Der Rover

    

03 Der Rover - Teil I

Der “Rover” (nicht mit Großbuchstaben!) ist eine englische Bezeichnung für einen Menschen, der unterwegs ist und der nur ganz selten zur Ruhe kommt. Die englische Sprache begreift ihn als Mischung aus einem “Wanderer” und “jemandem, der herum- oder umherschweift”.

Diese Dimension umfasst das deutsche Wandern nicht. In einem seiner Lieder (“Der Wilde”) besingt Helmut Qualtinger einen Motorradfahrer: “ich bin der Wilde mit meiner Maschin’ ”. Die Zeilen, die dem Rover sehr nahe kommen, lauten: “ich hab’ zwar ka Ahnung, wo ich hinfoahr, aber dafür bin i’ schneller durt!”

Diese innere Gestalt besitzt – fast so, wie die KORE – alle Vorzüge und Vorrechte der Jugend, ohne jedoch den erwachenden Sinnlichkeits-Schub, der vollständig in der KORE (und in den nächsten beiden Archetypen) aufbewahrt liegt. Ja, der Rover ist gleichsam ein Ausbund an fehlender Sinnlichkeit.

Auf einer unserer Abbildungen (symbolon-Karten) sehen wir den griechischen Gott Hermes, dessen Arbeitsbeschreibung ihn als “Götterbote” ausweist, der also pausenlos von A nach B unterwegs ist. Warum? Um eine schöne Frau zu erobern? Nein, weil er eine Nachricht zu überbringen hat. Für diese Zwecke benötigt er ein gutes Schuhwerk (mit Flügelchen an den Füssen) und ausreichende Ausdauer. Von Magnetismus, Attraktivität und geschlechtlicher Anziehung steht nichts in seinen mythologischen Arbeitsakten.

Hier erst einmal seine Eigenschaften und Attribute:
– die körperliche Beweglichkeit –
– die intellektuelle Beweglichkeit –
– Suche nach Identität –
– Gefühl der Bedeutungslosigkeit –
– sich zeigen müssen –
– der Mittler –
– der Bote –
– der Briefträger –
– die (Geschlechts-) Neutralität –
– der Intellekt –
– oder: die Intelligenz –
– (von: intellegere – Dazwischen-Sein) –
– das Gefühl der Mittelmäßigkeit –
– die Oberflächlichkeit –
– weder Fisch noch Fleisch –
– zwischen-den-Stühlen-sitzen –
– weder Männlich noch Weiblich –
– die Belanglosigkeit –
– die Lange-Weile –

Die fehlende Sinnlichkeit, die fehlende Attraktivität, bezieht sich tief im Inneren darauf, dass dieser Archetypus energetisch ein recht hohes Maß an Neutralität aufweist. Eine Neutralität, die ihn für jeden aus der Welt kommenden (möglichen) Partner, sei er positiv (yang) oder negativ (yin) geladen, so uninteressant macht, dass er niemals mein Pendant, niemals meine ergänzende Seite sein kann.

Natürlich beschert auch dieser Archetypus mir ein Interesse an der Welt, so wie sie ist. Doch führt dieses Interesse nicht dazu, mich sinnlich fertig zu machen, also mich körperlich zu erregen. Eher fühle ich mich in meiner Vorliebe für Bach-Kantaten oder dem Rätsel der Fibonacci-Folgen (Zahlenabfolgen) musisch oder intellektuell von anderen angezogen.

Der Rover Teil II

Wo dieser Archetypus erscheint, geht es im Wesentlichen nicht um das Geschlecht. Kaum ein Unterschied ist zwischen Yin und Yang möglich – jedenfalls nicht seelisch – und darin liegt eine große Wunde!

Es ist dies ein Identitätsgeschwür, welches sich um die Frage: “Bin ich eigentlich Fisch oder Fleisch?” herum gelegt hat. Bin ich Männlich oder Weiblich, oder beides oder keines von beiden? (Belesene Menschen behaupten aus diesem Grund, sie seien wohl “bi”, da sie von zweigeschlechtlichen Tieren oder Pflanzen gehört haben. “Bi” zu sein, könnte bei Menschen so viel heißen wie: Ich habe keine Ahnung wo ich hin gehöre! Also bin ich lieber gleich bi!)

Dieser Archetypus beschert mir eine große Identitäts-Fragwürdigkeit. Stellen wir auch hier den Rover in seine Anordnung, die uns eine Art Systematik vorgaukeln könnte. In welchem Fall müsste man jetzt an eine Aufstellung dieses “Rovers” denken?

Als erstes sollte man bei allen Identitätsunsicherheiten, die zu einem Frieden gebracht werden müssen, an diesen Archetypus denken. Stellen wir uns vor, Klienten kommen mit folgenden Anliegen: “Ich weiß nicht, wohin ich gehöre. Meine Eltern sind aus dem Iran, aber ich bin doch in Deutschland geboren. Wieso fühle ich mich hier nie richtig zu Hause?” “Manchmal fühle ich mich zu Männern hingezogen, manchmal zu Frauen. Ich bin mir nie sicher: Bin ich nun schwul oder hetero?”

“Ich wäre so gern Therapeut oder Berater. Habe auch schon viele Ausbildungen in diese Richtung gemacht. Aber wenn ich eine Praxis eröffne, kann ich davon nicht leben. Und so muss ich immer halbtags in einem Esoterik-Geschäft Bücher verkaufen. Wieso gibt es für mich keine Eindeutigkeit (am besten natürlich in therapeutischer Hinsicht)?” (Man darf bei einer derartigen Fragestellung niemals übersehen, dass ja Hermes, in dessen Fußstapfen der Rover unterwegs ist, nicht nur der Götterbote ist, sondern ebenfalls der Beschützer der Händler, Diebe und anderer Halsabschneider ist. Nebenbei hier noch das Kleingedruckte: Er ist auch der Führer der Toten durch die Unterwelt!)

Weiter: “Ich bin in einer richtigen Zwickmühle. Einerseits will und kann ich meine Frau nicht verlassen (mit der ich 24 Jahre zusammen bin und drei Kinder habe), andererseits habe ich seit 2 Jahren eine Freundin, die ich sehr lieb habe. Ich kann mich nicht entscheiden. Ich weiß nicht weiter.”


---> Vorschau auf den Archetypus »Die ANIMA«

    

Mit diesem Archetypus betreten wir das größte der von Jung beschriebenen Länder der Seele in seinem zutiefst verborgenen kollektiven Areal: Die “Anima” und eng damit verbunden ihr treuester Compagnon, der “Animus” – der bei uns erst in der nächsten, der 5. Abteilung zu finden ist.

Und in der Tat sind es immer wieder diese beiden großen menschlich-seelischen Grundstücke, auf denen sich die wichtigsten Ereignisse des größten Glücks, ganz ebenso wie die des größten Unglücks und Elends versammeln.

Mehr darüber am 14.06.2012