Der Trickster

    

11 Der Trickster oder Der Hüter der Freiheit - Teil I

Jene Gestalt, die uns jetzt aus der Tiefe der Archetypen entgegen schlägt, ist ebenfalls – wie "Der alte Weise" – kaum mit uns selbst in eine Verbindung zu bringen, will meinen: Wir glauben nicht, dass wir derartige Figuren selbst an Bord hätten.

Es ist, als wollte man sagen, Judas Ischariot ist nichts anderes, als ein Teil in Jesus Christus selbst! Nun, es ist eine christliche Tatsache, dass dieser als Verräter apostrophierte Archetypus die wichtigste Rolle bei der Entstehung des Christentums zu verantworten hatte. (vgl. Text "Judas")

Also: Manche Archetypen sind weniger leicht nach Hause zu holen als andere. Welche Eigenschaften des Menschseins will der Trickster uns also alle lehren? Nun, das erste große Thema, dass er uns näher bringen möchte und dass er in vielen Verkörperungen und Verkleidungen bemäntelt, ist das riesengroße Feld der FREIHEIT!

Ach, das ist ja schön, werden manche sagen, die bereits seit dreißig Jahren in einer (von ihnen so empfundenen Zwangsjacke, genannt Ehe)stecken, und für die Freiheit entweder Las Vegas oder Goa oder die 20-jährige Rothaarige von unserem Archetyp Kore bedeutet.

Ein anderer wiederum versteht unter Freiheit, endlich den Mut zu haben, den Ehemann mitsamt seiner rothaarigen Geliebten nach 10 Jahren Betrugs endgültig vor die Tür setzen zu können. Und bevor sie die Tür zuknallt, noch hinterher zu schreien: "Na dann viel Vergnügen!”

Wenn dieser Archetypus sich meldet, dann kann es für den einen eine Neue Freiheit bedeuten, aus der heraus er Kreatives schaffen kann, oder eine Freiheit, die den Verlust eines Partners bedeutet, und die ich eigentlich gar nicht haben will.

Ja, er ist der raffinierteste Geselle, den man sich vorstellen kann. Er plant (wie beim Schach) sieben Züge im Voraus, besonders, wenn man glaubt, jetzt könne aber gar nichts mehr passieren. Er ist ein Narr! Nein, er spielt ihn nicht nur, er ist es. Und er ist immer überlegen. In alten Geschichten ist er entweder ein Schamane oder eine schrumpelige Hexe, der man gar nichts zutraut. Manchmal kam er auch daher als Scharfrichter, den man in früheren Jahrhunderten auch immer den "Schelm" nannte. (Der Leser schaue sich die Photos des neuen Denkmals eines Henkers auf unserer Internetseite symbolon.de an)

Er kommt völlig überraschend, reißt dir den Kopf ab, zieht dir den Boden unter den Füssen weg und du glaubst, du wärest jetzt am Ende. Doch er ist immer nur jene Gestalt, die dich aus etwas hinaus führt, was ohnehin nicht mehr deines war. Er nimmt dir nur das weg, was dir nicht gehört!

Teil II

Stell dir vor du wärest auf einer tristen Strasse im Februar der 50iger Jahre. Es ist hier grau, trüb, feucht und kalt. Ein Leben, das eher ein Vegetieren ist. Jahraus und Jahrein. Und dann unversehens nähert sich Lärm, Musik und Buntes. In deine Strasse bricht lautstark ein der Rosenmontagszug zu Köln.

Jetzt hast du zwei Möglichkeiten: Die erste, du sagst, ach Scheiße, auch das noch, nimmt denn das Elend gar kein Ende? Oder du sagst gar nichts: Du reihst dich ein und du tanzt im Rhythmus der Schunkelmusik und schreist: "Kölle-Aalaf” Und jetzt bist du ein Jeck!

Noch eine kleine Geschichte aus dem Leben des Autors: Als ich mit 21 Jahren Vater geworden war, musste ich natürlich jetzt für eine Familie sorgen und also arbeiten gehen. Vorher war ich auf dem 2. Bildungsweg, um mein Abitur nachzuholen, jetzt in der Lochkarten-Abteilung (so hießen früher die Computer für die Lohnabrechnung) der Firma Düllmann in Dortmund.

In einer der Mittagspausen mit meinen Arbeitskollegen verkündete ich eines Tages, dass ich vorhabe, etwas Besseres zu werden, als ein Leben lang Lochkarten zu kontrollieren. Ich sagte es im Sinne von: "Ihr wollt doch hier auch nicht alt werden", aber auch mit dem Hintersinn: "Ich bin deutlich etwas Besseres!"

Eine Woche später kam der Trickster in der Gestalt meines Chefs auf mich zu und sagte: "Herr Orban, wir müssen leider rationalisieren, und zwei Kollegen entlassen. Ich habe gehört, sie bereiten sich auf das Abitur vor. Herzlichen Glückwunsch, jetzt haben sie die Gelegenheit dazu. Ich war entlassen, aber ich fühlte mich überhaupt nicht frei! Nein, so wollte ich nicht frei sein! Bereits ein Jahr später hatte ich allerdings begriffen, dass dieser schmerzhafte Schritt das Beste war, was mir hat geschehen können. Allein, also ohne seine Hilfe, hätte ich die Kurve am Ende nie bekommen!

Bei welchem Anliegen sollte man an den Trickster denken? Erst einmal in allen Fällen, in denen etwas Außergewöhnliches geschieht, das dich – meist endgültig – aus deiner normalen Routine hinaus katapultiert. Alles, was mit Verrücktheiten zu tun hat, mit Dingen, die dich aus etwas, was lange gut und richtig war, hinaus befördern. Aus einer Ehe, einer Freundschaft, einer Arbeit (usw. also Gegebenheiten, in denen du es dir seit 20 Jahren eingerichtet hattest).

Hinaus? Wohin? Nun, in eine neue Form des Freiseins! Eine neue Form der Unabhängigkeit! Eine neue Form deiner Individualität! (Freilich, du ahnst es schon, diese neue Freiheit tut erst einmal schrecklich weh ... Und deshalb muss der Betreffende als erstes lernen, auf welche Weise das Althergebrachte überfällig war. Was steht bei Hegel? "... eine Gestalt des Lebens ist alt geworden und mit Grau in Grau lässt sie sich nicht verjüngen ...” Jetzt muss erst die Eule der Minerva losfliegen...)

Ja, eine Gestalt des Lebens ist vorbei und wird zerstört, dann erst kann der zarte Anfang einer neuen Veranstaltung weg hin zu mehr Freiheit stattfinden.

Attribute des Tricksters:
– die Freiheit –
– die Unabhängigkeit –
– die Individualität –
- das Alleinsein –
– der Schamane –
– der Individuationsprozess –
– Kreativität als das Neue aus dem Alten –
– das Lösen –
– die Lösung –
– die Ent-Bindung –
- das Erwachsenwerden –
– der Verrückte –
– die Verrücktheit –
– der Wanderer –
– der NARR –
– der Karneval –
– die Arroganz –
– die Überheblichkeit –
– die Unangepasstheit –
– das Mobbing –
– der Verrat –
– der unsichtbare Spielkamerad (aus der Kindheit) –
– der Poltergeist –

Judas
Nein, aus uns spricht jetzt nicht der Trickster selbst (obwohl er ziemlich beliebt zu scherzen), sondern nur die Vernunft: Hätte Judas den Herrn nicht verraten (Lukas: "...einer von Euch wird mich verraten ...” ), Jesus wäre wohl nicht am Kreuz gestorben und niemand von uns hätte je von einem merkwürdigen mutterlosen Wohltäter gehört. Kurzum, wir würden uns alle noch im Alten Testament oder in der Tora aufhalten und es gäbe keine Christen.

 

---> Vorschau auf den Archetypus
»Der Heilsbringer oder Der Traumtänzer«  

  

Mit diesem Archetypus sind die Ensemblemitglieder unseres menschlichen Theaterstücks zu einem Abschluss gekommen. Dieser Typus hat sich bereits ein deutliches Stück weit von der Welt der Erscheinungen entfernt.

Also von einer Welt, von der Wittgenstein sagt, sie sei "alles, was der Fall ist", alles also, was "vorliegt", alles, was ein "Faktum" ist, von dieser normalen Welt aus, zielt der "Heilsbringer" (man darf das Wort nie ohne Gänsefüsschen schreiben) in eine total andere Richtung. Dieser Archetypus ist der Botschafter (oder der Hüter) einer "Welt hinter der Welt" oder wie Shakespeare es gesagt hat, er behütet die "Dinge zwischen Himmel und Erde".

Er taucht sporadisch auf und erzählt uns eine Geschichte, die erst einmal niemand glauben kann, weil sie sich den gängigen Kriterien von Ratio, Vernunft oder Verstand einfach nicht zu fügen vermag.

Mehr darüber am 10.08.2012