Peter Orban
Lachesis

 

Eine Phantasiereise zu dem homöopathischen Mittel LACHESIS
(die Buschmeister-Schlange)

 

Als Carl von Linné gegen Mitte des 18. Jahrhunderts

allen Tieren und Pflanzen neue Namen gab,

zeigte sich sehr schnell,

daß er eine besondere Begabung für dieses Amt

des Namengebens besaß.

Er lauschte geradezu in die Seele

der Tiere und Pflanzen hinein

und wählte so,

als hätte er vom großen Namengeber den Auftrag

dazu erhalten.

So als wäre das Namengeben nicht etwa nur

eine Frage der Klassifizierung,

mit der man die einzelnen Spezies

auseinanderhalten konnte,

sondern als müßten die Namen auch noch

ein zu entschlüsselndes Geheimnis in sich enthalten.

Ein Geheimnis, das tief in die Substanz,

tief in den Geist der Pflanze oder des Tieres hineinragte.

Als er schließlich bei der

brasilianischen Buschmeister- Schlange, oder - wie sie

auch genannt wurde, bei der Surukuku - anlangte,

legte er ihr - neben dem Gattungsnamen -

die Bezeichnung "Lachesis" bei.

Das war nun wirklich eine tiefe Sache.

Dieser Name war zuvor reserviert gewesen

für eine Gestalt aus dem Reich des Mythos.

Und wir werden unser heutiges Heilmittel - Lachesis-,

bestehend aus dem Gift der Buschmeister,

nicht eher verstehen können,

bevor wir nicht ein wenig auf den zu diesem Thema

gehörigen Mythos eingelassen haben.

 

(Trance)

Denn in ihr - in dieser besonderen Schlange -

lebt der Mythos auf eine eigenartige Weise fort.

 

Wir begeben uns also - mit unserem Atem -

tief hinab in das Innere der Zeit.

Tief hinab in das Innere vergangener Tage.

Mit dem Aus und Ein unseres Atems

immer mehr in die Nähe tiefer Seelenregionen.

Sie sind wirklich so tief

- diese Räume im Inneren unserer Seele -

daß nur die wenigsten Menschen sich noch

an sie erinnern können.

Nun, deshalb ist er ja da, der Mythos.

Er, der Mythos selbst, ist die vorstellbar gewordene

Form dieses alten und tiefen Seelenlandes.

 

Und jede alte Kultur sprach in ihren Worten

von diesen alten Gestalten des Inneren.

Die Germanen sprachen von den Nornen,

den Schicksalsgöttinnen.

Die Römer erzählten von den Parzen oder den Fatae,

vom Fatum, das Schicksal.

Und die Griechen, jene strahlenden Menschen,

die noch eine sehr unbefangene Kenntnis von

der menschlichen Seele hatten,

sprachen mit großer Ehrfurcht von den Moiren.

 

Drei waren es - es waren in jeder Kultur drei

- auch wenn sie manchmal zu einer

zusammengezogen und verdichtet wurden.

Drei waren es, die Töchter der Göttin Nyx,

der Göttin der Nacht.

Und sie saßen im Dunkel der Seele.

Und verrichteten dort ihr Amt.

Und sie waren - alle drei - zuständig für

das Schicksal der Menschen.

Für das Schicksal jedes Menschen.

Die erste dieser Frauen, die erste der Töchter der Nacht,

war Klotho.

Klotho ist die Spinnerin.

Sie spinnt den Schicksalsfaden,

der gleichzeitig auch der Lebensfaden ist.

Sie bestimmt mit ihrem Spinnrad,

daß es einen Lebensfaden gibt,

wie dick er ist, wie dünn, wie bunt, wie eintönig,

wie milde, aber auch wie starr.

Und: Sie spinnt ihn bei jedem Menschen anders.

Einem jeden nach seiner Art.

 

Der zweite der Schicksalgöttinnen, ist Lachesis.

Lachesis ist die "Loswerferin".

Sie wirft das Los.

Sie entscheidet zu welcher Seite sich der Faden neigt.

Zur weißen Seite oder zur schwarzen.

Zum Guten oder zum Bösen. Oder zu beidem.

Sie entscheidet also, wie das Schicksal

- dessen Faden Klotho gesponnen hat -

sich gestaltet.

Und sie entscheidet auch darüber,

wie lang dieser Faden sein wird.

Das heißt, sie bemißt seine Länge.

Ist das einmal entschieden so schneidet - am Ende-

Athropos, die dritte Schicksalgöttin, ihn ab.

 

Das ist der Lauf des Schicksals

und Carl von Linné sagt uns nun,

daß das Thema der Buschmeister-Schlange zu tun hat

mit diesem Thema des Schicksals!

 

Der Mensch, jeder Mensch, ist von der Werferin

des Schicksals-Loses,

von der Lachesis,

von derjenigen Göttin, die das Los wirft,

abhängig.

Sein Schicksal liegt in ihrer Hand.

Er könnte sich dem Fluß des Schicksals,

dem großen Strom des Lebens, überantworten.

Und sein Leben fließen lassen.

Oder aber er wirft sich gegen den Strom.

Oder aber er hadert, er streitet gegen die Göttinnen.

Er wehrt sich, er kämpft gegen sein Schicksal an.

Und er fließt nicht mit - sondern

er kämpft gegen den Strom.

Und er merkt gar nicht,

daß er damit nicht gegen sein Schicksal,

nicht gegen die Götter,

sondern eigentlich gegen sich selbst kämpft.

Er will nur das Gute!

Kann aber das Böse nicht ganz lassen!

Er will nur den hellen Sonnenschein,

kann aber die Nacht - mit ihren Göttinnen -

nicht ganz meiden!

Wohin auch immer er sich wendet,

er entfernt sich dabei immer von sich.

Will er nach Rechts -

verliert er das Links.

Will er nach Links -

verliert er das Rechts.

Er ist wie ein Mensch, der durch die Einflüsterung

der Schlange endlich erkannt hat,

was Gut und was Böse ist.

Und jetzt will er dieser verführerischen Stimme folgen,

doch das einzige, was dabei herauskommt,

ist eine Unterdrückung, eine Lähmung seines

in ihm vorhandenen Flusses des Lebens.

 

Die alten Philosophen haben es ihm längst erzählt:

"Pantha rei" - alles fließt.

Der Fluß fließt mal nach rechts, er fließt mal nach Links.

Und du fließt mit.

Es gibt kein Entkommen.

Nein, schreit der Mensch,

nicht nach Links, dort hausen die Gespenster.

Die andere Schlange hat es ihm erzählt:

Links ist das Böse.

Da will ich nicht hin.

Die dunkle linke Seite,

dort liegt das Ungreifbare,

dort liegen die Gefühle,

dort liegt die Nacht.

Dort halten sich die Töchter der Göttin Nyx auf.

Dort liegt das Schicksal.

Dort erfahre ich, daß mein Schicksal ein Strom ist,

unveränderlich, unvorhersehbar, unbegreiflich,

unheimlich!

Und: Von mir nicht zu beeinflussen!

Nein, all meine Kräfte reichen nicht aus,

mein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen!

Das beginnt bei manchen Menschen bereits

bei der Geburt: Die Schlange der Lachesis

in Gestalt der Nabelschnur,

kann sich bereits hier - unausweichlich -

um den Hals winden und dafür sorgen,

daß der Fluß meines Lebens ins Stocken gerät.

Daß ich das Leben für gefährlich halte

und daß ich es auch fürderhin besser zu

vermeiden trachte.

Ja, daß ich schon damals damit begonnen habe,

mich zu vermeiden!

Daß ich angefangen habe, mit Kaffee,

mit Zigaretten, mit Alkohol

und mit vielen anderen Betäubungsmitteln,

die linke Seite meines Lebens auszuschalten.

Meine Gefühle zu unterdrücken.

Meinen Schmerz zu unterdrücken.

Das vermeintlich Böse zu unterdrücken.

Die Nacht zu unterdrücken.

Daß ich mich gelähmt habe,

Aber ich kann die Nacht nicht unterdrücken.

Jeden Tag aufs Neue, wenn die Sonne sich neigt,

kommen ihre Töchter.

Suchen mich heim.

Gott sei dank, merke ich es nicht.

Auch meine Träume habe ich unterdrückt.

Nur morgens, wenn ich aus meiner tiefen Narkose

ein kleines wenig erwache,

merke ich, daß die Nacht schrecklich war.

Ich fühle mich dann elend, zerschlagen.

Überhaupt nicht erfrischt.

Aber auch das dränge ich aus mir heraus.

Will fort davon und werfe mich

mit der ganzen Kraft meiner rechten Seite

dem Tag und dem Vergessen in die Arme.

Will wieder das Richtige, das Rechte,

das Gute, tun.

Und wieder beginnt das ganze Spiel von vorn.

(Pause)

Am Bild der Schlange

kann dir ganz deutlich werden,

was gemeint ist!

 

Stell dir vor, Du wärest eine Schlange

und du bewegtest dich durch dein Leben.

Du hast keine Beine,

die dich durch dein Leben tragen.

Wenn du geradeaus - zu irgendeinem Ziel -

gelangen möchtest - und du hast keine Beine -

dann kannst du nicht nach vorne gehen.

Sondern du mußt dich erst einmal

nach rechts bewegen

- so weit du es ohne Beine vermagst -

und dann - auch wenn es dir unangenehm ist -

mußt du dich nach links bewegen

- so weit du es vermagst.

Und wieder nach rechts -

und wieder nach links.

Aber insgesamt wanderst du dabei nach vorn!

Du schlängelst dich

- zur rechten und zur linken,

jeweils soweit du es vermagst -

und damit gelangst du nach vorn!

In den Fluß des Lebens.

Aber stell dir weiterhin vor,

du wärest eine Schlange - oder auch ein Mensch -

und du willst deine linke Seite vermeiden:

Du schlängelst dich also nach rechts -

und nach rechts -

und nach rechts -

und nach rechts -

und du beschreibst dabei einen Kreis!

Du drehst dich im Kreis.

Du kommst nicht von der Stelle.

Du versuchst, das Schicksal zu vermeiden.

Du versuchst, den Schicksalsgöttinnen aus dem

Weg zu gehen.

Versuchst, eine Beziehung mit ihnen zu umgehen.

Und du merkst nicht, daß du dabei dein

eigenes Leben zu umgehen versuchst.

Du möchtest im großen Strom des Lebens

eben nicht getragen werden

von den Wassern der Seele.

Du möchtest dich nicht dem Fluß überantworten.

Und mit ihm fließen,

sondern du möchtest auf einer Stelle des Flusses

stehenbleiben und im Kreis schwimmen.

 

Drehe dich jetzt aus deiner Position der

Entspannung auf den Bauch und lege

deine Hände locker an die Seiten.

 

Und du atmest tief ein und tief aus,

und dein Atem aktiviert lange verborgene Areale

deines Inneren.

Insbesondere atmest du in den Reptiliengehirn

hinein.

Tief ein und aus.

Und immer mehr spürst du,

wie mit jedem Atemzug,

dein Körper in ganz leichte Bewegungen verfällt,

zusammenziehend und streckend,

nach rechts und nach links,

mit jedem Atemzug deutlicher.

Eine alte Erbschaft, die Erbschaft der Schlange,

wird in dir - ganz leicht, ganz milde - wach.

Und der Einatemstrom führt zu einer leichten

Bewegung auf der einen Seite,

und der Ausatemstrom

führt zu einer leichten Bewegung

auf der anderen Seite.

Rechts und Links.

Ohne Unterschiede. Ohne Bewertung, ohne Angst.

Die linke Seite führt dich in die Nacht.

Die rechte Seite führt dich in den Tag.

Ganz sanft - kaum merklich.

Du wirst immer mehr zur Schlange.

Und du spürst, wie wichtig es ist,

deine beiden Seiten für deinen Weg

zur Verfügung zu haben.

Du wirst zur Schlange.

Du siehst die rechte Seite deines Weges,

deines Lebensweges.

Und du siehst die linke Seite deines Weges -

deines Lebensweges.

Und je mehr du dich bewegst,

je mehr du schlängelst,

je mehr du atmest,

desto mehr merkst du,

daß du lebst!

Daß du dich im großen Strom

deines Lebens befindest.

(Pause)

Ja, auch deine Umgebung verändert sich.

Du liegst nicht mehr auf deiner Unterlage -

oder wie eine Schlange im Grase,

nein, du schwimmst,

du schwimmst im großen Wasser,

im großen Strom deines Lebens.

Ein und Aus,

und immer noch bist du eine Schlange,

machst deine Bewegungen,

nach rechts, nach links.

 

Aber du schwimmst nicht,

wie schon so oft in deinem Leben,

gegen den Strom,

nein, du schwimmst mit dem Strom.

 

Und dabei siehst du sogar jene Stellen, jene Orte

deines Lebens, wo du bisher gegen den Strom

geschwommen bist.

Jetzt siehst du diese Stellen,

sie ziehen wie kleine Stromschnellen an dir

vorbei, jene Orte, an denen der Fluß deines

Lebens vorher aufgehalten war.

Jene Orte, an denen der Fluß deines Lebens

unterbrochen war.

(Pause)

Aber du atmest weiter, du hälst dich nicht auf:

Und jetzt merkst du:

Deine Bewegungen und die

Bewegungen des Stromes,

gehören zusammen.

Du unterstützt den Strom,

du schmiegst dich seiner Richtung an,

Du wirst eins mit dem Strom.

Dein Atem zeigt es dir,

Ein und Aus,

es gibt keinen Unterschied mehr zwischen dir

und dem Strom deines Lebens.

Du bist - nach rechts und nach links -

im Strom des Lebens.

Und dann merkst du es genau:

Du bist der Strom!

 

Nicht du bist im Strom des Lebens

sondern der Strom des Lebens ist in dir!

 

Jetzt fließt du!

 

Und jetzt kommst du langsam wieder zurück in die Welt des Tages.

 

Du bist jetzt wieder ganz WACH!