Der Regulator
06 Der Regulator - Teil I
Der Leser hat schon lange gemerkt, dem Autor dieser Zeilen täte – jedenfalls was die Beschreibung des ANIMUS anbelangt – ein heftiger Dämpfer sehr gut und die meisten derartigen Aufgaben übernimmt im Chor der Archetypen der "Regulator". Wo immer jemand gerade über den einen oder den anderen Strang schlägt, steht ein innerer "Buchhalter" parat, Soll und Haben wieder in ein rechtes Gleichgewicht zurück zu bringen, jedes Ungleichgewicht zu ahnden und damit jede Einseitigkeit, die das Gleichgewicht der Seele zu unterbrechen vermag, zu verhindern.
So wie die beiden vorherigen Archetypen ANIMA und ANIMUS die beiden großen Feldlager "Weiblichkeit" und "Männlichkeit" zu vertreten hatten, und so wie jedes dieser Lager an der eigenen Einseitigkeit zu scheitern droht, so haben wir im "Regulator" jemanden, der – wie vorher schon der Rover – jede geschlechtliche Unausgeglichenheit fürchtet und also bekämpft.
Der sich deshalb auch keine eigene Geschlechtlichkeit leisten kann, zumindest kann er über dieses Hilfsmittel keine eigene Identität entwickeln. Betrachten wir als erstes, welche Bilder und Stichworte über diesen Archetypus im Umlauf sind.
Eigenschaften und Attribute:
- der, der alles ausgleichen muss
- einer muss es in Ordnung bringen
- die Anpassung
- das Gefühl von Schuld
- das Gefühl, es war nicht genug
- die Kontrolle
- das Kleinliche
- das Kleinkarierte
- "Bescheidenheit"
- "Demut"
- "Bedürfnislosigkeit"
- die Vernunft
- der Verstand
- die Ratio
- die Strategie
- das Helfer-Syndrom
- die Aussteuerung von männlich und weiblich
- der Ausgleich von Yin und Yang
- Selbstlosigkeit
- Motto: Ich war es nicht, aber ich weiss wer es war!
Die allgemeine Formel für diesen Archetypus lautet: Es muss etwas "in Ordnung" gebracht werden. Aber wir müssen das als Metapher sehen. (Siehe »Der undankbare Job»). Der Regulator muss also das, was einst gut war, jetzt aber nicht mehr gut ist, wieder in den alten Zustand des Gutseins zurück versetzen. Damit aber fügt er dem Ganzen nicht etwa ein Neues hinzu, er macht es nicht besser, oder leichter oder sonst wie zu einer neuen Augenweide.
Wenn er ein Übriges tun will, dann gibt er den Besitzern der Maschine noch ein paar Tipps, wie sie in Zukunft das Gutsein der Maschine länger bewahren können. (Aber natürlich nicht zu lange, er würde sich sonst selbst überflüssig machen!).
Er ist also mehr oder weniger das Dienstmädchen, dass den abgegessenen Tisch nach einem opulenten Festmahl (an dem alle – Animus und Anima – ihr Vergnügen hatten – außer ihm, denn er war nicht eingeladen) später, wenn alle gegangen sind, aufräumt. Die Reste entfernt, alles Geschirr spült und etwas später noch die Böden aufwischt.
Gibt es jetzt darüber eine eigene Befriedigung, eine besondere Auszeichnung? Fühlt sich der Regulator kreativ? Freut sich jetzt jeder, der beim Festmahl war? Die Wahrheit ist: Es merkt niemand! Es nimmt niemand wahr, dass es ihn überhaupt gibt.
Die Heinzelmännchen zu Köln sind nicht etwa deshalb eines Tages nicht mehr zur Arbeit erschienen, weil eine übermütige Hausfrau endlich wissen wollte, wer die ganze Hausarbeit macht. Wer also diese für die Hausfrau schönen Dinge (putzen, kochen, flicken, reparieren) des Nachts unaufgefordert erledigt. Sie sind deshalb niemals mehr wiedergekommen, weil sie für so selbstverständlich erachtet worden sind, dass keiner mehr gemerkt hat, was sie Besonderes geleistet haben.
Aus diesem Heinzelmännchen-Helfer-Syndrom ergibt sich noch ein weiteres Regulator-Geschehen: Ebenso wie die Heinzelmännchen nur besonders gute und notwendige und erleichternde Arbeit (für die anderen) vollführten, so ist auch der Regulator-Archetypus ein Ausbund des Guten. Es ist jener Typus, von dem Bert Hellinger die bereits klassischen Worte formuliert hat: "Manche Menschen kann man nicht davon abhalten, die Brandfackel des Guten in die Heuhaufen der Welt zu werfen!"
Die nächste Frage wäre ja sofort: Darf man also nicht gut sein? Selbstverständlich darf man gut sein! Und zwar sooft es geht. Sooft man es kann! Aber nicht immer – und nicht um jeden Preis!
Teil II
Um es auf einen Punkt zu bringen: Wer mit dem Archetypen des Regulators – und der will und muss gut sein, das ist sein Geschäft – wer also mit diesem Archetypen ein Gutmensch werden will, schafft das nur, indem er, der Gutmensch, dafür sorgen muss (und zwar Tag und Nacht), dass die anderen Archetypen aus ihren Flaschen (pardon, Amphoren) nicht zum Vorschein kommen, nicht entweichen, nicht ausbrechen werden. Denn die meisten der anderen Archetypen haben mit dem Gutsein so gut wie gar nichts am Hut, sie haben andere Geschäfte zu erledigen.
Jetzt muss der Gutmensch, der Regulator, Wache halten darüber, dass die Pfropfen auf den anderen Amphoren nicht locker werden oder gar die Geister (Archetypen sind Geister) aus den Flaschen entschlüpfen. Dieses Aufpassen ist – mit Verlaub – Stress pur!
Und jeder Stress heutzutage ist nur eine Spielart der alten holländischen Metapher des Deichwächters. Sein immer wiederkehrender Alptraum besteht darin, dass der Deich porös wird, aber das Wasser darf auf keinen Fall über das Land kommen. Und so steckt der Deichwärter in seinem Traum, alle Finger und Zehen in die immer neu entstehenden Löcher, bis keine mehr frei sind und der Deich bricht.
Hat man diese Metapher einmal verstanden, so ergeben sich von ganz alleine jene Lebenssituationen, in denen dieser Archetypus in eine Aufstellung hinein genommen werden sollte:
a) Der Klient droht an seine Leistungsgrenzen zu stoßen. Er findet keine Ruhe mehr, sein Schlaf ist sehr gestört, und er wirkt fahrig oder die Kiste scheint verfahren. Es ist dies noch die mildere Form, die in der Regel einem Burn-Out vorausgeht. Letztlich geht es darum, dass man glaubt, seinen eigenen Ansprüchen nicht mehr gerecht werden zu können.
b) Damit einhergehen kann eine Form des "drückenden" schlechten Gewissens, als habe man nicht genügend getan oder als habe man etwas falsch gemacht und jetzt droht etwas (oft Schicksalhaftes) zu passieren, weil man den Anforderungen nicht gerecht geworden ist.
c) Alle Geschehnisse, die mit einem individuellen Gewissen zu tun haben (im Gegensatz zum überpersönlichen Gewissen beim Archetyp Nr. 10), das "schlägt" und dessen Schläge mich fertig machen. Es ist das sprichwörtliche "Ich muss es auf dem Gehsteig schaffen, mit meinen Schuhen nicht die Linien zwischen Platten zu berühren, sonst geschieht ..."
d) Man kann am Arbeitsplatz oder in der Familie nicht NEIN sagen, wenn ein Gegenüber mir noch mehr Dinge auf die Schulter laden möchte. Überhaupt ist das NEIN-Sagen kein Attribut, das einem Gutmenschen geziemt.
»Der undankbare Job«
Metapher: Stellen wir uns vor, das Männliche schaut sich in der Welt des Weiblichen um und entdeckt, dass das Weibliche im Durchschnitt jeden Tag sechs Stunden damit zubringt, für 8 Personen in seiner Waschküche vor seinem Waschzuber sich die Hände am Waschbrett blutig zu schrubbeln. Und das ginge dem Männlichen so nahe, dass er die nächsten 5 Jahre damit zubringt, eine Maschine zu erfinden, die es vorher so nicht gab: Die Waschmaschine! Er baut sie für seine Frau, später für die Frauen seiner Umgebung. Er errichtet eine Fabrik und ist zwanzig Jahre später ein schwerreicher Industrieller.
Wir hätten jetzt auf der einen Seite das Männliche, nämlich den Mann als Baumeister einer Waschmaschine. Wir hätten auf der anderen Seite das Weibliche, nämlich dass durch diese Maschine, mit der Wäsche gewaschen wird, sich die weibliche Arbeitszeit von sechs Stunden täglich auf eine Stunde reduziert. Animus und Anima haben beide eine große Freude und eine große Erleichterung in ihren täglichen Betätigungen.
Wo bitteschön tritt jetzt der Regulator auf den Plan? Bisher nicht! Nun, er wird jedoch sofort herbei gerufen, wenn die Maschine nicht funktioniert. Wenn sie kaputt ist. Er (der sie nicht gebaut hat, dem sie die Arbeit nicht erleichtert, der sie auch nicht kaputt gemacht hat) muss sie wieder heil machen.
---> Vorschau auf den Archetypus »Der Schatten«
Der Name "Schatten" ist bei den meisten Menschen hoch in einer Wertung angesiedelt, so als wäre er eine Art Personifizierung des Bösen. Dabei handelt es sich nur um einen Pol, der zu mir, der ich ebenfalls ein Pol bin, einen Gegenpol bildet. Und ich, der für ihn einen Gegenpol bildet, für mich ebenfalls nur einen Pol darstelle.
Nehmen wir einen Beispiel aus dem normalen Leben: Angenommen ich wäre ein Mann und meine ganze Liebe gelte dem Fußball. Und jetzt würde mir (als Mann) aus dem Außen eine Frau entgegen treten, die von Fußball weder etwas versteht, noch etwas wissen will. Sie (die Frau) liest jede Woche drei Bücher von A bis Z, denn das ist ihre Welt. Sie ist Bibliothekarin. (Dass ich in meinem ganzen Leben noch keine drei Bücher gelesen habe, ist ebenso selbstverständlich, wie dass sie noch keine drei Fußballspiele in einem Fußball-Stadion live angeschaut hat.) Damit wäre - von beiden Seiten aus betrachtet - der eine Pol auf seinen anderen Pol getroffen.