Der Heilsbringer

    

12 Der Heilsbringer oder Der Traumtänzer - Teil I

Mit diesem Archetypus sind die Ensemblemitglieder unseres menschlichen Theaterstücks zu einem Abschluss gekommen. Dieser Typus hat sich bereits ein deutliches Stück weit von der Welt der Erscheinungen entfernt.

Also von einer Welt, von der Wittgenstein sagt, sie sei "alles, was der Fall ist", alles also, was "vorliegt", alles, was ein "Faktum" ist, von dieser normalen Welt aus, zielt der "Heilsbringer" (man darf das Wort nie ohne Gänsefüsschen schreiben) in eine total andere Richtung. Dieser Archetypus ist der Botschafter (oder der Hüter) einer "Welt hinter der Welt" oder wie Shakespeare es gesagt hat, er behütet die "Dinge zwischen Himmel und Erde".

Er taucht sporadisch auf und erzählt uns eine Geschichte, die erst einmal niemand glauben kann, weil sie sich den gängigen Kriterien von Ratio, Vernunft oder Verstand einfach nicht zu fügen vermag.

Noch am einfachsten zu verstehen ist dieser Typus, wenn wir ihn als "Traum" bezeichnen. Und zwar sowohl als jener Traum, der des Nachts vor unserem inneren Auge abläuft, als auch als jener Traum, zu dem wir uns voller Sehnsucht hingezogen fühlen, während wir mit geöffneten Augen durch die reale Welt spazieren, aber eigentlich jene Lotto-Millionen vor unseren inneren Augen haben, und wir mit Sicherheit wissen, dass uns nur diese Summe Geldes aus unserer Misere heraushelfen würde.

Der "Lottogewinn" ist für die einen ein ebensolcher "Heilsbringer", wie es für die anderen die Erlangung der "Erleuchtung" (was immer sie sich darunter vorstellen) das endgültige Heil darstellt. (Ich weiss: Wie kann man solch unterschiedliche Dinge verbinden oder überhaupt in einen Zusammenhang stellen? Furchtbar!)

Nun, der Unterschied ist ziemlich klein, jedoch es ist evident, dass beide Träume aus unserem Inneren stammen und dass sie von dem inneren Traumtänzer mir als Karotte vor die Nase gehängt werden. Beide Träume! Und natürlich auch alle anderen zarten und edlen Gespinste dazwischen, von denen ein Mensch sonst noch zu träumen sich vornimmt. Herausragend und hier noch extra angemerkt sind natürlich auch jene Traumpartner, die unser Leben durchgeistern.

Jeder dieser Träume hat weder mit der realen Welt, und infolge dessen auch nichts mit seiner eigenen Erfüllung zu tun. Im Gegenteil, sollte einmal einer der leichteren Träume in Erfüllung gehen, so geschieht etwas Eigenartiges. Das, was jetzt real wurde, wird von mir in kürzester Zeit als "Falschgeld" entlarvt und der Paternoster, der die Träume aus den Fabrikationsstätten meiner Seele nach oben rumpelt, hat im Nu einen neuen Traum in seiner Kabine. Der wieder vor meiner Nase vorbeizieht und wieder zur Karotte wird. Jeder dieser Träume ist und bleibt eine Illusion. Maya! 

Teil II

Eine Sehnsucht, also ein Geschehen, zu dem ich aktiv gar nichts beitragen (außer Geld irgendwo hinzutragen: In die Lottoannahmestelle oder in irgendeinen Ashram) und auch gar nichts tun soll. Jede Handlung würde den Traum stören.

Jeder Leser kennt den Ausdruck "Schwarm", er bezeichnet eine Gruppe von Tieren (seien es Fische, seien es Vögel), außerdem benennt er eine passive Störung, die einen Pubertieren dazu bringt, als Traumtänzer Papierposter mit fernen Menschen an die Wand zu hängen. Und jeder denkende Mensch weiß auch, dass beides vorbeizieht. So wie es gekommen war, so zieht es weiter. Bei den Fischen wie bei den Superstar-Wänden.

Das ganze Dilemma zwischen Traum und Wirklichkeit kommt in der Gestalt des Martin Luther King zum Vorschein. Er hatte einen wunderschönen Traum, in dem die Rassentrennung aufgehoben war und alle Menschen Brüder wurden. So weit der Traum. In der Wirklichkeit wurde er einige Monate später erschossen.

Als schöne Metapher: Wenn der Mensch schon einmal versucht, mit beiden Beinen im Wasser stehend, aus einem Fischschwarm einen besonderen Fisch durch die Wasseroberfläche hindurch zu greifen, so geht die Hand jedes Mal daneben und der Schwarm entschwirrt blitzartig in alle Winde.

Aber Träume können doch wahr werden!? Ja, schon. Aber jene Träume, die wahr wurden, hatten über kurz oder lang nichts mehr zu tun mit dem, was vorher geträumt worden ist. Es erscheint, als ob die Übersetzung aus der Traumwelt in die reale Welt den Traum dergestalt verändert, dass er mit dem vorherigen zarten Gespinst gar nichts mehr zu tun hätte.

Attribute des Traumtänzers:
– die Welt hinter der Welt –
– die unsichtbare Welt –
– die Welt der Sehnsucht –
– die Illusion –
– die Träume –
– das Nichts –
– Jesus: "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" –
– die Engel –
– und hinter den Engeln die noch nicht gesehenen Toten –
– die Untätigkeit –
– die Ohnmacht –
– das Handeln durch Nichthandeln –
– die Meditation –
– die Ent-Ichung –
– man stellt sich mit seinem ICH immer mehr in ein anderes ICH hinein –
– der "Heilsbringer" –
– der Übertritt von der Erde zum Himmel –
– alle Schwindler, besonders die esoterischen –


Zu neuen Wegen

Mit dem “Heilsbringer” ist der lebendige Kreis der Archetypen erst einmal geschlossen. Lebendig nennen wir diesen Kreis, weil er durch die Jahrhunderte und Jahrtausende weiterhin seine Gaben in die Welt entlässt und in immer neuen Gewändern pausenlos die alten Themen hervorbringt.

Wir werden diesem Kreis auf unserer Internetseite noch oft begegnen, denn eigentlich ist es der Kreis der Seele der Menschen (und der Tiere und der Pflanzen, der Märchen, der Mythen) und damit der ganzen Welt.

Vor drei Jahren hat Heidemarie Orban für die Eltern einiger ihrer Klienten einen weiteren archetypischen Kreisbogen geschlagen und mit den Bildern der von uns sehr geschätzten Kinderbuchillustratorin Ruth Koser-Michaels versehen, die auf kindlichen Seelenbildern beruhen.

Der Grundgedanke war: Wenn Eltern das, was ihre Kinder umtreibt, als jeweils eines von zwölf Seelenbildern verstehen, die Kinder also etwas ganz Normales tun, dass die Eltern diesen Kindern dann mit mehr Vertrauen begegnen können.

Diesen Kreis werden wir hier in den nächsten sechs Wochen präsentieren. Was also der Betrachter erhält, ist eine Übersetzung vom großen Archetypenkreis (der gerade beendet wurde) in einen kleineren hinein: In den Kreis ganz normaler kindlicher Seelenbilder.

Und auch dieser Kreis wird nach sechs Wochen eine Fortsetzung erfahren!
Na dann ...