Der Animus

    

05 Der Animus - Teil I

Natürlich teilt sich die ANIMA diesen herausragenden Platz, diese Größe der inneren Rollen, mit ihrem männlichen Pendant, dem ANIMUS. Ist sie, die ANIMA, die weibliche (nicht die mädchenhafte) Seite im grossen Konzert der Weltgeschichte, so benötigt sie, um zu ihrem Ziel zu gelangen, die männlichen Zutaten. Als da sind: das Erobertwerden und die Befruchtung. (Ja, Mutter zu werden, ist eines ihrer größten Ziele, ob uns das gefällt oder nicht!)

Auch wenn es hier profan klingt, dieses Geschehen bringt zwei männliche Grundvoraussetzungen ins Spiel. Die erste: Der erwählte Mann benötigt die “Kraft der Erektion”, damit er seinen Samen an die Frau heranzubringen vermag. Die Möglichkeit dieser Leistung hat er bereits durch unseren ersten Archetypus als “der Zerstörer” entwicklungsgeschichtlich sehr früh in die Wiege gelegt bekommen. Die zweite: Der Samen muss fruchtbar sein. Es reicht nicht aus, ihn nur herausschleudern zu können. Er muss auch die Kraft, Leben zu zeugen, in sich tragen.

Das ist jenes Neue, das allein dem Archetypus des ANIMUS aufgebürdet wird. Und so ist es – für die meisten Männer – so eminent wichtig, dass durch ihren Schoß das Geschlecht der Menschen (natürlich erst einmal das der eigenen Ahnenreihe) fortgesetzt werden kann. Nein, ohne den ANIMUS keine Befruchtung.

Schauen wir uns zuerst an, was diese Gestalt in unserem Inneren noch zu bieten und zu verantworten hat. Eigenschaften und Attribute des ANIMUS:
– das Reich der Männer  –
– die Macht –
– die Kraft –
– die Karriere –
– die (sinnliche) Sexualität –
– der Herrscher –
– der König –
– das Leben –
– die Verliebtheit –
– das ganz Besondere –
– das Geben –
– das, was wirklich zählt –
– der Banker –
– der Zwang zum Oben –
(– das Messner-Syndrom  –)
– das Herrschen als solches –
– die Souveränität –
– der Souverän –
– er braucht Untertanen –
– und Akklamationen –
– der Rolls Royce –

Mit der Figur des Animus betritt das reine, ziemlich unverstellte EGO die Bühne des Lebens, und hat nur eine Absicht: Sich zu behaupten! Sich als Sieger auszuzeichnen, gegen den Widerstand aller anderen, die ebenfalls gern Sieger wären. Als Portrait finden wir abgebildet Heinrich VIII und damit den reinen, – nicht versteckten Machtmenschen, dessen Wahlspruch wir in herausragender Form in dem Film “Der Highlander” finden, nämlich: “Es kann nur einen geben!”

(Oder wie mein privater Guru ALF zu sagen pflegt: “Paragraph eins, alles ist meins!”). Vor einiger Zeit war ich Zeuge einer wunderschönen Fehlleistung. Ein Vorgesetzter wollte zu einem Untergebenen sagen: “Ich erwarte von einem Menschen, der für mich arbeitet, dass er loyal ist!” Er sagte aber: “Ich erwarte von einem Menschen, der für mich arbeitet, dass er royal ist!”

Und royal kann tatsächlich nur jemand sein, der meine Königswürde anerkennt. Es ist eine uralte Polarität: Entweder ich bin “vorgesetzt” oder ich bin “untergeben”. Ein drittes gibt es nicht. Das ist das Spiel, das in ungezählten Variationen vom ANIMUS aufgeführt wird. Es ist ja immer die Frage: Bin ich Alpha? Bin ich derjenige, der die Richtlinien der Politik bestimmt?

Einer muss Kanzler sein. Der Animus beherrscht das “Reich der Männer”.  Das hat er immer getan und wird es wohl auch in den nächsten Jahrtausenden tun. (Weil es zum Menschsein gehört?) Und der Animus bildet unter uns Männern Seilschaften. Manche behaupten Freundschaften. Aber das ist Augenauswischerei. Politiker haben (auf ihrem Feld!) keine Freunde. Fußballer auch nicht! Gerade liegt ein Magazin in den Kiosken, es handelt von Fußballern und heißt “Elf Freunde”. Da beginnt meine innere Monika herzlich zu kichern.

Jede Freundschaft – jede – wird jederzeit für die Karriere geopfert. Das ist nun wahrlich kein Makel, sondern es gehört einfach zum Archetypus. Sehen wir es einmal so: Das Wort “Seilschaft” stammt aus der Bergwelt. Und jeder Bergsteiger weiß: Bei einem moderaten Berg komme ich allein auf die Spitze. Spätestens ab dem 4000er (roundabout) brauche ich eine Seilschaft. Ich benötige also andere, die mir beim Aufstieg helfen. Warum aber machen die anderen das? Nun, jedes Mitglied meiner Seilschaft weiß, dass seine Loyalität zu mir ihn ebenfalls in die Nähe des Gipfels bringt. Sprich: In die Nähe der Spitze.

Das Seil bringt mich also rechts oder links neben Jesus, Petrus oder Obama oder wie die Alphas in meinem Leben so heißen mögen. Das ist die Aufgabe, die der ANIMUS (in seiner und meiner jeweiligen Welt) durchzuführen gezwungen ist. Dafür zahle ich meinen Preis. Ob er dazu körperlich ein Mann oder eine Frau ist, ist für das Ziel vollständig irrelevant.

Teil II

Was wir heute durch die Medien wahrnehmen können, z.B. über die europäischen Politiker, zeigt nicht etwa die Zunahme von zügellosen Egospielen - als gäbe es heute mehr davon als in den seligen Zeiten Adenauers - es zeigt nur die Unverblümtheit, mit der diese Spiele, die immer da waren, mitten in der Öffentlichkeit zelebriert werden.  (Noch zu Zeiten Kennedys wäre es für Journalisten undenkbar gewesen, seine diversen Geliebten auch nur zu erwähnen, heute bekäme jede dieser Geliebten bei Bekanntwerden  eine eigene Talkshow.)

Strauss-Kahn und Berlusconi sind nicht etwa die Auswüchse eines ungebremsten Machtstrebens, sondern nur das Nachlassen des Versteckspielens. Politiker und andere Macht- und d. h. Animus-Menschen haben schon immer diese Archetypus mehr oder weniger ungeniert Gassi geführt beim Ausleben ihrer beiden liebsten Hobbies, als da sind "Macht" und "Frauen". Oder einfacher: Der Animus will König sein und herrschen, alles andere findet sich dann schon.

Die italienische Männerwelt (aber nicht nur die, und Ausnahmen sind nicht die Regel) steht dem Phänomen Berlusconi nicht etwa kritisch gegenüber, als mache er etwas falsch, sondern sie sind eher unzufrieden über sich, im Sinne von: "Warum bin ich eigentlich nicht Politiker geworden?" Der Neid der europäischen Männer tritt durch solche Charaktere eher offener, also ehrlicher, zutage.

Bei welchem Anliegen eines Klienten könnten wir also an den Archetypus des ANIMUS denken?
a)
Zuerst einmal in all jenen Momenten, in denen ein Mann die ärztliche Diagnose erhält, dass sein Samen nicht fruchtbar sei und er eine Frau allein aus diesem Grund nicht zu schwängern in der Lage sei. In gleicher Weise stellt sich das Thema für eine Frau dar, wenn sie erfährt, dass sie nicht (be-)fruchtbar sei. (Wir dürfen das nicht verwechseln mit dem anderen Thema, dass ein Mann oder eine Frau Partner haben, die generell keine Kinder haben wollen. Oder: Dass sowohl ein Mann als auch eine Frau keine Partnerschaften eingehen wollten oder konnten. In diesen Fällen ist ein anderer Archetypus am Werk.)

b) In all jenen Fällen, in denen ein Mann das Gefühl hat, seine Männlichkeit komme nicht zum Zuge. Er habe zum Beispiel keine Chance auf einen Alpha-Status, weil seine Frau (Freundin etc.) diesen Status bereits habe - oder alle seine Arbeitskollegen ihn bereits locker überholt hätten.

c) Manchmal geht es - in Fortsetzung von Punkt b) - auch nur darum, zu akzeptieren, dass in einer Beziehung oder Ehe nicht zwei Alphas existieren können. Mitunter hilft der ANIMUS dabei, dem Klienten verständlich zu machen, das auch BETA ein großer griechischer Buchstabe ist. 

Ein kleines Bild noch für DIE ZWEITE GEIGE: In dem wunderschönen Film: "Das Geheimnis der göttlichen YaYa-Schwestern" ergibt es sich, dass eine Frau ihr ganzes Leben lang um ihren im Krieg gefallen Verlobten, den Flieger Jack getrauert hat. Nach dem Krieg heiratete sie dennoch einen anderen und hat mit ihm drei Kinder. Eines der Kinder, die heute erwachsene  Siddalee, fragt eine der besten Freundinnen ihrer damaligen Mutter (die diese alten Geschichten kennt) wie ihr Vater diesen toten Nebenbuhler verkraftet hat: "Was ist mit Daddy? War sie je in ihn verliebt? Oder war er nur für die groben Arbeiten zuständig?" Die Frau antwortet: "Dein Daddy kannte Jack (den Flieger) und er wusste, er würde ihn niemals ersetzen können. Aber er sagte sich, er würde lieber die zweite Geige spielen, als überhaupt nicht im Orchester zu sitzen."

 

---> Vorschau auf den Archetypus »Der Regulator«
  

  

Der Leser hat schon lange gemerkt, dem Autor dieser Zeilen täte - jedenfalls was die Beschreibung des ANIMUS anbelangt - ein heftiger Dämpfer sehr gut und die meisten derartigen Aufgaben übernimmt im Chor der Archetypen der "Regulator".

Wo immer jemand gerade über den einen oder den anderen Strang schlägt, steht ein innerer "Buchhalter" parat, Soll und Haben wieder in ein rechtes Gleichgewicht zurück zu bringen, jedes Ungleichgewicht zu ahnden und damit jede Einseitigkeit, die das Gleichgewicht der Seele zu unterbrechen vermag, zu verhindern.

So wie die beiden vorherigen Archetypen ANIMA und ANIMUS die beiden großen Feldlager "Weiblichkeit" und "Männlichkeit" zu vertreten hatten, und so wie jedes dieser Lager an der eigenen Einseitigkeit zu scheitern droht, so haben wir im "Regulator" jemanden, der - wie vorher schon der Rover - jede geschlechtliche Unausgeglichenheit fürchtet und also bekämpft.

Mehr darüber am 29.06.2012