Kore

        

02 KORE (Das Mädchen) - Teil I

Im Mythos ist KORE die Tochter der Fruchtbarkeitsgöttin DEMETER. Und ihre Geschichte beginnt damit, dass der Unterweltgott HADES (also ein älterer Mann, siehe Archetypus Nr. 8: Der Verführer) sich in ihre jungfräuliche Anmutung verliebt.

Mit dieser Gestalt der KORE betritt das verborgen Sinnliche (beim Mädchen) und das offenkundig Sexuelle (beim Jungen) jene Bühne, auf der die zartesten Romanzen ebenso wie die tödlichen Liebesdramen abgewickelt werden. Letztlich geht es dabei um die Frage: Wie betörend bin ich wirklich?

Die Eigenschaften und Attribute die zu diesem Archetypus der KORE gehören, lauten:
– die (körperliche) Sinnlichkeit –
– die Attraktivität –
– der “Schatten zarter Mädchenblüte” (Proust) –
– der Wert an sich –
– das Wertvoll-Sein-Müssen –
– das Attraktiv-Sein-Müssen –
– die (körperliche) Sinnlichkeit als Zahlungsmittel –
– die Wichtigkeit des Eigentums –
– das Geld, der Besitz –
– überhaupt: das Materielle –
– das Haben-Wollen –
– die Eifersucht –
– das nicht mehr Loslassen –
– die Sicherheit –
– der Geiz –
– das Aufsteigen-Müssen –
– der an Materielles gebundene Status –
– das Sammeln –
– die kostbaren Dinge –
– die berühmten Label –
– nicht klug aber schlau –
– die Kopflosigkeit –
– die Prostitution –
– die Geliebte ­–
– das Geliebte –

So, wie der erste Archetypus, der ZERSTÖRER, ausgesprochen auf der männlichen Seite der Geschlechtspolarität sich aufhält, so ist KORE vollständig zu den weiblichen Archetypen zu rechnen, und dennoch stellt sie eine Sonderform dar.

Neben der mütterlich-weiblichen ANIMA, die die voll erblühte weibliche Frucht hervorgebracht hat, ist die KORE erst auf dem Weg zur Blüte, also unterwegs. Es ist nämlich die Wanderschaft vom Kind zur Frau, die durch jenes verworrene und verwirrende Land führt, das in der Bezeichnung “Pubertät” nur unzulänglich beschriftet ist.

Den Weg der KORE vom Kind zur Frau finden wir exemplarisch in der Figur des Gretchens in Goethes “Faust” mit all seinen Höhen und Tiefen literarisch aufgestellt. Ganz ebenso tritt KORE auch noch einmal direkt in Goethes Leben hinein, als der 74jährige Dichter in Marienbad um die Hand der 19jährigen Ulrike von Levetzow anhält. Hier bestätigt sich, was C. G. Jung über die “zwanzigjährige rothaarige Schauspielerin” und den alten siebzigjährigen Gelehrten behauptet: “...dann – wissen wir – haben sich die Götter wieder ein Opfer geholt.”

Wen diese Geschichte berührt, der lese, wie ein anderer alter Mann einen wehmütigen und wunderbaren Roman über Goethe und Levetzow schreibt, wohl um seine eigene Wehmut über eine derartige “Rothaarige” in seinem Leben zu bearbeiten. (Martin Walser: Ein liebender Mann, Reinbek 2008 – da ist Walser 81 Jahre alt).

Wie aber muss man sich diese Kraft des Angezogen-Werdens von einem dieserart “jungen Blut” (Goethe) denken? Was macht die Attraktivität aus, was bildet den Magnetismus? Sowohl bei den ganz jungen (siehe Romeo), als auch bei den Älteren (Dante und Beatrice), als auch bei uns “alten Knackern”?

Ist es allein der junge, unberührte Leib und das bisher ungezähmte Leben? Ist es der Versuch einer Frischzellenkur? Ist es die homöopathische (also die geistige) Behandlung gegen die morschen Knochen oder letztlich der Aufschub gegen den Tod, wenn auch nur für eine kleine Zeit? Wir wissen es nicht!

KORE (Das Mädchen) - Teil II

Die wirkliche Größe der Archetypen erweist sich darin, dass diese sich nicht (von niemandem) in die Karten schauen lassen. Alles Weitere ist Spekulation. Theorie. Vorstellung. Ideologie. Mehr nicht. Was wir jedoch wissen, ist, dass der Archetypus wieder und wieder die Kraft hat, uns zu erschüttern.

Wann aber stellen wir den Archetypen der KORE auf seinen Stuhl? Bei welcher Fragestellung? Nun, versuchen wir die Frage einmal von der anderen Seite her aufzuziehen: Für welches Thema ist die KORE ein Ansprechpartner bzw. welche Themen verwaltet sie in meinem Inneren - gleichsam hinterrücks? So wie der Zerstörer als erstes das große Gebiet des Kampfes zu seinem Anliegen erklärt hat (also die Frage "kämpfe ich?" oder "kämpfe ich nicht?", denn auch das Nicht-Kämpfen unterliegt seinem Herrschaftsbereich), so verwaltet die Kore als erstes deinen "Magnetismus", also dein Anziehungsvermögen.

Physiker würden sagen, es ginge um deine GAUSS-Zahl, denn der Wert der Magnetkraft von Körpern wird zu Ehren des Physikers Carl Friedrich Gauß in GAUSS gemessen.
Dabei ist es doch klar, dass wir hier die seelische Anziehung meinen, die von zwei Menschen ausgeht, aber mitunter bezieht sich diese Kraft auch auf das rein körperliche. (siehe den vorherigen Archetypus).

Ein denkbares Aufstellungsanliegen wäre z. B. die Frage einer jungen Frau (das gilt für einen jungen Mann gleichermaßen): "Wie kommt es, dass ich mich schon seit einigen Jahren für einen anderen Menschen - also für einen Partner  - verfügbar mache, ich mich z.B. von allen früheren Partnern oder auch Vater und Mutter mit Liebe verabschiedet habe, wie kommt es, dass trotzdem kein anderer Mensch bei mir andockt?"

Ein weiterer Grund für die Aufstellung dieses Archetypen könnte sein, dass ich mich entweder auf der Oberfläche oder in der Tiefe so wenig attraktiv finde, dass allein aus diesem Glauben heraus mein eingesetzter Energieanteil für eine aufkommende Partnerschaft schnell gegen Null geht. Groucho Marx (einer der Marx Brothers) hat einmal gesagt: "Ich mag keinem Club angehören, der mich als Mitglied aufnimmt". Manche Menschen variieren dieses Thema zu: "Ein Mensch, der sich in mich verlieben kann, mit dem kann ich mich schon deshalb nicht einlassen, weil er ein ausgemachter Trottel sein muss."

Auch hier stellt sich natürlich als erstes die Frage, wem - der ebenfalls partnerlos geblieben ist - bin ich treu. Erst wenn das überprüft ist, kann der Archetypus heraufbeschworen werden.

Etwas anderes darf nicht übersehen werden: Gerade bei den Anliegen, die an die KORE gestellt werden, ist es angebracht, etwas vorsichtiger zu sein. Mitunter kommen Menschen in eine Aufstellung, die sind mit dem, was das Schicksal für sie bereit hält, partout nicht einverstanden. Sie glauben, ein Archetypus wäre eine Art Wundertüte oder ein Jackpot, aus dessen Hut für ihn ein weißes Kaninchen gezogen wird und dann wäre alles gut.

Allein, wenn der Therapeut spürt, dass eine derartige "Wunderfrage" im Hintergrund liegt, muss er ihr widerstehen und sie ggf. in eine neue Fragestellung ummünzen.

Es ist denkwürdig, was die Griechen dazu meinten: die Götter denken nicht im Traum daran, den Wünschen der Menschen auf den Leim zu gehen. Wie aber machen es die Götter, wenn sie sich den hochverdienten siebzigjährigen Gelehrten zum Opfer holen (wie Jung es beschreibt), welches Schicksal halten sie für den alten Zausel bereit? Nun, sie machen ihn zum Esel! Ein Schicksal, an dem Goethe (nur dank der Weigerung der neunzehnjährigen Ulrike) haarscharf vorbei geschrammt ist.

---> Vorschau auf den Archetypus »Der Rover«

  

Der "Rover" (nicht mit Großbuchstaben!) ist eine englische Bezeichnung für einen Menschen, der unterwegs ist und der nur ganz selten zur Ruhe kommt. Die englische Sprache begreift ihn als Mischung aus einem "Wanderer" und "jemandem, der herum- oder umherschweift".

Diese Dimension umfasst das deutsche Wandern nicht. In einem seiner Lieder ("Der Wilde") besingt Helmut Qualtinger einen Motorradfahrer: "Ich bin der Wilde mit meiner Maschin’ ". Die Zeilen, die dem Rover sehr nahe kommen, lauten: "Ich hab’ zwar ka Ahnung, wo ich hinfoahr, aber dafür bin i’ schneller durt!"

Mehr darüber am Do. 07.06.2012