassen Sie mich Ihnen offen gestehen, daß mir meine Vereinsamung in der Welt manche Stunde verbittert.

Lulu Gleich ist der Knoten auf ...

Escerny Was mich zu Ihnen hinzieht, ist nicht der Tanz. Es ist ihre körperliche und seelische Vornehmheit, wie sie sich in jeder Ihrer Bewegungen offenbart. Wer sich so sehr wie ich für Kunstwerke interessiert, kann sich darin nicht täuschen. Ich habe während zehn Abenden Ihr Seelenleben aus Ihrem Tanze studiert, bis ich heute, als Sie als Blumenmädchen auftraten, vollkommen mit mir ins klare kam. Sie sind eine großangelegte Natur – uneigennützig. Sie können niemanden leiden sehen. Sie sind das verkörperte Lebensglück. Als Gattin werden Sie einen Mann über alles glücklich machen ... Ihr ganzes Wesen ist Offenherzigkeit. – Sie wären eine schlechte Schauspielerin ...

Die elektrische Klingel tönt über der Tür.

Lulu hat die Schnüre ihres Korsetts etwas gelockert, holt tief Atem, mit den Absätzen klirrend Jetzt kann ich wieder atmen. Der Vorhang geht auf. Sie nimmt vom Mitteltisch ein Skirtdancekostüm – Plissee, hellgelbe Seide, ohne Taille, am Hals geschlossen, bis zu den Knöcheln reichend, weite Blusenärmel – und wirft es sich über Ich muß tanzen.

Escerny erhebt sich und küßt ihr die Hand Erlauben Sie mir, noch ein wenig hierzubleiben.

Lulu Bitte, bleiben Sie.

Escerny Ich bedarf etwas der Einsamkeit. Lulu ab.

Sechster Auftritt

Escerny allein Was ist Noblesse? – Ist es Verschrobenheit, wie bei mir? – Oder ist es leibliche und geistige Vollkommenheit, wie bei diesem Mädchen? – Klatschen und Bravorufen wird hörbar Wer mir den Glauben an die Menschen zurückgibt, gibt mir mein Leben zurück. – Sollen Kinder dieser Frau nicht fürstlicher sein an Leib und Seele als Kinder, deren Mutter nicht mehr Lebensfähigkeit in sich hat, als ich bis heute in mir fühlte? Er setzt sich links vorn, schwärmerisch Der Tanz hat ihren Körper geadelt ...

Siebenter Auftritt

Alwa. Escerny.

Alwa Man ist keinen Moment sicher, daß nicht ein armseliger Zufall der Vorstellung den Garaus macht!

Er wirft sich rechts neben dem Spiegel in den Armsessel, so daß die beiden Herren gerade umgekehrt wie vorher placiert sind. Beide führen die Unterhaltung etwas blasiert und apathisch.

Escerny So dankbar hat sich das Publikum aber noch nie gezeigt.

Alwa Sie hat den Skirtdance beendet.

Escerny Ich höre sie kommen ...

Alwa Sie kommt nicht. – Sie hat keine Zeit. – Sie wechselt das Kostüm hinter der Kulisse.

Escerny Sie hat zwei Ballerinakostüme, wenn ich mich nicht irre?

Alwa Ich finde, daß ihr das weiße besser steht als das in Rosa.

Escerny Finden Sie?

Alwa Sie nicht?

Escerny Ich finde, sie sieht in dem weißen Tüll zu körperlos aus.

Alwa Ich finde, sie sieht in dem Rosatüll zu animalisch aus.

Escerny Ich finde das nicht.

Alwa Der weiße Tüll bringt mehr das Kindliche ihrer Natur zum Ausdruck!

Escerny Der Rosatüll bringt mehr das Weibliche ihrer Natur zum Ausdruck!

Die elektrische Klingel tönt über der Tür.

Alwa aufspringend Um Gottes willen, was ist da los?

Escerny sich gleichfalls erhebend Was ist mit Ihnen?

Die elektrische Klingel tönt fort bis zum Schlusse der Szene.

Alwa Da ist was passiert ...

Escerny Wie können Sie gleich so erschrecken?

Alwa Das muß eine höllische Verwirrung sein. Ab.

Escerny folgt ihm.

Die Tür bleibt offen. Man hört gedämpfte Walzerklänge.

Pause.

Achter Auftritt

Lulu in langem Theatermantel, tritt ein und zieht die Tür hinter sich zu. Sie trägt ein rosa Ballettkostüm mit Blumengirlanden, geht quer über die Bühne und nimmt in dem Armsessel neben dem Spiegel Platz.

Pause.

Neunter Auftritt

Alwa. Lulu. – Gleich darauf Schön.

Alwa Sie hatten einen Ohnmachtsanfall?

Lulu Ich bitte Sie, schließen Sie zu.

Alwa Kommen Sie wenigstens auf die Bühne.

Lulu Haben Sie ihn gesehen.

Alwa Wen gesehen?

Lulu Mit seiner Braut??

Schön Du tanzt vor jedem, der sein Billett löst. Mit wem ich in meiner Loge sitze, hat keine Beziehung zu deiner Tätigkeit!

Alwa Wärest du in deiner Loge sitzen geblieben! Zu Lulu Sagen Sie mir bitte, was ich tun soll. Von außen wird gepocht Da ist der Direktor. Ruft Gleich, gleich. Einen Augenblick Zu Lulu Sie werden uns nicht zwingen wollen, die Vorstellung abzubrechen!

Schön zu Lulu Auf die Bühne mit dir!

Lulu Lassen Sie mir nur einen Augenblick. Ich kann jetzt nicht. Mir ist sterbenselend.

Alwa Hol’ der Henker den ganzen Kulissenkram!

Lulu Schalten Sie die nächste Nummer ein. Das merkt kein Mensch, ob ich jetzt tanze oder in fünf Minuten. Ich habe keine Kraft in den Füßen.

Alwa Aber dann tanzen Sie?

Lulu So gut ich kann ...

Alwa So schlecht Sie wollen. Da von außen gepocht wird Ich komme. Ab.

Zehnter Auftritt

Schön. Lulu.

Lulu Sie haben recht, daß Sie mir zeigen, wo ich hingehöre. Das konnten Sie nicht besser, als wenn Sie mich vor Ihrer Braut den Skirtdance tanzen lassen ... Sie tun mir den größten Gefallen, wenn Sie mich darauf hinweisen, was meine Stellung ist.

Schön höhnisch Bei deiner Herkunft ist es ein Glück sondergleichen für dich, daß du noch Gelegenheit hast, vor anständigen Leuten aufzutreten!

Lulu Auch wenn Sie über meine Schamlosigkeit nicht wissen, wohin sehen.

Schön Albernes Geschwätz! – Schamlosigkeit? – Mach’ aus der Tugend keine Not! – Deine Schamlosigkeit ist das, was man dir für jeden Schritt mit Gold aufwiegt. Der eine schreit Brave, der andere schreit Pfui – das heißt für dich das gleiche! – Kannst du dir einen glänzenderen Triumph wünschen, als wenn sich ein anständiges Mädchen kaum in der Loge zurückhalten läßt?!! Hat dein Leben denn ein anderes Ziel?! – Solang du noch einen Funken Achtung vor dir selber hast, bist du keine perfekte Tänzerin! Je fürchterlicher es den Menschen vor dir graut, um so größer stehst du in deinem Beruf da!!

Lulu Es ist mir ja auch vollkommen gleichgültig, was man von mir denkt. Ich möchte um alles nicht besser sein, als ich bin. Mir ist wohl dabei.

Schön in moralischer Empörung Das ist deine wahre Natur! Das nenne ich aufrichtig. – Eine Korruption!!

Lulu Ich wüßte nicht, daß ich je einen Funken Achtung vor mir gehabt hätte.

Schön wird plötzlich mißtrauisch Keine Harlekinaden ...

Lulu O Gott – ich weiß sehr wohl, was aus mir geworden wäre, wenn Sie mich nicht davor bewahrt hätten.

Schön Bist du denn heute vielleicht etwas anderes??

Lulu Gott sei Dank, nein!

Schön Das ist echt!

Lulu lacht Und wie überglücklich ich dabei bin!

Schön spuckt aus Wirst du jetzt tanzen?

Lulu Wie und vor wem es ist!

Schön Also dann auf die Bühne!!

Lulu kindlich bittend Nur eine Minute noch. Ich bitte Sie. Ich kann mich noch nicht aufrecht halten. – Man wird klingeln.

Schön Du bist dazu geworden, trotz allem, was ich für deine Erziehung und dein Wohl geopfert habe!

Lulu ironisch Sie hatten Ihren veredelnden Einfluß überschätzt?

Schön Verschone mich mit deinen Witzen.

Lulu Der Prinz war hier.

Schön So?

Lulu Er nimmt mich mit nach Afrika.

Schön Nach Afrika?

Lulu Warum denn nicht? Sie haben mich ja zur Tänzerin gemacht, damit einer kommt und mich mitnimmt.

Schön Aber doch nicht nach Afrika!

Lulu Warum haben Sie mich denn nicht ruhig in Ohnmacht fallen lassen und im stillen dem Himmel dafür gedankt?

Schön Weil ich leider keinen Grund hatte, an deine Ohnmacht zu glauben!

Lulu spöttisch Sie hielten es unten nicht aus ...?

Schön Weil ich dir zum Bewußtsein bringen muß, was du bist und zu wem du nicht aufzublicken hast!

Lulu Sie fürchteten, meine Glieder könnten doch vielleicht ernstlichen Schaden genommen haben?

Schön Ich weiß zu gut, daß du unverwüstlich bist.

Lulu Das wissen Sie also doch?

Schön aufbrausend Sehen Sie mich nicht so unverschämt an!!

Lulu Es hält Sie niemand hier.

Schön Ich gehe, sobald es klingelt.

Lulu Sobald Sie die Energie dazu haben! – Wo ist Ihre Energie? – Sie sind seit drei Jahren verlobt. Warum heiraten Sie nicht? – Sie kennen keine Hindernisse. Warum wollen Sie mir die Schuld geben? – Sie haben mir befohlen, Dr. Goll zu heiraten. Ich habe Dr. Goll gezwungen, mich zu heiraten. Sie haben mir befohlen, den Maler zu heiraten. Ich habe gute Miene zum bösen Spiel gemacht. – Sie kreieren Künstler, Sie protegieren Prinzen. Warum heiraten Sie nicht?

Schön wütend Glaubst du vielleicht, daß du mir im Weg stehst?!

Lulu von jetzt an bis zum Schluß triumphierend Wüßten Sie, wie Ihre Wut mich glücklich macht! Wie stolz ich darauf bin, daß Sie mich mit allen Mitteln demütigen! Sie erniedrigen mich so tief – so tief, wie man ein Weib erniedrigen kann, weil Sie hoffen, Sie könnten sich dann eher über mich hinwegsetzen. Aber Sie haben sich selber unsäglich weh getan durch alles, was Sie mir eben sagten. Ich sehe es Ihnen an. Sie sind schon beinahe am Ende Ihrer Fassung. Gehen Sie! Um Ihrer schuldlosen Braut willen, lassen Sie mich allein! Eine Minute noch, dann schlägt Ihre Stimmung um, und Sie machen mir eine andere Szene, die Sie jetzt nicht verantworten können!

Schön Ich fürchte dich nicht mehr!

Lulu Mich? – Fürchten Sie sich selber! – Ich bedarf Ihrer nicht. – Ich bitte Sie, gehen Sie. Geben Sie nicht mir die Schuld. Sie wissen, daß ich nicht ohnmächtig zu werden brauchte, um Ihre Zukunft zu zerstören. Sie haben ein unbegrenztes Vertrauen in meine Ehrenhaftigkeit! Sie glauben nicht nur, daß ich ein bestrickendes Menschenkind bin; Sie glauben auch, daß ich ein herzensgutes Geschöpf bin. Ich bin weder das eine noch das andere. Das Unglück für Sie ist nur, daß Sie mich dafür halten.

Schön verzweifelt Laß meine Gedanken gehen! Du hast zwei Männer unter der Erde. Nimm den Prinzen, tanz’ ihn in Grund und Boden! Ich bin fertig mit dir. Ich weiß, wo der Engel bei dir zu Ende ist und der Teufel beginnt. Wenn ich die Welt nehme, wie sie geschaffen ist, so trägt der Schöpfer die Verantwortung, nicht ich! Mir ist das Leben keine Belustigung.

Lulu Dafür stellen Sie auch Ansprüche an das Leben, wie sie höher niemand stellen kann ... Sagen Sie mir, wer von uns beiden ist wohl anspruchsvoller, Sie oder ich?!

Schön Schweig! Ich weiß nicht, wie und was ich denke. Wenn ich dich höre, denke ich nicht mehr. In acht Tagen bin ich verheiratet. Ich beschwöre dich – bei dem Engel, der in dir ist, komm mir derweil nicht mehr zu Gesicht!

Lulu Ich will die Tür verschließen.

Schön Prahl’ noch mit dir! – Ich habe, Gott ist mein Zeuge, seit ich mit der Welt und dem Leben ringe, noch niemandem so geflucht!

Lulu Das kommt von meiner niederen Herkunft.

Schön Von deiner Verworfenheit!!

Lulu Mit tausend Freuden nehme ich die Schuld auf mich! Sie müssen sich jetzt rein fühlen. Sie müssen sich jetzt für den sittenstrengen Mustermenschen, für den Tugendbold von unerschütterlichen Grundsätzen halten – sonst können Sie das Kind in seiner bodenlosen Unerfahrenheit gar nicht heiraten ...

Schön Willst du, daß ich mich an dir vergreife?

Lulu rasch Ja! Ja! Was muß ich sagen, damit Sie es tun? Um kein Königreich möchte ich jetzt mit dem unschuldigen Kinde tauschen! Dabei liebt das Mädchen Sie, wie noch kein Weib Sie je geliebt hat!!

Schön Schweig, Bestie! Schweig!

Lulu Heiraten Sie sie – dann tanzt sie in ihrem kindlichen Jammer vor meinen Augen statt ich vor ihr!

Schön hebt die Faust Verzeih’ mir Gott ...

Lulu Schlagen Sie mich! Wo haben Sie Ihre Reitpeitsche! Schlagen Sie mich an die Beine ...

Schön greift sich an die Schläfen Fort, fort ...! Stürzt zur Türe, besinnt sich, wendet sich um Kann ich jetzt so vor das Kind hintreten? – Nach Hause! – Wenn ich zur Welt hinaus könnte!

Lulu Seien Sie doch ein Mann. – Blicken Sie sich einmal ins Gesicht. – Sie haben keine Spur von Gewissen. – Sie schrecken vor keiner Schandtat zurück. – Sie wollen das Mädchen, das Sie liebt, mit der größten Kaltblütigkeit unglücklich machen. – Sie erobern die halbe Welt. – Sie tun, was Sie wollen – und Sie wissen so gut wie ich – daß ...

Schön ist völlig erschöpft auf den Sessel links neben dem Mitteltisch zusammengesunken Schweig!

Lulu Daß Sie zu schwach sind – um sich von mir loszureißen ...

Schön stöhnend Oh! Oh! Du tust mir weh!

Lulu Mir tut dieser Augenblick wohl – ich kann nicht sagen wie!

Schön Mein Alter! Meine Welt!

Lulu Er weint wie ein Kind – der furchtbare Gewaltmensch! – Jetzt gehen Sie so zu Ihrer Braut und erzählen Sie ihr, was ich für eine Seele von einem Mädchen bin – keine Spur eifersüchtig!

Schön schluchzend Das Kind! Das schuldlose Kind!

Lulu Wie kann der eingefleischte Teufel plötzlich so weich werden? – – Jetzt gehen Sie aber bitte. Jetzt sind Sie nichts mehr für mich.

Schön Ich kann nicht zu ihr.

Lulu Hinaus mit Ihnen! Kommen Sie zu mir zurück, wenn Sie wieder zu Kräften gelangt sind.

Schön Sag’ mir um Gottes willen, was ich tun soll.

Lulu erhebt sich; ihr Mantel bleibt auf dem Sessel. Auf dem Mitteltisch die Kostüme beiseiteschiebend Hier ist Briefpapier ...

Schön Ich kann nicht schreiben ...

Lulu aufrecht hinter ihm stehend, auf die Lehne seines Sessels gestützt Schreiben Sie! – Sehr geehrtes Fräulein ...

Schön zögernd Ich nenne sie Adelheid ...

Lulu mit Nachdruck Sehr geehrtes Fräulein ...

Schön schreibend Mein Todesurteil!

Lulu Nehmen Sie Ihr Wort zurück. Ich kann es mit meinem Gewissen – da Schön die Feder absetzt und ihr einen flehentlichen Blick zuwirft Schreiben Sie Gewissen! – nicht vereinbaren, Sie an mein unseliges Los zu fesseln ...

Schön schreibend Du hast recht. – Du hast recht.

Lulu Ich gebe Ihnen mein Wort, daß ich Ihrer Liebe – da sich Schön wieder zurückwendet Schreiben Sie Liebe! – unwürdig bin. Diese Zeilen sind Ihnen der Beweis. Seit drei Jahren versuche ich mich loszureisen; ich habe die Kraft nicht. Ich schreibe Ihnen an der Seite der Frau, die mich beherrscht. – Vergessen Sie mich. – Doktor Ludwig Schön.

Schön aufächzend O Gott!

Lulu halb erschrocken Ja kein ªO Gott!´ – Mit Nachdruck Doktor Ludwig Schön. – Postskriptum: Versuchen Sie nicht, mich zu retten.

Schön nachdem er zu Ende geschrieben, in sich zusammenbrechend Jetzt – kommt die – Hinrichtung ...

 

VIERTER AUFZUG

Prachtvoller Saal in deutscher Renaissance mit schwerem Plafond in geschnitztem Eichenholz. Die Wände bis zur halben Höhe in dunklen Holzskulpturen. Darüber an beiden Seiten verblaßte Gobelins. Nach hinten oben ist der Saal durch eine verhängte Galerie abgeschlossen, von der links eine monumentale Treppe bis zu halben Tiefe der Bühne herabführt. In der Mitte unter der Galerie die Eingangstür mit gewundenen Säulen und Frontispiz. An der rechten Seitenwand ein geräumiger hoher Kamin. Weiter vorn ein Balkonfenster mit geschlossenen schweren Gardinen. An der linken Seitenwand vor dem Treppenfuße eine geschlossene Portiere in Genueser Samt.

Vor dem Kamin steht als Schirm eine chinesische Klappwand. Vor dem Fußpfeiler des freien Treppengeländers auf einer dekorativen Staffelei Lulus Bild als Pierrot in antiquisiertem Goldrahmen. Links vorn eine breite Ottomane, rechts davor ein Fauteuil. In der Mitte des Saales ein vierkantiger Tisch mit schwerer Decke, um den drei hochlehnige Polstersessel stehen. Auf dem Tisch steht ein weißes Bukett.

Erster Auftritt

Schön. Lulu. Gräfin Geschwitz.

Geschwitz auf der Ottomane, in pelzbesetzter Husaren-Taille, hoher Stehkragen, riesige Manschettenknöpfe, Schleier vor dem Gesicht, die Hände krampfhaft im Muff; zu Lulu Sie glauben nicht, wie ich mich darauf freue, Sie auf unserem Künstlerinnenball zu sehen.

Schön links vorn Sollte denn für unsereinen gar keine Möglichkeit bestehen, sich einzuschmuggeln?

Geschwitz Es wäre Hochverrat, wenn jemand von uns einer solchen Intrige Vorschub leistete.

Schön geht hinter der Ottomane durch zum Mitteltisch. Die prachtvollen Blumen.

Lulu im Fauteuil, in großblumigem Morgenkleid, das Haar in schlichtem Knoten in goldener Spange Die hat mir Fräulein von Geschwitz gebracht.

Geschwitz O bitte. – Sie werden sich doch jedenfalls als Herr kostümieren?

Lulu Glauben Sie denn, daß mich das kleidet?

Geschwitz auf das Bild deutend Hier sind Sie wie ein Märchen.

Lulu Mein Mann mag es nicht.

Geschwitz Ist es von einem Hiesigen?

Lulu Sie werden ihn kaum gekannt haben.

Geschwitz Er lebt nicht mehr?

Schön rechts vorn, mit tiefer Stimme Er hatte genug.

Lulu Du bist verstimmt.

Schön beherrscht sich.

Geschwitz sich erhebend Ich muß gehen, Frau Doktor. Ich kann nicht länger bleiben. Wir haben heute abend Aktzeichnen, und ich habe noch so viel für den Ball vorzubereiten. – Grüßend Herr Doktor. Von Lulu geleitet, durch die Mitte ab.

Zweiter Auftritt

Schön allein, sich umsehend Der reine Augiasstall. Das mein Lebensabend. Man soll mir einen Winkel zeigen, der noch rein ist. Die Pest im Haus. Der ärmste Taglöhner hat sein sauberes Nest. Dreißig Jahre Arbeit, und das mein Familienkreis, der Kreis der Meinen ... sich umsehend Gott weiß, wer mich jetzt wieder belauscht! Zieht einen Revolver aus der Brusttasche Man ist ja seines Lebens nicht sicher! Er geht, den gespannten Revolver in der Rechten haltend, nach rechts und spricht an die geschlossene Fenstergardine hin. Das ist mein Familienkreis! Der Kerl hat noch Mut! – Soll ich mich denn nicht lieber selber vor den Kopf schießen? – Gegen Todfeinde kämpft man, aber der ... er schlägt die Gardine in die Höhe; da er niemand dahinter versteckt findet Der Schmutz – der Schmutz ... er schüttelt den Kopf und geht nach links hinüber der Irrsinn hat sich meiner Vernunft schon bemächtigt, oder – Ausnahmen bestätigen die Regel! Er steckt, da er Lulu kommen hört, den Revolver ein.

Dritter Auftritt

Lulu. Schön. Beide vorne links.

Lulu Könntest du dich für heute nachmittag nicht frei machen?

Schön Was wollte diese Gräfin eigentlich?

Lulu Ich weiß nicht. Sie will mich malen.

Schön Das Unglück in Menschengestalt, das einem seine Aufwartung macht.

Lulu Könntest du dich denn nicht frei machen? Ich würde so gerne mit dir durch die Anlagen fahren.

Schön Gerade der Tag, an dem ich auf der Börse sein muß. Du weißt, daß ich heute nicht frei bin. Meine ganze Habe treibt auf den Wellen.

Lulu Lieber wollte ich schon beerdigt sein, als mir mein ganzes Leben so durch meine Habe verbittern lassen.

Schön Wem das Leben leicht wird, dem fällt das Sterben nicht schwer.

Lulu Als Kind hatte ich auch immer entsetzlichste Angst vor dem Tod.

Schön Deswegen habe ich dich ja geheiratet.

Lulu an seinem Hals Du bist schlecht gelaunt. Du machst dir zuviel Sorgen. Seit Wochen und Monaten habe ich nichts mehr von dir.

Schön ihr das Haar streichend Dein Frohsinn sollte meine alten Tage erheitern.

Lulu Du hast mich ja gar nicht geheiratet.

Schön Wen hätte ich denn sonst geheiratet?

Lulu Ich habe dich geheiratet!

Schön Was ändert denn das daran?

Lulu Ich fürchtete immer, es werde vieles ändern.

Schön Es hat auch viel unter die Füße gestampft.

Lulu Nur gottlob eines nicht!

Schön Darauf wäre ich begierig.

Lulu Deine Liebe zu mir.

Schön zuckt mit dem Gesicht, winkt ihr, voranzugehen. Beide nach links vorne ab.

Vierter Auftritt

Gräfin Geschwitz öffnet vorsichtig die Mitteltür, wagt sich nach vorn und lauscht; schrickt zusammen, da Stimmen auf der Galerie laut werden O Gott, da ist jemand ... Versteckt sich hinter dem Kaminschirm.

Fünfter Auftritt

Schigolch. Rodrigo. Hugenberg.

Schigolch tritt über der Treppe aus den Gardinen, wendet sich zurück Der Junge hat sein Herz wohl im Café ªNachtlicht´ zurückgelassen?!

Rodrigo zwischen den Gardinen Er ist noch zu klein für die große Welt und kann noch nicht so weit zu Fuß gehen. Verschwindet.

Schigolch kommt die Treppe herunter Gott sei Dank, daß wir endlich wieder zu Hause sind! Welcher Stinkepeter wohl wieder die Treppe gewichst hat! Wenn ich mir meine Knochen vor der Heimrufung noch mal in Gips gießen lassen muß, dann kann sie mich zwischen den Palmen hier ihren Relationen als mediceische Venus vorstellen. Nichts als Klippen. Nichts als Fallstricke.

Rodrigo kommt, Hugenberg auf dem Arm tragend, die Treppe herunter Das hat einen königlichen Polizeidirektor zum Vater und nicht so viel Courage im Leib wie der abgerissenste Landstreicher!

Hugenberg Wenn es auf nichts als auf Tod und Leben ginge, dann solltet ihr mich kennen lernen!

Rodrigo Das Brüderchen wiegt samt seinem Liebeskummer nicht mehr als sechzig Kilo. Darauf will ich mich jede Minute hängen lassen.

Schigolch Wirf ihn an den Plafond hinauf und fang ihn mit den Füßen auf. Das peitscht ihm sein junges Blut gleich von vornherein in die richtige Wallung.

Hugenberg mit den Beinen strampelnd O je, o je, ich werde von der Schule gejagt!

Rodrigo ihn am Treppenfuß niedersetzend Du bist noch auf gar keiner vernünftigen Schule gewesen!

Schigolch Hier hat sich schon mancher die ersten Sporen verdient. Nur ja keine Schüchternheit! Zuerst werde ich euch einen Tropfen vorsetzen, wie er für Geld nirgends zu haben ist. Er öffnet ein Schränkchen unter der Treppe.

Hugenberg Wenn sie jetzt aber nicht unverzüglich angetanzt kommt, dann verhaue ich euch beide, daß ihr euch noch im Jenseits den Buckel reibt.

Rodrigo hat sich rechts an den Tisch gesetzt Den stärksten Mann der Welt will das Brüderchen verhaun! Zu Hugenberg Laß dir von Mutterchen erst lange Hosen anziehen.

Hugenberg sich links an den Tisch setzend Ich wünsche lieber, du borgtest mir deinen Schnurrbart.

Rodrigo Willst du vielleicht, daß sie dich gleich zur Türe hinauswirft?

Hugenberg Zum Henker noch mal, wenn ich nur schon wüßte, was ich ihr sagen soll!

Rodrigo Das weiß sie schon selber am besten.

Schigolch setzt zwei Flaschen und drei Gläser auf den Tisch Die eine habe ich gestern schon angebrochen. Er füllt die Gläser.

Rodrigo Hugenbergs Glas schützend Gib ihm nicht zuviel, sonst müssen wir beide es ausbaden.

Schigolch sich mit beiden Händen auf die Tischplatte stützend Rauchen die Herren?

Hugenberg sein Zigarettenetui öffnend Da sind Habanna-Importen!

Rodrigo sich bedienend Von Papa Polizeidirektor?

Schigolch sich setzend Ich habe alles im Hause. Braucht nur zu befehlen.

Hugenberg Ich habe ihr gestern ein Gedicht gemacht.

Rodrigo Was hast du ihr gemacht?

Hugenberg Ein Gedicht.

Rodrigo zu Schigolch Ein Gedicht.

Schigolch Einen Taler hat er mir versprochen, wenn ich auskundschafte, wo er mit ihr allein zusammentreffen kann.

Hugenberg Wer wohnt denn eigentlich hier?

Rodrigo Hier wohnen wir!

Schigolch Jour fixe – jeden Börsentag! – Zum Wohl! Sie stoßen an.

Hugenberg Soll ich es ihr vielleicht zuerst vorlesen?

Schigolch zu Rodrigo Was meint er?

Rodrigo Sein Gedicht. Er will sie gerne zuerst ein wenig auf die Folter spannen.

Schigolch Hugenberg fixierend Die Augen! Die Augen!

Rodrigo Die Augen, ja! Die haben sie seit acht Tagen um ihren Schlaf gebracht.

Schigolch zu Rodrigo Du kannst dich einpökeln lassen.

Rodrigo Wir beide können uns einpökeln lassen! Zum Wohl, Gevatter Tod.

Schigolch anstoßend Zum Wohl, Springfritze! Wenn es später noch besser kommt, dann bin ich jeden Augenblick zum Aufbruch bereit; aber ... aber ...

Sechster Auftritt

Lulu. Die Vorigen. Später Ferdinand.

Lulu von links, in eleganter Pariser Balltoilette, weit dekolletiert, mit Blumen vor der Brust und im Haare Aber Kinder, Kinder, ich erwarte Besuch.

Schigolch Aber das kann ich euch sagen, die müssen es sich da drüben was kosten lassen!

Hugenberg hat sich erhoben.

Lulu sich auf die Armlehne seines Sessels setzend Sie sind in eine nette Gesellschaft geraten. Ich erwarte Besuch, Kinder.

Schigolch Da muß ich mir wohl auch was vorstecken. Sucht in dem Bukett, das auf dem Tische steht.

Lulu Sehe ich gut aus?

Schigolch Was sind das, was du da vorhast?

Lulu Orchideen. Sich mit der Brust über Hugenberg neigend Riechen Sie.

Rodrigo Sie erwarten wohl den Prinzen Escerny?

Lulu schüttelt den Kopf Gott bewahre!

Rodrigo Also wieder jemand anders!

Lulu Der Prinz ist verreist.

Rodrigo Sein Königreich auf Auktion bringen?

Lulu Er kundschaftet eine frische Völkerschaft in der Gegend von Afrika aus. Erhebt sich, eilt die Treppe hinauf und tritt in die Galerie ein.

Rodrigo zu Schigolch – Er hat sie nämlich ursprünglich heiraten wollen.

Schigolch sich eine Lilie vorsteckend Ich habe sie ursprünglich auch heiraten wollen.

Rodrigo Du hast sie ursprünglich heiraten wollen?

Schigolch Hast du sie nicht auch ursprünglich heiraten wollen?

Rodrigo Jawohl habe ich sie ursprünglich heiraten wollen!!

Schigolch Wer hat sie nicht ursprünglich heiraten wollen!

Rodrigo – So gut hätte ich’s nie gekriegt!

Schigolch Sie hat es keinen bereuen lassen, daß er sie nicht geheiratet hat.

Rodrigo – Sie ist also nicht dein Kind?

Schigolch Fällt ihr nicht ein.

Hugenberg Wie heißt denn ihr Vater?

Schigolch Sie hat mit mir renommiert!

Hugenberg Wie heißt denn ihr Vater?

Schigolch Was meint er?

Rodrigo Wie ihr Vater heißt.

Schigolch Sie hat nie einen gehabt.

Lulu kommt von der Galerie herunter und setzt sich wieder zu Hugenberg auf die Armlehne Was habe ich nie gehabt?

Alle Drei Einen Vater.

Lulu Ja gewiß, ich bin ein Wunderkind. Zu Hugenberg Wie sind Sie denn mit Ihrem Vater zufrieden?

Rodrigo Er raucht wenigstens eine anständige Zigarre, der Herr Polizeidirektor.

Schigolch Hast oben zugeschlossen?

Lulu Da ist der Schlüssel.

Schigolch Hättest ihn lieber stecken lassen.

Lulu Warum denn?

Schigolch Damit man von außen nicht aufschließen kann.

Rodrigo Ist er denn nicht auf der Börse?

Lulu O doch, aber er leidet an Verfolgungswahn.

Rodrigo Ich nehme ihn auf die Füße und jupp – daß er oben an der Decke klebenbleibt.

Lulu Sie jagt er mit einem Viertelseitenblick durch ein Mausloch.

Rodrigo Was jagt er? Wen jagt er? Seinen Arm entblößend Sehen Sie sich bitte den Bizeps an.

Lulu Zeigen Sie. Geht nach rechts.

Rodrigo sich auf den Arm schlagend Granit. – Schmiedeeisen.

Lulu befühlt abwechselnd Rodrigos Oberarm und ihren eigenen Wenn Sie nur nicht so lange Ohren hätten ...

Ferdinand durch die Mitte eintretend Herr Doktor Schön.

Rodrigo aufspringend Der Lumpenkerl! Will hinter den Kaminschirm, fährt zurück Gott behüte einen! Versteckt sich vorn hinter den Gardinen.

Schigolch Gib mir den Schlüssel her! Nimmt Lulu den Schlüssel ab und schleppt sich die Treppe zur Galerie hinauf.

Hugenberg ist vom Sessel unter den Tisch geglitten.

Lulu Ich lasse bitten.

Ferdinand ab.

Hugenberg lauscht vorn unter dem Saum der Tischdecke vor, für sich Er bleibt hoffentlich nicht – dann sind wir allein ...

Lulu berührt ihn mit der Fußspitze.

Hugenberg verschwindet.

Siebenter Auftritt

Die Vorigen. Alwa

Ferdinand läßt Alwa eintreten. Ab.

Alwa in Soireetoilette Die Matinee wird, wie ich mir denke, bei brennenden Lampen stattfinden. Ich habe ... Schigolch bemerkend, der sich mühsam die Treppe hinaufschleppt Was ist denn das?

Lulu Ein alter Freund deines Vaters.

Alwa Mir völlig unbekannt.

Lulu Sie haben den Feldzug zusammen mitgemacht. Es geht ihm entsetzlich ...

Alwa Ist denn mein Vater hier?

Lulu Er hat ein Glas mit ihm getrunken. Er mußte auf die Börse. – Wir dejeunieren aber doch vorher?

Alwa Wann geht es denn an?

Lulu Nach zwei. Da Alwa Schigolch mit dem Blick folgt Wie findest du mich ...?

Schigolch über die Galerie ab.

Alwa Sollte ich dir das nicht lieber verschweigen?

Lulu Ich meine ja nur die Toilette.

Alwa Deine Schneiderin kennt dich offenbar besser als ich – mir erlauben darf dich zu kennen.

Lulu Als ich mich im Spiegel sah, hätte ich ein Mann sein wollen ... sich unterbrechend mein Mann! –

Alwa Du scheinst deinen Mann um das Glück zu beneiden, das du ihm bietest. Lulu links, Alwa rechts vom Mitteltisch. Er betrachtet sie mit scheuem Wohlgefallen.

Ferdinand durch die Mitte mit Service, deckt den Tisch und legt zwei Kuverts auf; Flasche Pommery, Hors-d’ œvres.

Alwa Haben Sie Zahnschmerzen?

Lulu zu Alwa hinüber Nicht.

Ferdinand Herr Doktor ...?

Alwa Er scheint mir heute so weinerlich.

Ferdinand durch die Zähne Man ist auch nur ein Mensch. – – Ab.

Beide setzen sich zu Tisch.

Lulu – Was ich immer am höchsten an dir schätzte, ist deine Charakterfestigkeit. Du bist deiner so vollkommen sicher! Wenn du auch fürchten mußtest, dich deshalb mit deinem Vater zu überwerfen, du bist trotzdem immer wie ein Bruder für mich eingetreten.

Alwa Lassen wir das. Es ist nun einmal mein Los ... will vorn die Tischdecke heben.

Lulu rasch Das war ich.

Alwa Nicht möglich! – Es ist nun mal mein Los, bei den leichtsinnigsten Gedanken immer das Allerbeste zu erzielen.

Lulu Du redest dir etwas ein, wenn du dich vor dir selber schlecht machst.

Alwa Warum schmeichelst du mir so? – Es ist wahr, es lebt vielleicht kein so schlechter Mensch wie ich – der so viel Gutes zuwege gebracht hätte.

Lulu Auf jeden Fall bist du der einzige Mann auf dieser Welt, der mich beschützt hat, ohne mich vor mir selbst zu erniedrigen.

Alwa Hältst du das für so leicht ...?

 

Achter Auftritt

Schön. Die Vorigen.

Schön erscheint auf der Galerie zwischen den beiden mittleren Säulen, indem er vorsichtig den Vorhang teilt. Über die Bühne wegsprechend Mein eigener Sohn!

Alwa ... Mit deinen Gottesgaben macht man seine Umgebung zu Verbrechern, ohne sich’s träumen zu lassen. – Ich bin auch nur Fleisch und Blut, und wenn wir nicht wie Geschwister nebeneinander aufgewachsen wären ...

Lulu Deshalb gebe ich mich auch nur dir allein ganz ohne Rückhalt. Von dir habe ich nichts zu fürchten.

Alwa Ich versichere dir, es gibt Augenblicke, wo man gewärtig ist, sein ganzes Inneres einstürzen zu sehen. – Je mehr Selbstüberwindung ein Mann sich aufbürdet, um so leichter bricht er zusammen. Darüber hilft nichts hinweg als ... er will unter den Tisch sehen.

Lulu rasch Was suchst du denn?!

Alwa Ich beschwöre dich, laß mich mein Glaubensbekenntnis für mich behalten! Als unantastbares Heiligtum warst du mir mehr, als du in deinem Leben mit all deinen Gaben irgend sonst jemanden sein konntest!

Lulu Wie denkst du darin doch so ganz anders als dein Vater!

Ferdinand kommt durch die Mitte, wechselt die Teller und serviert Brathähnchen mit Salat.

Alwa zu Ferdinand Sind Sie krank?

Lulu zu Alwa Laß ihn doch!

Alwa Er zittert wie im Fieber.

Ferdinand Ich bin das Servieren noch nicht so gewohnt.

Alwa Sie müssen sich was verschreiben lassen.

Ferdinand durch die Zähne Ich kutschiere gewöhnlich. – – Ab.

Schön auf der Galerie, über die Bühne wegsprechend Der also auch. Nimmt hinter der Brüstung Platz, sich nach Erfordernis mit dem Vorhang deckend.

Lulu Was sind das für Augenblicke, von denen du sprachst, wo man gewärtig ist, sein ganzes Innere zusammenstürzen zu sehen?

Alwa Ich wollte nicht davon sprechen. – Ich möchte nicht gern über einem Glas Champagner verscherzen, was mir während zehn Jahren mein höchstes Lebensglück gewesen.

Lulu Ich habe dir weh getan. Ich will nicht wieder davon anfangen.

Alwa Versprichst du mir das für immer?

Lulu Meine Hand darauf. Reicht ihm ihre Hand über den Tisch.

Alwa ergreift sie zögernd, preßt sie in der seinigen, drückt sie lang und innig an seine Lippen.

Lulu Was tust du ...

Rodrigo steckt rechts den Kopf aus den Gardinen.

Lulu wirft ihm über Alwa hinweg einen wütenden Blick zu.

Rodrigo zieht sich zurück.

Schön auf der Galerie, über die Bühne wegsprechend Und da noch einer!

Alwa ihre Hand haltend Eine Seele – die sich im Jenseits den Schlaf aus den Augen reibt ... O diese Hand ...

Lulu harmlos Was findest du daran ...

Alwa Ein Arm ...

Lulu Was findest du daran ..

Alwa Einen Körper ...

Lulu unschuldig Was findest du daran ...

Alwa erregt Mignon!

Lulu völlig verständnislos Was findest du daran ...

Alwa leidenschaftlich Mignon! Mignon!

Lulu wirft sich auf die Ottomane Sieh mich nicht so an – um Gottes willen! Laß uns lieber gehen, ehe es zu spät ist. Du bist ein verworfener Mensch!

Alwa Ich sagte dir ja, ich bin der niederträchtigste Schurke ...

Lulu Das sehe ich!!

Alwa Ich habe kein Ehrgefühl – keinen Stolz ...

Lulu Du hältst mich für deinesgleichen!

Alwa Du? – du stehst so himmelhoch über mir wie – wie die Sonne über dem Abgrund ... Kniend Richte mich zugrunde! – Ich bitte dich, mach’ ein Ende mit mir! – Mach’ ein Ende mit mir!

Lulu Liebst du mich denn?

Alwa Ich bezahle dich mit allem, was mein war!

Lulu Liebst du mich?!

Alwa Liebst du mich – Mignon ...?

Lulu Ich? – Keine Seele.

Alwa Ich liebe dich. Birgt seinen Kopf in ihrem Schoß.

Lulu beide Hände in seinen Locken Ich habe deine Mutter vergiftet ...

Rodrigo steckt rechts den Kopf aus den Gardinen, sieht Schön auf der Galerie sitzen und macht ihn durch ein Zeichen auf Lulu und Alwa aufmerksam.

Schön richtet seinen Revolver gegen Rodrigo.

Rodrigo bedeutet ihn, den Revolver auf Alwa zu richten.

Schön spannt den Revolver und zielt auf Rodrigo.

Rodrigo fährt hinter die Gardinen zurück.

Lulu sieht Rodrigo zurückfahren, sieht Schön auf der Galerie sitzen, erhebt sich Sein Vater!

Schön erhebt sich, läßt den Vorhang vor sich nieder.

Alwa bleibt regungslos auf den Knien.

Pause

Schön eine Zeitung in der Hand, nimmt Alwa bei der Schulter Alwa!

Alwa erhebt sich wie schlaftrunken.

Schön In Paris ist Revolution ausgebrochen.

Alwa Nach Paris ... laß mich nach Paris ...

Schön Auf der Redaktion rennen sie sich den Kopf gegen die Wand. Keiner weiß, was er schreiben soll ... Entfaltet das Zeitungsblatt, geleitet Alwa durch die Mitte hinaus.

Rodrigo stürzt rechts aus den Gardinen, will die Treppe hinan.

Lulu vertritt ihm den Weg Sie können hier nicht hinaus.

Rodrigo Lassen Sie mich durch!

Lulu Sie rennen ihm in die Arme.

Rodrigo Er jagt mir sein Pistol durch den Kopf.

Lulu Er kommt.

Rodrigo zurücktaumelnd Himmel, Tod und Wolkenbruch! Hebt die Tischdecke.

Hugenberg Kein Platz!

Rodrigo Verdammt und zugenäht! Sieht sich um, verbirgt sich links hinter der Portiere.

Schön durch die Mitte, verschließt die Tür, geht, den Revolver an der Hand, auf das Fenster rechts vorn zu, schlägt die Gardine in die Höhe – Wo ist denn der hin?

Lulu auf dem untersten Treppenstufen Hinaus.

Schön Über den Balkon hinunter??

Lulu Er ist Kunstturner.

Schön Das war nicht vorauszusehen. – Sich gegen Lulu wendend Du Kreatur, die mich durch den Straßenkot zum Martertod schleift!

Lulu Warum hast du mich nicht besser erzogen?

Schön Du Würgengel! Du unabwendbares Verhängnis! Mörder werden oder im Schmutz ertrinken; mich einschiffen wie ein entlassener Sträfling oder mich über dem Morast aufhängen. Du Freude meines Alters! Du Henkerstrick!

Lulu kaltblütig Schweig doch und bring mich um!

Schön Ich habe dir Hab und Gut verschrieben und nichts gefordert als die Achtung, die meinem Haus jeder Dienstbote zollt. Dein Kredit ist erschöpft!

Lulu Ich kann noch auf Jahre für meine Rechnung einstehen. Von der Treppe nach vorn kommend Wie gefällt dir mein neues Kleid?

Schön Weg mit dir, sonst schlägt’s bei mir morgen über den Kopf, und mein Sohn schwimmt in seinem Blute. Du haftest mir als unheilbare Seuche an, an die ich bis in mein Grab meine Lebenszüge verächzen soll. Ich will mich heilen. Begreifst du mich? Ihr den Revolver aufdrängend Das ist dein Spezifikum. – Brich nicht in die Knie! – Du sollst es dir selbst applizieren. Du oder ich, wir messen uns.

Lulu hat sich, da die Kräfte sie zu verlassen drohen, auf den Diwan niedergelassen; den Revolver hin und her drehend Das geht ja nicht los.

Schön Weißt du noch, wie ich dich der Korrektionspolizei aus den Krallen riß?

Lulu Du hast viel Zutrauen ...

Schön Weil ich eine Dirne nicht fürchte? Soll ich dir die Hand führen? Hast du selbst kein Erbarmen mit dir? Da Lulu den Revolver gegen ihn richtet Keinen blinden Lärm!

Lulu knallt einen Schuß gegen den Plafond.

Rodrigo springt aus der Portiere, die Treppe hinauf, über die Galerie ab.

Schön Was war das ...?

Lulu harmlos Nichts.

Schön die Portiere hebend Was kam da herausgeflattert?

Lulu Du leidest an Verfolgungswahn.

Schön Hältst du noch mehr Männer hier versteckt? Ihr den Revolver entreißend Ist sonst noch ein Mann bei dir zu Besuch? Nach rechts gehend Ich will deine Männer regalieren! Schlägt die Fenstergardinen in die Höhe, wirft den Kaminschirm zurück, packt die Geschwitz am Kragen und schleppt sie nach vorn Kommen Sie durch den Rauchfang herunter?

Geschwitz in Todesangst zu Lulu Retten Sie mich vor ihm

Schön sie schüttelnd Oder sind Sie auch Kunstturner?

Geschwitz wimmernd Sie tun mir weh.

Schön sie schüttelnd Jetzt müssen Sie notwendig noch zum Diner bleiben. Schleppt sie nach links, stößt sie ins Nebenzimmer, verschließt die Tür hinter ihr Wir wollen keine Ausrufer. Setzt sich neben Lulu, drängt ihr den Revolver auf Es ist noch genug für dich drin. – Sieh mich an! Ich kann in meinem Haus meinem Kutscher nicht helfen, mir die Stirn zu verzieren. Sieh mich an! Ich bezahle meinen Kutscher. Sieh mich an! Vergönne ich meinem Kutscher was, wenn ich den infamen Stallgeruch nicht verschnupfen kann?

Lulu Laß anspannen. Bitte. Wir fahren in die Oper.

Schön Wir fahren zum Teufel! Jetzt kutschiere ich. Den Revolver in ihrer Hand von sich ab und auf Lulus Brust wendend Glaubst du, man läßt sich mißhandeln, wie du mich mißhandelst, und besinnt sich zwischen einer Galeerenschande und dem Verdienst, die Welt von dir zu befreien? Hält sie am Arm nieder Komm zu Ende. Es soll mir die glücklichste Erinnerung meines Lebens sein. Drück los!

Lulu – Du kannst dich scheiden lassen.

Schön sich erhebend Das war noch übrig. Damit morgen ein Nächster seinen Zeitvertreib findet, wo ich von Abgrund zu Abgrund geschaudert, den Selbstmord im Nacken und dich vor mir. Das wagt sich über die Lippen? Was ich von meinem Leben in dich hineingelebt, soll ich wilden Tieren vorgeworfen sehen? Siehst du dein Bett mit dem Schlachtopfer darauf? Der Junge hat Heimweh nach dir. – Hast du dich scheiden lassen? Du hast ihn unter die Füße getreten, ihm das Gehirn ausgeschlagen, sein Blut in Goldstücken aufgefangen. Ich mich scheiden lassen? Läßt man sich scheiden, wenn die Menschen ineinander hineingewachsen und der halbe Mensch mitgeht? Nach dem Revolver langend Gib her.

Lulu Erbarmen!

Schön Ich will dir die Mühe abnehmen.

Lulu reißt sich von ihm los, den Revolver niederhaltend, in entschiedenem selbstbewußten Ton – Wenn sich die Menschen um meinetwillen umgebracht haben, so setzt das meinen Wert nicht herab. – Du hast doch gewußt, weswegen ich dich zum Manne nehme. – Du hattest deine besten Freunde mit mir betrogen, du konntest nicht gut auch noch dich selber mit mir betrügen. – Wenn du mir deinen Lebensabend zum Opfer bringst, so hast du meine ganze Jugend dafür gehabt. Du verstehst dich zehnmal besser als ich darauf, was höher im Wert steht. Ich habe nie in der Welt etwas anderes scheinen wollen, als wofür man mich genommen hat, und man hat mich nie in der Welt für etwas anderes genommen, als ich bin. – Du willst mich dazu zwingen, mir eine Kugel ins Herz zu jagen. Ich bin keine sechzehn Jahre mehr; aber um mir eine Kugel ins Herz zu jagen, dafür bin ich doch noch zu jung!

Schön auf sie eindringend Nieder, Mörderin! Nieder mit dir! In die Knie, Mörderin! Er drängt sie bis vor die Treppe. Die Hand erhebend Nieder – und wage nicht wieder aufzustehen!

Lulu ist in die Knie gesunken.

Schön Bete zu Gott, Mörderin, daß er dir Kraft gibt! Flehe zum Himmel, daß er dir die Kraft dazu verleiht!

Hugenberg unter dem Tisch aufspringend, den Sessel beiseitestoßend Hilfe!

Schön wendet sich gegen Hugenberg, Lulu den Rücken kehrend.

Lulu feuert fünf Schüsse gegen Schön und hört nicht auf, den Revolver abzudrücken.

Schön vornüberstürzend, von Hugenberg aufgefangen, der ihn in den Sessel niederläßt Und – da – ist – noch – einer ...

Lulu auf Schön zustürzend Allbarmherziger ...

Schön Aus meinen Augen! – – – Alwa!

Lulu auf den Knien Der einzige, den ich geliebt!

Schön Dirne! Mörderin! – Alwa! Alwa! – Wasser!

Lulu Wasser; er verdurstet. Füllt ein Glas mit Champagner und setzt es Schön an die Lippen.

Alwa kommt über die Galerie, die Treppe herunter Mein Vater! Um Gottes willen, mein Vater!

Lulu Ich habe ihn erschossen.

Hugenberg Sie ist unschuldig.

Schön zu Alwa Du bist es. Es ist mißglückt.

Alwa will ihn aufheben Du mußt zu Bett. Komm.

Schön Faß mich nicht so an. – Ich verdorre ...

Lulu kommt mit dem Champagnerkelch.

Schön zu Lulu Du bleibst dir gleich. Nachdem er getrunken, zu Alwa Laß sie nicht entkommen. – Du bist der Nächste ...

Alwa zu Hugenberg Helfen Sie mir ihn aufs Bett bringen.

Schön Nein, nein, bitte, nein. Sekt, Mörderin ...

Alwa zu Hugenberg Fassen Sie mit an. Nach links deutend Ins Schlafzimmer. Beide richten Schön empor und führen ihn nach rechts. Lulu bleibt neben dem Tisch, das Glas in der Hand.

Schön stöhnend O Gott, o Gott, o Gott ...

Alwa findet die Tür verschlossen, dreht den Schlüssel und öffnet.

Gräfin Geschwitz tritt heraus.

Schön sich bei ihrem Anblick steif emporrichtend Der Teufel – schlägt rücklings auf den Teppich.

Lulu wirft sich neben ihn, nimmt seinen Kopf auf den Schoß, küßt ihn. Er hat es überstanden. Richtet sich auf, will die Treppe hinan.

Alwa Nicht von der Stelle! –

Geschwitz zu Lulu Ich glaubte, du wärest es.

Lulu sich vor Alwa niederwerfend Du kannst mich nicht dem Gericht ausliefern. Es ist mein Kopf, den man mir abschlägt. Ich habe ihn erschossen, weil er mich erschießen wollte. Ich habe keinen Menschen auf der Welt geliebt als ihn. Alwa, verlang, was du willst. Laß mich nicht der Gerechtigkeit in die Hände fallen. Es ist schade um mich! Ich bin noch jung. Ich will dir treu sein mein Leben lang. Ich will nur dir allein gehören. Sieh mich an, Alwa. – Mensch, sieh mich an! Sieh mich an! Von außen wird an die Tür gepoltert.

Alwa Die Polizei. Geht um zu öffnen.

Hugenberg Ich werde von der Schule gejagt.