Marchello

Marchello ist tot.

Es war für mich eine Ehre, ihn gekannt zu haben.

Es war eine noch viel größere Ehre, von ihm geliebt worden zu sein.

Nachts kämpften wir beide sehr oft, wem der größere Platz auf dem gemeinsamen Kissen zukam.
(Ich fand das war mein Kissen. Er hatte eine andere Vorstellung.) Er gewann immer und ich räumte das Feld. Und manchmal wurde ich nachts wach und er lag mit seiner schnurrenden Nase an der meinen, da schlich sich ein Gefühl von Wärme, Glück und Liebe aus meinem Inneren und hüllte dieses kleine Geschöpf ganz ein, das so tat als würde es schlafen.

Seit etwa 15 Jahren kam er in jede meiner Aufstellungs- und Ausbildungsgruppen. Er betrat den Raum, schaute sich um und bewegte sich zielstrebig auf jenen Teilnehmer zu, dessen Seele in einem großen Kummer war. Auf den Schoß dieses Menschen legte er sich und wenn der Betreffende lag, legte er sich der Länge nach eng an dessen Seite. Eine Seminarteilnehmerin prägte von ihm das Wort “Co-Therapeut” und das war er in der Tat. Ich weiß, es gibt viele Kollegen, die genau wissen: Eine Katze im Therapieraum, das geht ja nun gar nicht. Sie haben das so gelernt, genau wie ich auch. Aber ein Therapeutenleben geht seine eigenen Wege. Marchello hat mir (fast) beigebracht: Ein Therapieraum ohne Katze, das geht ja nun gar nicht. Ja, natürlich, ich übertreibe jetzt. Weil mir das Herz vor Traurigkeit über läuft. Und weil dieses weiß gescheckte Wesen mir so viel gegeben hat.

Eines jedoch ragt heraus und wird ewig in meiner Seele weiter leben: Marchello hat mir gezeigt, dass auch ein Tier einen Menschen ehren und adeln kann. Marchello hat das mit mir getan und ich weiß definitiv, dass er es mit Hunderten von Seminarteilnehmer im österreichischen Berndorf ebenfalls getan hat. Ich sehe es noch vor mir: Die Tür zum Gruppenraum öffnete sich wie von Geisterhand (es war Eveline, die ihn wartend und den Türknauf betrachtend vor der Tür antraf), er betrat den Raum, alle schwiegen, weil sie wussten, was jetzt kam, ein orientierender Blick, dann gezielt auf einen Teilnehmer zuschreiten und auf seinen Schoß springen, war eine Bewegung. Ein kurzer Blick zu mir, der sagen wollte: “Du kannst jetzt anfangen!” Und wie sich dann unmerklich ein leises Lächeln in die Züge des ausgewählten Klienten schlich, und ebenso auf die Zügen aller anderen, die dabei saßen, ein lächelndes Einverständnis.

Ich bin jetzt schon traurig, wenn ich den Raum im Oktober wieder betreten werde. Ich hoffe, seine Urne wird für einen Moment für alle anwesend sein.

Marchello hat mich buchstäblich adoptiert! Er hat in mir die Zugehörigkeit und Liebe zu der Familie Muhr so sehr beschleunigt, dass auch sie mich adoptierten konnte.

Eveline, Gernot, Iris, Luisa, Nellie und das Haus Muhr (ein eigenes Wesen!), ich empfinde gerade ein sehr glückliche Traurigkeit und eine große Dankbarkeit, ihn gekannt zu haben.

Den “Italiener” (so nannte ich ihn oft).
Peter Orban