Über den Archetypus

Über den Archetypus und seine Grösse

Noch einmal: Es scheint so zu sein, dass die Menschen des persönlichen Familiensystems (Partner, Kinder, Geschwister, Eltern, Grosseltern, etc.) an manchen Stellen nicht in der Lage sind, jede Dynamik in der Seele ausreichend zu beleuchten und - in einer Aufstellung - zu befrieden.

Wir kennen das aus etlichen Aufstellungen Bert Hellingers, der uns schon sehr früh damit verblüffte, dass er mitunter unpersönliche Wesenheiten (also keine real existierenden Personen) wie den "Tod", das "Schicksal", das "Vaterland", das "Sudetenland", den "Krieg", "Gott", "Christus", die "katholische Kirche", die "Atombombe" und andere unpersönliche Einheiten in den Raum gestellt hat und jeder sehen konnte, dass auch diese nicht realen (oder nicht persönlichen) Gestalten eine grosse Kraft in sich trugen.

Eine Kraft, die mitunter ebenfalls eine tiefe seelische Zerstritten- und Zerstörtheit zu lindern half. Hier konnten wir wahrlich nicht mehr von Familienaufstellungen sprechen!

Später dann merkten wir auch bei den Aufstellungen, die wir selbst anleiteten, wie gross der Einfluss gewisser kultureller oder philosophischer oder religiöser Potenzen auf die Seele der Menschen wirklich war. Es entstand somit fast der Eindruck, als gäbe es ein zweites - um eine Etage tieferes - Familiensystem, das nicht mehr aus persönlichen Familienmitgliedern besteht, sondern aus den "Familienmitgliedern der Welt als solches" sich zusammensetzt.

Diese "zweite Familie" war und ist universal, ihr überpersönliches (kollektives) Reservoir kann gleichsam im persönlichen Leben durchaus mit realen Menschen aufgefüllt werden - und diese wurden bisher aufgestellt. Die unbewussten Anteile einer jeden Seele zerfallen für Jung in zwei Areale, die er sorgfältig voneinander trennt.

Landschaft A: Das persönliche Unbewusste, in dem sich das gesamte familiäre Apriori und die täglichen familiären Wahrnehmungen meiner Geburt, frühen Kindheit, Jugend und ggf. auch einiger erwachsener Abspaltungen (Traumata!) niederschlagen. Diese Absonderungen (das Unbewusste ist immer eine abgesonderte Seelenqualität!) sind nicht ererbt, sondern in realen - meist schmerzhaften - Handlungen und Ereignissen entstanden.

Sie sind also in meiner Lebenszeit (und sei se intrauterin) gebildet, jedoch nicht ohne weiteres erinnerbar - sonst wären es ja nicht die Inhalte des Unbewussten.

Landschaft B: Das kollektive Unbewusste, in dem die gesamten universellen (also alle Menschen betreffenden) Apriori vorzufinden sind. Diese Inhalte liegen wesentlich tiefer als die prinzipiell erinnerbaren Schichten des persönlichen Unbewussten. Jung zögert deshalb auch nicht, diese Umgebung des Unbewussten als eine ausschliesslich ererbte zu bezeichnen. In seinen eigenen Worten: "Das kollektive Unbewusste ist ein Teil der Psyche, der von einem persönlichen Unbewussten dadurch negativ unterschieden werden kann, dass er seine Existenz nicht persönlichen Erfahrungen verdankt und daher keine persönliche Erwerbung ist.

Während das persönlich Unbewusste wesentlich aus Inhalten besteht, die zu einer Zeit bewusst waren, aus dem Bewusstsein jedoch entschwunden sind, indem sie entweder vergessen oder verdrängt wurden, waren die Inhalte des kollektiven Unbewussten nie im Bewusstsein und wurden somit nie individuell erworben, sondern verdanken ihr Dasein ausschliesslich der Vererbung." (Carl Gustav Jung, Gesammelte Werke, Bd. 9/I, 1976, "Der Begriff des kollektiven Unbewussten", S.56)